DIE ZWEI SEITEN DER EINMISCHUNG Von Philippe André

Im Falle roher Gewalt soll man nicht immer nur gaffen, sondern eingreifen. Stimmt zwar. Aber so einfach ist das nicht.

Wochenende. Mein Kleiner wollte aufs Eis. Ich nicht. Doch hatte ich in einem unbedachten Moment dumme Versprechungen gemacht. Also fuhren wir ins Neuköllner Stadion. Und während er seine Runden drehte, versuchte ich wenigstens professionell zu stehen.

Ich sah sie im Fallen. Sie kamen zu fünft und hatten brutale Gesichter. Außerdem schienen die Jungs außerordentlich schlecht drauf zu sein. Dieser suchende Blick nach einem sich lohnenden Opfer war mir nur zu bekannt. Schon als Kind hatte ich halbe Nächte mit der Frage gerungen, was genau es eigentlich war, das aggressive Jungs dazu bewog, sich immer mich als Beute auszusuchen. Offensichtlich hatte sich daran nichts geändert, denn die Kerle hatten rasch meine Bestimmung erkannt und mich umgehend ins Fadenkreuz genommen. Wie immer in solchen Fällen reagierte ich blitzschnell und suchte aus den Augenwinkeln den aktuellen Standort meines Sohnes zu lokalisieren. Als ich ihn endlich ausgemacht hatte, erhob ich mich halb und stolperte und rutschte so schnell wie möglich in seine unmittelbare Nähe. Meine Aktion war ein voller Erfolg. Aufatmend stellte ich fest, daß nun ein etwa 15jähriger Junge mit reichlich Übergewicht und einem selten dümmlichen Gesichtsausdruck Opfer geworden war. Aus dem Schneider! Jedenfalls beinahe. Das penetrante Mitleid meines Sohnes verdarb mir das Refugium.

Erregt deutete er auf den Schabernack, den die fünf Rohlinge mit dem armen Kerl da drüben trieben. „Papa, guck mal, wie gemein!“ Was sollte ich tun? Ich war doch so schmerzempfindlich! Andererseits; wie könnte ich meinem Sohn, der augenblicklich herkülen Idealen wie Nightrider, P.A. und McGuyver folgte, jemals wieder in die gütigen Augen sehen, wenn ich sie jetzt schloß. Panik! Ich hielt den Atem an, um wenigstens das Zähneklappern zu unterdrücken. Ein eigenartiges Gefühl der Leere bemächtigte sich meiner. Was war das? Was tat ich da? Mein Körper bewegte sich auf die Typen zu und sprach sie an, krächzte was von Körperverletzung und drohte gar mit dem Aufseher. Und das Unglaubliche geschah: Sie zogen ab. Die Penner kniffen. Alle Furcht fiel nun von mir ab. Ich half dem Jungen auf, ein sympathischer, stämmiger kleiner Kerl, der sich schüchtern bedankte und schleunigst das Weite suchte.

„Gewalt, mein Junge“, dozierte ich auf der Heimfahrt, „nur im äußersten Notfall, klar?“ „Klar“, grinste er. „Aber wie das aussah Papi!“ „Wie, wie das aussah?“ „Na ja, du hast gezittert wie Omi, als sie aus dem Krankenhaus kam.“ „Die Kälte“, schlug ich geistesgegenwärtig vor. „Und Angst!“ Ich kapitulierte. „Du hast Recht, Angst hatte ich auch.“ Als wir nach Hause kamen, erzählte mein Sohn eine ganz andere Geschichte. Wie ein Terminator sei ich auf die Bösewichter losgegangen und hätte sie allesamt vom Platz gefegt. Netter Zug. Ich widersprach ihm nicht. Werde mich bei Gelegenheit revanchieren.