HEUTE IM AMBIENTE: Sarah Kirsch

taz: Sie lesen am Montag in Bremen...

Sarah Kirsch: Ich möchte nur ein Interview machen, wenn Sie nicht nach den Stasi-Akten fragen!

Werden Sie das immer gefragt?

Im Moment rufen die ja deshalb alle bei mir an.

Sie lesen aus „Schwingrasen“ und „Spreu“...

Ja, und aus ein paar unveröffentlichten Sachen.

Alles neuere Texte?

Ja, die beiden Bücher sind vom Herbst.

Die Ankündigung verspricht „eine Art poetischer Biographie“...

Wahrscheinlich, weil „Spreu“ so ein bißchen tagebuchähnlich ist. Das ist aus dem Jahr 1989.

Also keine literarische Biographie aus Texten von früher bis heute...

Nein, aus den letzten Büchern liest es sich immer am besten.

Warum?

Weil man das geübt hat, und das andere versinkt wieder. Das Neue muß man auch ausprobieren. Das Unveröffentlichte hat es besonders nötig, weil man da noch was ändern kann. Vor Publikum fällt einem auf, was noch nicht ganz astrein ist.

Weil das Publikum so reagiert, wie es gar nicht gemeint war?

Sowas. Aber auch nur, indem es da ist und ich in voller Ernsthaftigkeit meine Texte anbiete. Ich habe von den Lesungen auch was, wenn es nicht zu viele sind.

Sie sind ja Autorin und keine Vorleserin — in welchem Verhältnis steht das zueinander?

Ich mache höchstens 24 Vorlesungen im Jahr, allerhöchstens.

Ist das Publikum sehr unterschiedlich?

Mein liebstes Publikum ist, wenn es sowohl Männer als Frauen, Jugendliche und alle Altersgruppen sind. Das ist aber meistens so, weil die Leute sich doch seit einigen Jahren mehr für Literatur interessieren. Die Talk-Shows gehen so langsam wieder ihrem Ende entgegen.

Kommt ein Publikum, das sie kennt?

Es gibt ein kleines Stammpublikum, aber auch viele, die noch nie was gehört haben.

...die auch Ihre politische Biographie nicht kennen. Sie haben gegen die Ausbürgerung Biermanns unterschrieben und schließlich 1977 die DDR verlassen. Im Moment, sagten Sie, werden Sie dauernd nach der Stasi gefragt.

Ja, als die Sache mit Biermann und Anderson anfing! Da sagt man ja auch was dazu, ich mache das auch, weil es ja wichtig ist — bloß wenn es nur darum geht... Ich sage gern meine Meinung, aber meine Texte sind mir auch wichtig.

Worum geht es in dem, was Sie an Unveröffentlichtem lesen werden?

Das sind Reisegedichte; merkwürdigerweise haben sich die in den letzten vier Jahren so angesammelt, weil ich durch Skandinavien gereist bin.

Wenn Sie zurückblicken auf Ihre Produktion — wie geht es Ihnen heute mit dem ersten, zweiten zwölften Stück?

Ich kann sie fast wieder neu entdecken, weil sie so weit weggerückt sind. Ich hab die aber sehr gern, selbst wenn ich ein paar Ungeschicklichkeiten darin wahrnehme. Es hat auch einen Charme, vieles könnte heute so nicht von mir geschrieben werden, selbst wenn ich wollte. Deshalb würde ich meine Sachen nie versuchen zu verbessern. Die sind in einer bestimmten Zeit mit bestimmten Erfahrungen entstanden.

Das ist das Sprachliche. Gibt es Inhaltliches, das Sie heute anders sehen?

Ja, manches hat man damals so gesehen, das findet man heute etwas blauäugig — aber warum nicht? Ich hab' gerade frühe Gedichte gefunden, die passen haarscharf auch biographisch zu den Stasi-Akten-Sachen. Ganz frühe Gedichte, wo ich schon sehr skeptisch bin und wo es um Verrat geht, aus meinem ersten Gedichtband, da war ich 25. Heute denke ich: Eigentlich wußte mein Unterbewußtsein ja schon Bescheid in der DDR, womit zu rechnen war. Das ist so ganz lustig für einen selbst. Ich nehme so einen Band mal mit, vielleicht kommt die Sprache drauf.

Wie geht es Ihnen in Norddeutschland?

Sehr gut. Das ist kein Rückzug, sondern eine Konzentration, weil man hier einfach besser arbeiten kann. Ich werde immer ärgerlich, wenn man mir sagt, ich wäre in die Idylle gezogen. Also, hier sieht man genau, was aus den Abwässern wird, da kann man nicht einfach ziehen und weg sind sie: Hier stehen die in Gräben. Außerdem wohnen hier ja auch Menschen, und die haben durchaus ihre Probleme.

Was haben Sie vor? Literarische, persönliche Pläne?

Ja, immer. Das kann man nicht genau einbinden, ich schreibe immer was, und nach zwei Jahren guck ich, was es wird. Und ein paar Reisen möcht ich machen. Fragen: S.P.

Im Rahmen der 16. Literarischen Woche liest Sarah Kirsch heute um 20 Uhr im Ambiente; Moderation: Prof. Gerd Sautermeister, Büchertisch: Blessing