"Wir werden sicherlich nach Asien gehen

■ Daimler-Benz-Chef Edzard Reuter kann sich "durchaus vorstellen", daß auch der Kanzler einmal mit einem Troß Manager nach Tokio fahren muß, um dort deutsche Autos zu verkaufen

taz: Herr Reuter, in Tokio begann das neue Jahr mit symbolischer Dramatik: Dort brach George Bush vor der japanischen Regierung krank zusammen. Für viele Japaner war das eine historische Stunde, in der die neuen Machtverhältnisse nach dem Kalten Krieg erstmals deutlich wurden. Hat man derweil auch in Europa begriffen, was die Stunde geschlagen hat?

Edzard Reuter: Ich halte nicht viel davon, die Geschichte stundenweise zu sezieren. Aber das Tokioter Geschehen hatte natürlich eine gewisse symbolische Bedeutung. Deshalb hat es auch außerhalb der Vereinigten Staaten so viel Aufmerksamkeit gefunden. Tatsächlich hat mit dem Jahr 1991, an dem sich das Ende der Konfrontation zwischen den beiden Nuklearmächten festmachen läßt, eine neue Zeitrechnung begonnen. Diese neue Zeitrechnung schließt zwangsläufig die Notwendigkeit eines neuen Verständnisses zwischen den großen Wirtschaftsregionen der Welt mit ein. Damit sind wir schon bei der Rolle der Japaner. Es ist also hohe Zeit, zu begreifen, daß wir nicht mehr in festgefügten Militärblöcken leben, sondern daß wir in einer Zeit der weltwirtschaftlichen Kooperation, aber auch Konfrontation leben — nämlich in einer Wettbewerbswirtschaft. Und da sollte man seine Konkurrenten ernstnehmen.

Kurz bevor der amerikanische Präsident mit den drei großen Automobilbossen nach Japan fuhr, hatte General Motors 70.000 Entlassungen angekündigt. Ist es für Sie heute vorstellbar, daß nach einigen Jahren auch der Chef des Hauses Daimler-Benz Massenentlassungen verfügt, um dann mit seinen Kollegen von VW und BMW und in Begleitung des Kanzlers nach Tokio aufzubrechen, damit die Japaner endlich mehr deutsche Autos kaufen?

Die Situation kann ich mir durchaus vorstellen, aber ich bin sicher, daß sie nicht eintreten wird. Denn wir in der westeuropäischen Automobilindustrie haben alle das Beispiel der Vereinigten Staaten vor Augen. Wir wären in der Tat schlechte Unternehmer, wenn wir daraus nicht unsere Lehren ziehen würden.

Statt nach den Erfahrungen der Amerikaner zu handeln, scheint sich jedoch auch die europäische Automobilbranche mehr aufs Wehklagen zu verlegen?

Der Lernprozeß ist im Gange. Wie er ausgehen wird, das entscheidet nicht die Nation und auch nicht die gesamte Industrie. Entscheiden wird vielmehr das Geschick der einzelnen Unternehmen, die hier im Wettbewerb stehen. Deswegen lohnt es sich nicht zu generalisieren. Wir bei Daimler-Benz werden nicht zu den Petenten in Tokio gehören. Aber für uns alle stellt sich letzten Endes die Frage, ob unsere unternehmerische Fertigkeit ausreicht, um mit der japanischen Herausforderung fertig zu werden.

Konfuzius, der große chinesische Staatsphilosoph, hat gemeint, es gebe drei Wege für den Menschen, um zu handeln: „Erstens durch Nachdenken, das ist der edelste, zweitens durch Nachahmen, das ist der leichteste, und drittens durch Erfahrung, das ist der bitterste.“ Es entsteht aber heute der Eindruck, als werde in der deutschen Wirtschaft nur sehr wenig über Japan nachgedacht. Zum Nachahmen ist man sowieso zu stolz. Schließlich hat man die Japaner hier lange genug als Abkupferer beschimpft. Bleibt dann nicht nur der dritte, der bittere Weg? Nämlich der von Detroit.

Die menschliche, gesellschaftliche und historische Wahrheit wird ja durch Religionsschöpfer oder Philosophen meistens sehr genau auf den Punkt gebracht. Das aber heißt nicht, daß sie sich mit der Realität deckt. Ich denke, die Realität ist eine Mischung aus all diesen Aspekten. Denn es gibt keinen Zweifel, daß das japanische Beispiel — wenn man überhaupt von dem japanischen Beispiel reden darf und nicht weiter differenzieren müßte — alle drei Elemente des Konfuzius beinhaltet. Alle drei Elemente, das heißt: Wir müssen natürlich teilweise nachahmen, wir müssen mit Sicherheit darüber nachdenken, und wir müssen mit Sicherheit auch bittere Erfahrungen machen.

Machen Stolz und Individualismus es uns nicht besonders schwer, die Japaner nun auch noch nachzuahmen?

Eine solche Gefahr gibt es immer, sie hat nicht exklusiv mit dem Blick auf Japan zu tun. Doch wer sich die Industriegeschichte Europas genau anschaut, merkt bald, daß zumindest innerhalb Europas schon sehr viel nachgeahmt worden ist. Gewiß: insbesondere die Techniker und Kaufleute waren immer stolz auf ihre eigene individuelle Leistung. Das ist ganz sicherlich auch eine charakteristische westliche Eigenschaft. Aber stolz und dafür im Wettbewerb nur zweiter Sieger — nämlich Verlierer — zu sein, das kann ja nicht unsere Antwort sein. Deshalb steht gerade hier das Management in der Verantwortung. Das Management muß heute fördern, daß die drei Elemente — Nachdenken, Nachahmen und Erfahrung — effektiv realisiert werden. Ich betone: alle drei Elemente.

Welchen eigenen Beitrag könnte gerade das Management deutscher Firmen dazu leisten? In Tokio machten sich die Automobilherren aus den USA schon deshalb so lächerlich, weil sie 140mal so viel wie ihre Arbeiter verdienen, während der Toyota-Boss nur 16mal so viel wie sein Arbeiter bekommt. Wann also wird der Daimler-Benz-Chef in die laufende Tarifrunde treten und statt nur niedrigere Lohnerhöhungen für seine Arbeiter zu fordern auch die Kürzung seines eigenen Gehalts anbieten? In Japan ist so etwas in Krisensituationen längst üblich.

Das kann sicherlich ein denkbares Instrument der Tarifpolitik sein. Ich schließe das überhaupt nicht aus. Doch im Kern geht es ja nicht darum. Es geht um unsere eingefahrenen Verhaltensweisen — und nicht so sehr um die alleinige Frage des Einkommens. Es geht um unsere Fähigkeit, flexibel zu arbeiten, Anlagen voll zu nutzen, Organisationsformen neu zu erfinden. Das allerdings verlangt von dem Einzelnen Einstellungen, die sich vorübergehend auch auf die eigene Tasche auswirken können. Wenn wir dann so weit sind und sagen: Jetzt verzichtet jeder erstmal auf etwas, damit wir im Unternehmen weiterkommen, dann bin ich durchaus dafür zu haben. Das hat es im deutschen Management auch früher schon gegeben.

Uns ist in Deutschland kein Fall bekannt, wo in einer unternehmerischen Krise systematisch oben mehr als unten gekürzt wurde.

Mag sein, daß das weniger systematisch der Fall war. Aber solche Beispiele gibt es. In der schlechten Phase der AEG, die der Akquisition durch uns vorausging, ist es tatsächlich so gewesen, daß der Vorstand und leitende Führungskräfte ihre Bezüge freiwillig gekürzt haben — im Unterschied zu den Tarifangestellten.

Die Daimler-Betriebszeitung der IG Metall propagiert in ihrer Januarausgabe die „Gruppenarbeit“ unter dem Motto der „Mitbestimmung am Arbeitsplatz“. Gruppenarbeit gilt heute als wesentlicher Konkurrenzvorteil japanischer Betriebe. Liegt in diesen Arbeitsformen für die deutsche Industrie die Schlüsselfrage hinsichtlich ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit?

Das ist ein ganz wichtiges Kernelement. Wir sind in der Bundesrepublik in einem hohen Ausmaß von der Verbürokratisierung aller unserer Abläufe betroffen. Jeder Handgriff in der Fabrik oder im Büro ist im Grunde genommen festgeschrieben, sowohl was die Dauer als auch die Arbeitsintensität und die Entlohnung angeht. Das wird zudem überwacht und angewandt durch eine aufwendige Organisation bei den Belegschaftsvertretungen und Personalverwaltungen der Unternehmen. Diese Mentalität ist nicht verträglich mit dem, was wir in Japan unter dem Begriff des „lean-management“ oder schlanken Managements beobachten können — nämlich selbstverantwortlich operierende Einheiten.

Gewerkschaften und Unternehmer bestehen beiderseits auf mehr Eigenverantwortlichkeit in den Fabriken. Nur wenn es an die konkrete Definition der neuen Selbständigkeit geht, ist man sich uneins.

Eigenverantwortliche Gruppenarbeit heißt für mich, daß diese Gruppe ihre Arbeit untereinander aufteilt, ihre Arbeit in Eigenregie organisiert und die Bezahlung für die von der Gruppe geleistete Arbeit unter sich vernünftig verteilen kann. Das hat den zusätzlichen Vorteil, daß hier Qualität organisiert werden kann und nicht hinterher nachkontrolliert werden muß. Dies ist in der Tat ein Beispiel, das die Japaner in der Automobilindustrie mustergültig vorexerziert haben. Und genau hier stoßen wir in Europa aufgrund der festgeschriebenen Verhaltensweisen auf schwierige Grenzen. Doch das Problem dabei ist: Wenn wir die alten Strukturen der Belegschaftsvertretungen und Personalverwaltungen aufbrechen, dann werden diese beiden Organisationsformen zum Teil von alleine überflüssig. Nicht nur bei uns, in der ganzen westlichen Welt ist das ein großes Problem.

Das bedeutet im Klartext das Ende der außerbetrieblichen Tarifpartnerschaft, wie sie seit dem Krieg für Deutschland typisch organisiert wird. Stößt also mit der Diskussion um Gruppenarbeit und „lean-management“ das soziale Modell Deutschlands auf Grenzen?

Ich will nicht sagen, daß die Tarifpartnerschaft im allgmeinen auf Grenzen stößt. Nur das Modell der Tarifpartnerschaft, die alles gleich regelt, stößt auf Grenzen. Wir müssen durchaus versuchen, die Vorteile dieses Modells, also die Konsensbereitschaft und die Vermeidung ständiger Streitereien, im Grundsatz aufrechtzuerhalten. Daneben aber müssen auch individuelle Lösungen je nach Bedarf und je nach Fähigkeit ermöglicht werden. Das ist eine schwierige Aufgabe.

Herr Reuter, Sie sprechen von der Globalisierung des Wettbewerbs und dem Zwang zu globalem Denken. Wenn Sie aber andeuten, das nächste Mercedes-Werk könnte in Korea oder Japan gebaut werden, dann geht ein Proteststurm durch die deutsche Öffentlichkeit. Ihnen wird dann vorgeworfen, den Industriestandort Deutschland zu gefährden. Ähnliche Kritik hat es in Japan nie gegeben. Zeigt das also, daß die Deutschen im globalen Denken noch ganz am Anfang stehen?

Mag sein, daß das so ist. Das hat ja auch seinen guten Grund. Entschuldigen Sie, wenn ich es so arrogant sage: Aber es ist bisher eben so gewesen, daß ein besseres Produkt als der Mercedes an keiner Ecke der Welt je konzipiert oder gebaut worden ist außer in Deutschland. Das darf man nicht leichtfertig aufgeben, und das werden wir auch nicht tun.

Wie lange noch ist der Mercedes das angeblich beste Auto? Wie lange noch kann er nur in Deutschland gebaut werden?

Natürlich wäre es ein Fehler, wenn wir meinten, unsere Autos seien ein Ruhekissen für die Zukunft. Das ist nicht der Fall. Deswegen denken wir darüber nach, ob eines Tages ein Mercedes auch in Korea gebaut werden könnte. Wir können nicht einerseits für den weltweiten Wettbewerb plädieren und auf der anderen Seite sagen: Es muß aber alles beim alten bleiben.

Die deutsche Nummer eins zieht nach Asien! Das wird sich weder die deutsche Politik noch die deutsche Arbeiterschaft so einfach sagen lassen.

Sie haben recht, wenn Sie auf den gesellschaftlichen Prozeß aufmerksam machen, der dahinter steckt und der zu großen Eruptionen führen kann. Die deutsche Volkswirtschaft und das deutsche Selbstverständnis haben aber auch zur Kenntnis nehmen müssen, daß inzwischen Contax und Leica, früher einmal prototypische Musterbeispiele für deutsche Ingeniosität und Qualität, heute nicht mehr in Deutschland gebaut werden. Bei der AEG innerhalb von Daimler- Benz machen wir zur Zeit einen sehr bitteren Prozeß durch, bei dem klar wurde, daß wir in Deutschland keine Schreibmaschinen mehr bauen können. Das alles hat etwas mit dem weltweiten Wettbewerb zu tun und daß wir möglicherweise alle zusammen hier und da Fehler gemacht haben. Die Folgen bleiben dann nicht aus. Deshalb müssen wir uns heute vorsorglich, um solche Fehler zu vermeiden, auch bei der Pkw-Produktion dieser Entwicklung stellen.

Wäre es Ihnen lieber, Sie würden heute schon ein neues Werk in Japan statt in Ludwigsfelde bauen?

Nein. Wir meinen, daß wir in Ludwigsfelde gute und wettbewerbsfähige Lkw montieren können. Die Entscheidung für Ludwigsfelde wurde im übrigen in der sehr kurz zurückliegenden Vergangenheit getroffen, als das Thema Japan längst eine selbstverständliche Diskussion bei uns war. Auch insofern wurde die Entscheidung für Ludwigsfelde bewußt getroffen.

Doch schon beim nächsten Mal könnte die Wahl auf einen Standort in Ostasien fallen. Wer soll dann noch in den neuen Bundesländern investieren?

Wir werden sicherlich nach Asien gehen. Wir haben im gesamten Konzern eine Grundsatzentscheidung getroffen, die besagt: Wenn es irgendwo um eine neue Produktlinie oder bedeutende Kapazitätserweiterung geht, dann darf die entsprechende Investition innerhalb des Standorts Deutschland nur freigegeben werden, wenn vorher nachgewiesen ist, daß außerhalb Deutschlands nicht bei gleicher Qualität wirtschaftlicher produziert werden kann. Es müssen also Alternativen geprüft werden. Das klingt einfach, war aber keineswegs einfach durchzusetzen. Es ist auch nicht einfach umzusetzen. Doch es ist keine negative Entscheidung. Ich lege großen Wert darauf, daß es sich um eine positive Entscheidung handelt.

Viele Deutsche fürchten um ihre Arbeitsplätze, wenn schon Daimler- Benz lieber Japaner beschäftigt.

Ich meine, hier liegen unsere gemeinsamen Aufgaben. Denn letzten Endes geht es um die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie und der Arbeitskräfte insgesamt.

Graf Lambsdorff meinte neulich in Tokio, daß, falls man den Deutschen jetzt auch noch erzähle, sie müßten den Gürtel aufgrund der japanischen Konkurrenz enger schnallen, gar nichts mehr ginge. Schließlich sei man mit Ostdeutschland schon vollauf beschäftigt.

Ich bin der festen Überzeugung, daß wir nicht den Fehler begehen dürfen, uns sozusagen mit Scheuklappen auf die Entwicklung in den neuen Bundesländern oder im östlichen Teil Europas zu konzentrieren. Wir müssen uns auf Osteuropa konzentrieren, weil sonst gewaltige Probleme ins Haus stehen. Aber wir dürfen uns darauf nicht beschränken. Wir müssen auch weiterführen, was wir in 45 Jahren deutscher Nachkriegsgeschichte aufgebaut haben: nämlich unsere weltweite Wettbewerbsfähigkeit.

Wir sind immer eine führende Exportnation gewesen und müssen das bleiben. Wir sind eine weltoffene Wirtschaft und dürfen diese Position nicht aufgeben. Dafür aber müssen wir die Fakten klarstellen, insbesondere unsere Wettbewerbslage gegenüber den Japanern.

Warum tut das niemand? Die japanischen Geräte stehen in jeder deutschen Wohnstube. Aber politisch wird offenbar nicht mitgedacht, was sich da an Nippon-Produkten in deutschen Kammern und Garagen türmt. In Frankreich hat die Regierungschefin Edith Cresson eine Japan-Diskussion angezettelt. Soll der Bundeskanzler folgen?

Entsprechend der französischen Mentalität meint Frau Cresson vielleicht, daß sie als Politikerin auch die Verantwortung für die Wirtschaft trägt. Ich wäre nicht sicher, ob ich mich freuen würde, wenn der Bundeskanzler in die Notlage versetzt würde, der deutschen Nation zu sagen, daß sie sich gefälligst auf den japanischen Wettbewerb vorbereiten soll. Das muß die Aufgabe der deutschen Wirtschaft sein. Wir sollten politische und wirtschaftliche Verantwortung nicht verwechseln. Management, Unternehmer und Gewerkschaften — wir müssen diese Dinge regeln.

Als vor kurzem Bundeswirtschaftsminister Möllemann zu Gast in Tokio war, hatte die taz Gelegenheit, ihn nach seiner Einschätzung der japanischen „keiretsu“ zu befragen — dieser Begriff bezeichnet die japanischen Konzerngruppen und taucht in den amerikanisch-japanischen Handelsgesprächen regelmäßig auf. Doch Herr Möllemann kannte nicht einmal den Terminus. Wie kann die deutsche Regierung dann noch über Japan mitreden?

Der Wirtschaftsminister hat das inzwischen aber sehr genau begriffen. Er führt das Wort nun ununterbrochen im Munde.

Ist das noch seriös?

Das zeigt in der Tat ein Defizit, das sehr zu beklagen ist. Viele Leute, zumindest die Intellektuellen, haben

dieses Versäumnis des Westens aber heute verstanden. Grund dafür war, daß sich die Japaner viel früher umgekehrt auf den Weg gemacht haben, um zu studieren, wie andere Kulturen — insbesondere die westeuropäische Kultur — funktionieren, wo ihre Kreativität und wo ihre Schwächen liegen. Das geschah bereits, als wir die Insel Japan allenfalls als Ziel exotischer Reisen zu Kirschblüten und Geishas betrachtet haben.

Herr Reuter, der Daimler- Benz-Konzern bezeichnet sich gerne als „global player“, als ein weltweit operierender Konzern. Doch die Geschäftsanteile Ihres Unternehmens sind sehr ungleichmäßig verteilt: 1989 fielen 67Prozent des Umsatzes auf Europa, 22Prozent auf Amerika und nur sieben Prozent auf Asien. Dagegen haben japanische Großkonzerne schon oftmals ausgewogene Anteile von jeweils etwa einem Drittel des Umsatzes in Asien, Amerika und Europa. Sie können deshalb freier operieren, Profite ausgleichen und sind nicht von einem einzelnen Kontinent abhängig. Wird Daimler- Benz damit gleichziehen können?

Wir arbeiten daran, dieses Ungleichgewicht abzutragen. Diese Situation trifft übrigens nicht auf alle Branchen in Deutschland zu. Die Chemieindustrie steht besser da. Das Haus Siemens zum Beispiel hat eine lange alte Tradition der Zusammenarbeit mit Japan. Die metallverarbeitende Industrie hat jedoch den fernöstlichen Markt lange Zeit als interessante aber marginale Zusatzmöglichkeit gesehen.

Das verspätete Interesse fand sich auch bei Daimler-Benz?

Wir haben das eigentlich sehr früh anders gesehen und uns in Indonesien, Taiwan und Malaysia engagiert. Aber in der Tat ist das Thema Japan bei den Pkw auch bei uns lange Zeit nicht als der Kern der Weltentwicklung gesehen worden. Diese Erkenntnis hat sich dann spätestens Anfang der 80er Jahre total gewandelt.

In Ihrer Zeit als Vorstandsvorsitzender haben Sie den Daimler- Benz-Konzern grundlegend umgekrempelt. Der Mitsubishi-Vize Yoshio Taniguchi hat der taz dazu gesagt, Daimler-Benz verfüge heute über „eine ähnliche Organisation“ wie Mitsubishi und andere japanische keiretsu-Gruppen. Hat die japanische Idee der Großkonzernorganisation bei dem Ausbau von Daimler-Benz Pate gestanden?

Es tut mir furchtbar leid, aber wir wollen bei der Wahrheit bleiben. Ich selbst habe bei den Überlegungen dieser Zeit nicht ein einziges Mal nach Japan geschaut. Meine Kollegen und ich haben ganz simpel geguckt, wie vor dem Hintergrund unserer Gegebenheiten und der Vision, die wir vor Augen hatten, eine sinnvolle Organisation in diesem Konzern aussehen könnte. Dann sind wir zu dem Ergebnis der drei Bereiche gekommen, über die wir heute verfügen: Fahrzeuge, Luft- und Raumfahrt und die Arbeitsgebiete der AEG.

Als wir zusätzlich feststellten, daß in diesen drei Bereichen eine Fülle von Dienstleistungen entsteht, die sich innerhalb des Konzerns vereinheitlichen lassen, kam der Entschluß, einen eigenen Dienstleistungsbereich „debis“ aufzubauen. Das war keineswegs aus der Idee des japanischen Handelshauses gewachsen. Nachdem wir diesen Konzern geschaffen hatten, fanden wir in der Welt vergleichbare Beispiele.

Und da fiel Ihnen Mitsubishi ein, die größte Industriegruppe der Welt. Mit Mitsubishi entschieden Sie sich für das, was Sie später eine „strategische Allianz“ nannten. Wie darf man sich diesen Entschluß vorstellen? Früher entschied der König von Frankreich, mit welchem Teil Italiens er sich verbündete, heute entscheidet der Konzernherr in Stuttgart über seine Partnerschaft mit Tokio?

In diesem Fall ist das so eine Entscheidung von oben gewesen. Aber wie immer gibt es auch hier eine Vorgeschichte. Wir haben seit vielen Jahren eine ausgesprochen freundschaftliche Beziehung mit der Mitsubishi-Motors-Corporation gehabt. Mitsubishi war also eine relativ logische Adresse, um auf dem Gebiet der Partnerschaft weiter nachzudenken. Wir überlegten tatsächlich, wo es denn weltweite Unternehmen gibt, die im industriellen Bereich ähnliche Aktivitäten wie wir haben. Da sind wir in Japan schnell auf Mitsubishi gestoßen.

In Japan wird das teilweise — mit einem gewissen Schmunzeln — so dargestellt, als hätten wir uns auf den Weg gemacht, um Mitsubishi um Gespräche und Hilfe zu bitten. Es lief aber anders. Wir haben über einen Mittelsmann eruieren lassen, ob dort Interesse an einem Gedankenaustausch bestünde. Mit dem Präsidenten der Mitsubishi Corporation, Shinroku Morohashi, führten wir dann das erste Gespräch, und daraus ergab sich, daß wir das Ganze „strategische Allianz“ genannt haben. Das war eine gemeinsame Idee von Morohashi und mir.

Seit dem ersten Gespräch mit Morohashi in Paris sind mehr als zwei Jahre vergangen. Wir können sagen, daß alle drei Gespräche, die die taz mit Führern von Mitsubishi führte, in einem ganz anderen Tonfall und in einer anderen Stillage als das unsere heute geführt wurden. Mußten auch Sie Ihren Tonfall und Stil in den Mitsubishi-Gesprächen ändern?

Zuallererst ist es doch so, daß wir alle — meine Kollegen durchaus mit eingeschlossen — bei unseren Gesprächspartnern mit großer Faszination Menschen kennengelernt haben, Menschen wie du und ich. Wir haben auch schon gemeinsam gesungen.

Karaoke, das japanische Feierabendvergnügen?

Nein, so weit sind wir noch nicht. Aber das kann ja noch kommen. Jedenfalls hat sich gerade bei den letzten Gesprächen eine ausgesprochen gute — ich will nicht sagen Vertrauensbasis, weil das Wort Vertrauensbasis schon wieder einen westlichen Klang hat — atmosphärische Situation ergeben, aus der heraus man auf beiden Seiten gemerkt hat, daß der eine sich in der Diskussion so oder so verhält, daß man aber trotzdem um die selben Probleme ringt, daß man nicht gegeneinander, sondern miteinander um eine Lösung bemüht ist. Diese Phase haben wir alle erfolgreich hinter uns gebracht. Doch nun kommt eins dazu. Es gibt sicherlich auf unserer Seite Menschen, die mehr, und andere, die weniger Sensibilität für solche Dinge haben.

Zu letzteren zählt offenbar Mercedes-Chef Werner Niefer, der den Japanern neulich vorwarf, „eindeutig einen Wirtschaftskrieg“ zu führen. Im taz-Gespräch entgegnete Mitsubishi-Vize Takeshi Eguchi daraufhin, daß er sich wünsche, Herr Niefer könne in Zukunft „seine Autos besser verkaufen“. Macht sich Europas größter Konzern vor Mitsubishi nicht geradezu lächerlich, wenn er im eigenen Haus eine solche Gegenpropaganda in der Chefetage duldet?

Dies war keine Gegenpropaganda. Wenn ich mir über eines sicher bin, dann darüber, daß mein Kollege Niefer die grundsätzliche Bedeutung der Zusammenarbeit mit Mitsubishi genauso beurteilt wie ich. Niefer ist vom ersten Zusammentreffen mit Morohashi in Paris an dabei gewesen, ist ein Mitträger der Idee von Anfang an.

Daß in Diskussionen mit geschickten Journalisten auch einmal Mißverständnisse passieren, das hat es umgekehrt auch gegeben. Auf jeden Fall haben die Äußerungen von Herrn Iida gegenüber der taz doch relativ große Aufmerksamkeit bei uns erregt. Aber wir haben sie trotzdem nicht als Gegenpolitik mißverstanden. [In einem taz-Interview vom 7.Juni 1990 hatte der Vorsitzende von Mitsubishi Heavy Industries, Yotaro Iida, die Zusammenarbeit mit Daimler Benz als „Grundstein für die Weltfreundschaft“ bezeichnet, dabei aber eine militärische Kooperation — entgegen den vorherigen Vereinbarungen — nicht grundsätzlich ausgeschlossen, d.R.]

Bei Mitsubishi hört man Klagen, daß sich besonders die unteren Verhandlungsführer von Daimler- Benz nicht so recht für den Dialog engagieren. Trifft das Ihrer Meinung nach zu?

Das ist sicher richtig, hat aber nichts mit Mitsubishi oder Japan zu tun. Kein Unternehmen, das so lange wie wir erfolgreich ist, tut sich mit der Herausforderung leicht, sich mit einem Partner zusammenzutun und möglicherweise auf die eigenen Weisheiten einmal zu verzichten, um Neues zu lernen.

Dieser Prozeß des Kapierens und Mitmachens macht in den unteren Rängen gewisse Schwierigkeiten. Das haben wir auch gemeinsam mit der Mitsubishi-Führung als für beide Seiten gültige Analyse festgestellt. Das betrifft also keinesfalls nur Daimler-Benz.

Welches neue Mitsubishi-Daimler-Projekt können Sie uns nun verkünden?

Wir können nicht beliebig neue Projekte in die Welt setzen.

Im letzten Monat wurde ein Projekt zwischen der AEG und Mitsubishi-Electric im Halbleiterbereich vereinbart. Der Eindruck entsteht, als stottere es so langsam die Ergebnisse?

Wir stottern da ganz gerne weiter, um Ihren Ausdruck aufzugreifen. Wir denken bei dieser Sache sehr langfristig. Ganz bewußt. Es kann also durchaus sein, daß mal ein Jahr vergeht, ohne daß überhaupt etwas neues gesagt wird.

Neben der strategischen Allianz war von einer „gleichberechtigten Partnerschaft“ zwischen Daimler und Mitsubishi die Rede. Bei genauerer Betrachtung entsteht aber ein ganz anderer Eindruck: Takeshi Eguchi, der Mitsubishi-Vize, ist zum Beispiel ein Mann, der schon Anfang der sechziger Jahre acht Jahre in Deutschland verbrachte. Seine Kinder sind hier geboren. Es können also noch zehn oder zwanzig Jahre vergehen, bis in der Daimler- Spitze ein Mann sitzt, der Japan so gut kennt wie Eguchi die Bundesrepublik. Kann da wirklich von Gleichberechtigung die Rede sein?

Da liegt sicherlich ein Manko in diesem Bild der Gleichberechtigung. Doch müssen beide Seiten nicht in jeder einzelnen Nuance einer solchen Zusammenarbeit über jeweils gleichgewichtige Fähigkeiten, Komponenten und Kenntnisse verfügen. Darin liegt ja gerade der Sinn der Sache. Wenn wir sagen: breite, strategische Allianz, dann heißt das, daß wir auf gewissen Gebieten Schwächen und auf anderen Gebieten Stärken haben.

Beides muß sich miteinander ergänzen. Sicherlich muß dabei die Zielsetzung sein, daß wir uns am Ende vom Kenntnisstand her gleichgewichtig kennen. Da aber sind wir zuversichtlich. Wir bringen in diese Kooperation eine sehr intensive Kenntnis unserer Märkte ein.

Herr Reuter, in den Zeiten der neuen deutschen Einheitlichkeit haben sie beharrlich wider die „überwunden geglaubten Muster des politischen und wirtschaftlichen Nationalismus“ gesprochen. Wer in der Bundesrepublik versteht eigentlich noch den Kosmopolitismus, den Sie predigen?

Was die deutschen Unternehmer betrifft, muß ich Ihrem Eindruck lebhaft widersprechen. Ich komme gerade von einem Treffen mit namhaften Kollegen. Ich kenne dort keinen, der nicht felsenfest von der Notwendigkeit einer weltweiten Präsenz, also eines weltweiten Denkens geprägt ist.

Von Japan aus gesehen entsteht manchmal der Eindruck, als leide die deutsche Industrie unter einem ähnlichen Irrtum wie die deutschen Fürstentümer in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Damals übersah man die Entstehung der Nationen, heute übersieht man die Entstehung eines weltumspannenden Marktes. Ist es so?

Auch das sehe ich überhaupt nicht so. Wenn ich ein Vertrauen habe, dann dieses: daß die deutsche Industrie, auch die mittelständische, das Weltmarktproblem längst verstanden hat und auf dem Weg ist, damit fertig zu werden. Da ist viel mehr unterwegs, als man wahrhaben will.

Weltkonzerne wie Daimler- Benz, so behaupten Sie gerne, seien wesentliche Träger der internationalen kulturellen Verständigung. Wir haben aber nicht vergessen, daß sich der deutsche Kapitalismus auch in der Zeit des Nationalsozialismus international und kosmopolitisch gab, einen kulturellen Anspruch damit aber wahrlich nicht rechtfertigte. Ist das heute so grundsätzlich anders?

Ich glaube, ja. Die Welt hat sich inzwischen völlig verändert. Sie ist vernetzt. Früher war die individuelle kosmopolitische Neigung deutscher Unternehmer entscheidend, die Französisch, Englisch oder Italienisch sprachen und ein Haus in der Toskana hatten. Heute liegen die Gegebenheiten in der Produktion. Der Vertrieb und die Entwicklung von Produkten bedingen eine absolute Vernetzung der Weltwirtschaft, zumindest was die großen Unternehmen angeht.

Dies ist auch mein Argument gegen den Nationalismus: Denn dieses Netz ist schon heute so eng gesponnen, daß es sehr schwer sein würde, es mit politischen Mitteln wieder zu zerreißen.

Shuichi Kato, einer der bekanntesten japanischen Kulturphilosophen, behauptet, daß im Wettbewerb zwischen Gesellschaftssystemen die Schlüsselfrage nicht im Kampf der Systeme liegt, sondern was beide voneinander lernen. Heute gelte diese Systemfrage nicht mehr zwischen Kapitalismus und Sozialismus, sondern zwischen den westlichen und japanischen Unternehmens- und Wirtschaftsmodellen. Ist dies die Schlüsselfrage?

Das kann ich vorbehaltlos bejahen. Dabei dürfen wir jedoch nicht die Notwendigkeit vergessen, daß wir miteinander im Wettbewerb stehen. Man darf also eine solche Erkenntnis nicht mit der denkbaren Taktik des Kalmierens, der Beruhigung des Wettbewerbswillens, verwechseln.

Doch liegt nicht in der Auseinandersetzung der Systeme, also mit der japanischen Konkurrenz, auch die Gefahr erdbebenähnlicher Einbrüche, die die deutsche Volkswirtschaft erschüttern könnten?

Diese Gefahr sehe ich nicht, gerade wenn das Lernen voneinander rechtzeitig und richtig beginnt. Es wird viel Schlachtgeschrei ausgestoßen. Doch die deutsche und die europäische Wirtschaft haben das Problem, vor das Japan sie stellt, grundsätzlich begriffen. Nun ist es die Frage, ob sie die Kraft hat, ihre Einsicht auch umzusetzen. Daran arbeiten wir alle.

Mitarbeit: Chikako Yamamoto.