„Mutproben“ im Allgäu

Polizei verheimlicht Brandanschlag auf eine türkische Arbeitersiedlung in Kaufbeuren — Polizeisprecher: Täter „denken nur ein bißchen rechtslastig“  ■ Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) — Das Allgäu muß sauber bleiben, denkt offenbar die Polizeidirektion Kempten. Nur dumm, daß ab und zu ein Flüchtlingswohnheim brennt oder ein jüdischer Friedhof von „unverbesserlichen Neonazis“ (Urteil des Memminger Jugendschöffengerichtes im Februar 1991) verwüstet wird. So muß Polizeipressesprecher Helmut Urbanczyk derlei Vorfälle als „Mutproben“ und „qualifizierte Streiche“ bagatellisieren. Daß die Polizei einen Brandanschlag der Presse nicht mitteilte, entschuldigt Urbanczyk mit „Informationslücken“ und „Übermittlungsfehlern“. In einem ist sich der Polizeisprecher aber ganz sicher: „Im gesamten Allgäu gibt es nach wie vor keine rechtsradikale Gewaltszene.“

Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz schätzt die Lage etwas anders ein. Es führt in seinem Bericht vom 25.11.91 nicht nur den Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim in Immenstadt vom 12.Oktober letzten Jahres auf, bei dem zwei der Insassen in Panik aus dem Fenster gesprungen sind und sich dabei verletzt haben, sondern auch einen Brand in einem Asylbewerberheim in Kaufbeuren am gleichen Tag, bei dem sieben türkische Staatsangehörige zum Teil schwer verletzt wurden und einen Anschlag einen Tag zuvor auf eine türkische Arbeitersiedlung in Kaufbeuren. Peinlich für die in Kempten residierende Polizeidirektion: Die 'Allgäuer Rundschau‘ wunderte sich vorgestern, denn die Presse hatte von dem Anschlag nicht erfahren. Und das, obwohl die Polizei im Rahmen der Ermittlungen zu dem Brand am 12.Oktober die drei Täter ermitteln konnten.

Daß die Nachricht vom Wurf eines Molotow-Cocktails in den Hof der Arbeitersiedlung in Kaufbeuren mit dem Vermerk „nicht pressefrei“ versehen wurde, begründet Polizeisprecher Urbanczyk mit „zunächst ermittlungstaktischen Gründen“, später sei dies „dann versehentlich“ passiert. „Pflichtgemäß“ habe die Polizeidirektion jedoch das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz informiert. Daß dieses dann die beiden Brandanschläge in Zusammenhang mit der Existenz einer lokalen „Skinheadszene, die zu gewalttätigen Aktionen neigt“, gebracht hat, sei auf eine „Informationslücke“ bzw. „Übertragungsfehler“ zurückzuführen.

Die Ermittlungen hätten jedoch sehr schnell ergeben, daß die drei Jugendlichen zwischen 17 und 19 Jahren den Molotow-Cocktail bereits am „4., 5. oder 6. Oktober“ in den Hof der türkischen Arbeiterwohnsiedlung geworfen haben und daß kein Zusammenhang mit den anderen Anschlägen bestünde. Zudem weist Urbanczyk die Wertung des Verfassungsschutzes weit von sich, daß in Kaufbeuren oder im Allgäu eine gewalttätige ausländerfeindliche Szene zu finden wäre. Die drei Täter würden nur „ein bißchen rechtslastig denken“ und wollten mal „einen Molotow-Cocktail ausprobieren“. Sie seien aber „keine Skinheads“ und schon gar „nicht gewalttätig“. Für Urbanczyk ist es „zweifelsfrei“ erwiesen, daß „kein politisches Motiv wie etwa Ausländerfeindlichkeit“ vorgelegen habe.

Eine Standardbegründung für ähnlich gelagerte Übergriffe im Allgäu, wie es scheint. Auch die drei in Zusammenhang mit dem Immenstädter Vorfall (12.10.91) festgenommenen Täter gehörten laut Urbanczyk „einer Randgruppe, die rechtem Gedankengut nahestehen“, an. Es läge aber auch dort „kein politisches Motiv“ vor, vielmehr habe es sich um „eine Mutprobe oder einen qualifizierten Streich“ gehandelt.

Als ein Jahr zuvor, am 17.November 1990 in Kempten ein Brandanschlag auf ein von türkischen Staatsangehörigen bewohntes Haus verübte wurde, bei dem ein Türke starb und fünf verletzt wurden, schloß die Polizei schon zu Beginn das Vorliegen eines politischen Motivs aus, obwohl ein Bekennerbrief einer „Anti-Kanaken-Front-Kempten“ gefunden wurde.