Birmanische Künstler unter der Knute

Der Staatsrat SLORC versucht, Künstler und Intelligenz Birmas zum Schweigen zu bringen  ■ Von Martin Smith

Als die charismatische Führerin der jungen birmanischen Demokratiebewegung, Aung San Suu Kyi, im Juli 1989 verhaftet wurde, da war dies mehr als nur ein Versuch des herrschenden „Staatsrats“ SLORC, die radikale und populäre Partei NLD (Nationale Liga für Demokratie) zum Schweigen zu bringen. Es war ein Angriff auf das Herz der kulturellen Erneuerung Birmas. Die wenigen Zeilen in der internationalen Presse über den Putsch erwähnen meist nur die Verhaftung Aung San Suu Kyis, die 1991 den Friedensnobelpreis erhielt. Doch in den furchtbaren vier Sommerwochen des Jahres 1989 wurden buchstäblich alle Schriftsteller und Künstler verhaftet, die Suu Kyi als politische Berater nach ihrer Rückkehr aus Oxford in Birma um sich versammelt hatte.

Aus Achtung vor ihrem verstorbenen Vater Aung San, dem Helden der Unabhängigkeit, ist Suu Kyi nie der Prozeß gemacht worden; offenbar hält man Hausarrest in Rangun für ausreichend. Dagegen wurden viele von denjenigen, die zusammen mit Suu Kyi verhaftet worden sind, gefoltert und zu langen Haftstrafen verurteilt. Im Juni 1991 starb beispielsweise der populäre Romancier U Ba Thaw (alias Maung Thawka) im Insein-Gefängnis, wo er, als „Verräter“ zu zwanzig Jahren verurteilt, einsaß. Gerüchten zufolge wurde er in der Haft schwer mißhandelt. Ein Freund und Kollege von ihm, der frühere Herausgeber der Zeitung 'Hanthawaddy‘, sitzt zur Zeit eine dreijährige Strafe ab. Angeblich war er in den Fall einer illegalen Abtreibung verwickelt. Ein weiteres Mitglied der NLD, U Aung Lwin, gleichzeitig Direktor der birmanischen Filmgesellschaft, ist ebenfalls wegen Verrats zu einer fünfjährigen Haft verurteilt worden. Und Suu Kyis Privatsekretär Ma Theingi, ein 42jähriger Kunstlehrer und Experte des birmanischen Puppentheaters, wird ohne Anklage im Insein-Gefängnis festgehalten.

Obwohl ihre gesamte Führungsriege verhaftet wurde, gewann die NLD im Mai 1990 mit überwältigender Mehrheit die ersten Wahlen Birmas nach dreißig Jahren. Trotz Verfolgung durch das Militär und trotz drakonischer Restriktionen, die ihrer Wahlkampagne auferlegt wurden, gewann sie 82 Prozent der Sitze. Sie bewies dadurch überdeutlich, daß ihre Mitglieder die Liga zurecht als Massenbewegung bezeichnen und sich dagegen verwahren, als eine politische Partei unter anderen zu gelten. Das Wahlergebnis schlüsselte außerdem ihre Anhängerschaft auf, die in allen Schichten, ethnischen Gruppen, Religionen und Weltanschauungen vertreten ist.

Der Sieg der Liga wurde jedoch zum Signal weiterer Verhaftungen vonseiten der Militärjunta, deren Offiziere offenbar von diesem für sie verheerenden Wahlergebnis überrascht wurden. Als der Vorsitzende der NDL, Ex-Oberst Kyi Maung, die sofortige Übergabe der Regierungsgeschäfte an die NDL forderte, wurde er verhaftet und wegen „Verrats“ zu zwanzig Jahren Haft verurteilt. In den folgenden Monaten weitete sich die Bespitzelung immer mehr aus und zwang viele Parlamentsabgeordnete zur Flucht. Viele verschwanden im Untergrund der Großstädte, andere gingen ins Exil, wieder andere begaben sich in die von der Demokratiebewegung kontrollierten Gebiete entlang der Grenze zu Thailand, wo sie eine provisorische Regierung bildeten. Dennoch waren Anfang 1991 achtzig Parlamentsabgeordnete in Haft, die inzwischen zu Gefängnisstrafen zwischen zehn und zwanzig Jahren verurteilt worden sind. Auch diese Liste beweist, welche Schlüsselrolle Birmas Schriftsteller und Intellektuelle in der Bewegung der Liga zukommt. Die früheren Redakteure der Zeitung 'Botahtaung‘, U Soe Thein (als Schriftsteller unter dem Namen Maung Wutha bekannt) und U Sein Hla Oo (resp. Maung Nwe Oo) sowie der Schriftsteller U Chan Aye wurden von den Militärs der SLORC wie Kriminelle behandelt, deren düstere Polizeifotos prompt in der staatlich kontrollierten Presse erschienen.

Etliche von ihnen werden vermutlich erst im nächsten Jahrhundert wieder aus der Haft entlassen werden. Diese Tatsache sowie die Behandlung der Intellektuellen verdeutlichte den Bürgern des Landes — mehr noch als der Hausarrest von Aung San Suu Kyi — , daß das Militär um jeden Preis an der Macht zu bleiben wünscht. Der Öffentlichkeit wurde dies zum ersten Mal mit einer im September 1991 im Radio übertragenen Pressekonferenz der Generäle klar, wobei diese ihre Erwartung aussprachen, mindestens die nächsten zehn Jahre noch an der Spitze des Landes zu stehen. So also endeten drei hoffnungsvolle Jahre, in denen friedliche Veränderungen in der Politik möglich schienen: Die Junta blieb an der Macht, die vielen ernsten Probleme des Landes bleiben ungelöst, und die Bevölkerung steht weiterhin unter der Knute eines der größten und repressivsten Apparate zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit.

Rückblick auf den Sommer der Demokratie

Es hatte alles so hoffnungsvoll begonnen. Eine kulturelle Renaissance erfaßte 1988 das ganze Land, als im kurzen Sommer der Demokratie Studenten Massenproteste initiierten, die die 26jährige totalitäre und verheerend inkompetente Herrschaft General Ne Wins beendeten. Noch während der Demonstrationen bildeten sich bereits in allen Städten neue Zeitungen, Zeitschriften und Verlage. Sogar die staatlichen Zeitungen, der 'Guardian‘ und die 'Working People's Daily‘ veröffentlichten unzensierte Berichte. Allein in Mandalay wurden 40 Zeitungen produziert, vom 'Ain Daw Ya‘ der buddhistischen Mönche bis hin zu 'The Call‘ des Streikkomitees der Stadt. In Rangun gab es gar 50 Zeitungen, viele von ihnen nur vier- oder achtseitige Bögen, in denen die massenhaft neu entstehenden politischen Vereinigungen ihre Ansichten kundtaten, nicht wenige der Blätter waren aber auch „richtige“ Zeitungen.

Für viele Birmesen war eines der befreiendsten Elemente, daß der Humor in das politische Leben zurückkehrte. Die Zeitung 'Ahyoung Thit‘ (Neue Farbe), herausgebracht von der Cartoonisten- und Künstlervereinigung des Landes, war voll beißender Satire über Ne Wins zusammenbrechende Partei, die „Burma Socialist Programme Party“ (BSPP), und die sich in wahnwitzigem Tempo ändernde politische Szene. Viele der satirischen Zeichnungen und Cartoons wurden auf Postergröße kopiert und im ganzen Land als Wandzeitungen ausgehängt, die es nun in allen Städten gab.

Ältere Leute erinnerte dies an die antibritischen Proteste des Unabhängigkeitskampfes der zwanziger und dreißiger Jahre, der von Zeichnern, Journalisten, Schriftstellern und Studenten wie Shwe Ta Lay, Ba Gyan, Deedok Ba Choe, Aung Sa und U Nu angeführt wurde. Die etwas jüngere Generation dachte an die fünfziger Jahre zurück, als Birma mit 30 Tageszeitungen in vielen verschiedenen Sprachen eine der freiesten Medienlandschaften Asiens besaß. Obwohl die Regierung damals oft irritiert und wütend reagiert hatte, erschienen in den meisten Zeitungen Karikaturen, die die Kritik der Öffentlichkeit an der Korruption und dem Machtmißbrauch in beißender Form widerspiegelten. Aber mit dem Militärputsch, der Ne Win 1962 an die Macht brachte, verschwanden diese Freiheiten wieder.

1988 wurden sie wieder sichtbar, beispielsweise gehörte Straßentheater nun wieder zum öffentlichen politischen Leben. Besonders beliebt wurde der 28jährige Komiker Thu Ra, der unter seinem Bühnennamen Zargana (Kneifzange) bekannt wurde. Eigentlich Zahnarzt von Beruf hatte er bereits Anfang der achtziger Jahre damit begonnen, eine alte birmanische Tradition wiederzubeleben: die asiatische Version des Hofnarren. Die Monarchie Birmas war zwar 1885 bereits von den Briten aufgelöst worden; zwei Jahrzehnte diktatorischer Herrschaft durch Ne Win reichten jedoch aus, so der Komiker, diese theatralische Tradition wieder zu einem der Gegenwart angemessenen Mittel der Kritik zu machen. Bei seinen ersten Auftritten in kleinen, weit von der Hauptstadt entfernten Dörfern probierte er die Figuren aus, hielt sich jedoch mit schärferen Pointen zurück; die neuen Freiheiten erlaubten ihm 1988, vor einem großen Publikum zu spielen. „Soldaten haben Waffen. Das Volk hat nur Münder“, war einer seiner zentralen Sätze. Die meisten Pointen lebten von Wortspielen, die bei Übersetzungen verlorengehen. Für das birmanische Publikum jedoch waren die Witze des Komikers unübertroffen. Sein Publikum schrie vor Lachen auf, wenn er beispielsweise erklärte, er habe eine Brille gebraucht, um die Namen der Politiker in der Zeitung zu lesen, weil sie so „verschwommen“ gewesen seien — im Birmesischen bedeutet dieses Wort gleichzeitig „aufgeschwemmt“, also allzu gut genährt. Allein seine physische Präsenz auf der Bühne produzierte meist schon Lacher. In einer seiner Nummern spazierte er nur mit einem bestimmten Hut hin und her; einem Hut in der Art, wie ihn die Männer der herrschenden Elite üblicherweise tragen. Traditionell gehört zu diesem Hut ein Schal, der auf der rechten Seite herunterhängt. „Rechte Seite“ heißt auf birmanisch außerdem „Lügner“...

Der Militärputsch von Saw Maung

Dieser erstaunlichen politischen Erneuerung wurde durch den Putsch am 18. September von alten Ne-Win- Anhängern unter der Führung von General Saw Maung ein blutiges Ende bereitet. In den folgenden Herbsttagen sind landesweit vermutlich mehr als tausend Studenten und unbewaffnete Zivilisten durch Soldaten getötet worden. Die Demonstranten, so die SLORC-Leute, seien Plünderer. Mehr als zehntausend Menschen, unter ihnen der Schriftsteller U Ye Gaung, flohen in die Grenzgebiete, die von Truppen ethnischer Minderheiten seit 1948, der Unabhängigkeit Birmas, kontrolliert werden.

Wer zurückblieb, zahlte einen hohen Preis. Das Kriegsrecht wurde ausgerufen, und Hunderte, die an Protestdemonstrationen teilgenommen hatten, wurden sofort verhaftet. Einer der ersten, die es traf, war Zargana. Er wurde am 2. Oktober verhaftet und eine Woche lang gefesselt und mit verbundenen Augen schwer mißhandelt; danach hielt man ihn sieben Monate in Einzelhaft. Nicht einmal seinen Bewachern war erlaubt, mit ihm zu sprechen — offenbar ein besonderer Akt der Rache für die Macht seines Wortes.

Um ihre Machtübernahme zu rechtfertigen, versprachen die Herren Militärs der SLORC die Einführung eines pluralistischen Parteiensystems. Tatsächlich hatten sich Anfang 1989, trotz der weiter andauernden Repression, mehr als 200 politische Parteien gebildet. Gleichzeitig jedoch arbeiteten die SLORC-Generäle, angeführt von Ne Win und seinem Geheimdienstchef, Brigadegeneral Khin Nyunt, rastlos an der Ausarbeitung eines alles erstickenden Netzes neuer Erlasse und Kriegsrechtsdekrete, in dem sie schließlich auch Aung San Suu Kyi und die gesamte NDL-Spitze fingen.

Alle Pressegesetze, die in drakonischer Form bereits unter der BSPP in Kraft waren, wurden jetzt weiter verschärft. Jedes Buch und jeder Liedtext, jede Zeitung und jede Zeitschrift, alle Filme und Videos müssen vor der Veröffentlichung einem äußerst strikten Zensurbüro vorgelegt werden, das dann nicht nur über ihren Inhalt entscheidet, sondern auch über ihre Anzahl beziehungsweise Auflage, in der sie in den Vertrieb gelangen. Wer sich den Anweisungen nicht unterwirft, wird mit bis zu sieben Jahren Haft bestraft oder muß ein enormes Bußgeld zahlen.

Ebenso strikte Regeln gelten für die politischen Parteien, deren Aktionen und Broschüren, so die Drohung, zusätzlich an den Kriegsrechtsvorschriften gemessen werden, sobald sie sich an die Öffentlichkeit wenden. Heute dürfen Birmas Militärgerichte nur unter drei Urteilen wählen: Todesstrafe, Lebenslänglich und Zwangsarbeit von mindestens drei Jahren.

Aufgrund dieser Gesetze sind in den letzten drei Jahren Hunderte von Studenten, Intellektuellen und Parteiaktivisten verhaftet worden. Auch Zargana, der 1989 kurzzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden war, wurde erneut verhaftet, diesmal für fünf Jahre.

Die „Kulturrevolution“ à la SLORC

Die SLORC-Junta versteckt sich hinter der Behauptung, sie würde nur den Übergang zu einer Mehrparteiendemokratie überwachen. Sie gibt vor, jeder politischen Ideologie abgeschworen zu haben. Der Angriff auf sämtliche Formen kultureller Öffentlichkeit hat jedoch ein riesiges Vakuum im intellektuellen Leben geschaffen, das der „Staatsrat zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung“ nun mit seiner Version einer Kulturrevolution zu füllen sucht: Heute gibt es in Birma nur noch eine Tageszeitung, die 'Working People's Daily‘ (selbst unter der BSPP gab es noch sechs Zeitungen), und jeweils einen Fernseh- und Rundfunksender. Sie sind alle staatlich kontrolliert und produzieren täglich ihre Ration an Presseverlautbarungen des Militärs und SLORC- Propaganda.

Außerdem gibt es noch eine Militärzeitung, die 'Doye Duha‘ (Unsere Sache), die jeden zweiten Tag an die Soldaten verteilt wird. Ihr Motto steht in großen Lettern auf der ersten Seite. Es lautet: „Die Militärs sind deine wahren Eltern. Höre nicht auf Außenstehende. Traue niemandem außer denen deines eigenen Blutes.“

Solche Sprüche, die auf riesigen Schautafeln überall im Land zu lesen sind, verbreiten in den letzten Jahren zunehmend fremdenfeindliches und national-sozialistisches Gedankengut. Auch Musiker und Filmregisseure wurden aufgefordert, die von der SLORC vorgegebene patriotische Linie einzuhalten oder die Konsequenzen in Kauf zu nehmen. Das erste Opfer war die berühmte Schauspielerin und Sängerin Khine Khin Oo, die ein fünfjähriges Auftrittsverbot erhielt, weil sie in „fremdländisch-dekadenter Kleidung“ aufgetreten war.

Auch Birmas Beamte werden durch die sogenannte „Gedankenpolizei“ der SLORC-Junta ausspioniert und gesiebt. Kein Beamter darf sich politisch betätigen; außerdem muß er einen ausführlichen Fragebogen ausfüllen, in dem genauestens nach seiner politischen Haltung gefragt wird, zum Beispiel auch nach seiner Einstellung zum ausländischen Einfluß in Birma. Nach Aussagen des Chefs des militärischen Geheimdienstes, Generalmajor Khin Nyunt, sind bis Mitte 1991 gegen insgesamt 15.000 Beamte Verfahren wegen ihrer angeblichen Rolle bei den Unruhen eingeleitet worden.

Am deutlichsten jedoch verrät der „Staatsrat“ seinen inhärenten Rassismus in den groben und nicht im geringsten witzigen Karikaturen der 'Working People's Daily‘. Neben Angriffen auf die „unreinen“ Ehen, in denen ein Partner der indischen