Hilfe versprochen — Wildwest praktiziert

■ Wie die Stadtgemeinde Bremen einen Wirtschaftsbetrieb fördert und den Anwohnern das Leben zur Hölle macht

Es ist eine Geschichte von der Qualität: „Das gibt's doch nicht.“ Beteteiligt sind heute noch drei Familien, eine Druckerei, die Stadtgemeinde Bremen mit mehreren Ämtern und das Gericht. Es ist ein Drama in mehreren Akten, das vor ungefähr 10 Jahren seinen Anfang nahm. Erzählt wird von der beinahe alltäglichen Praxis fragwürdiger Wirtschaftsförderung und den ganz und gar nicht alltäglichen Folgen für AnwohnerInnen, deren Eigentum durch diese Wirtschaftsförderung dramatisch an Wert verlor und die dennoch seit Jahren und bislang vergeblich um eine Wiedergutmachung des entstandenen Schadens kämpfen müssen. Kurz: Es geht um Wohnraumvernichtung als Wirtschaftsförderung.

AM RASTPLATZ IN LESUM

„Sehen Sie sich das doch mal an. Hier sieht es aus wie in Kroatien.“ Tischlermeister Horst Eylers zeigt auf eine Hausruine auf dem Nachbargrundstück. Die Fenster sind herausgebrochen, das Dach eingeschlagen, den kaputten Rest haben die Abbrucharbeiter seit Monaten nicht mehr angerührt. Wir befinden uns mitten in Bremen-Lesum. Das Gebiet an der Straße Am Rastplatz ist eigentlich für ein Wohngebiet ideal gelegen. Der Stadtkern, der Kindergarten, die Schulen, der Bahnhof, alles ist in Minuten zu Fuß erreicht. Doch für die letzten drei Familien, die hier noch wohnen, läuft die Zeituhr. Denn dies ist das Reich der Firma Jöntzen, einer Druckerei mit einer starken Verbündeten: der Stadtgemeinde Bremen. Und die hat dem Betrieb über die Jahre jede Hilfestellung gegeben, so daß die verbliebenen drei Häuser inzwischen wie eine kleine Enklave mitten im Firmengelände liegen.

Der 1. Akt: WIE DIE FIRMA JÖNTZEN GEFÖRDERT WIRD

Bei der Firma Jöntzen werden Kartonagen aller Art bedruckt, zum Beispiel für die Firma Kellogs. Anfang der 80er Jahre wandte sich Jöntzen an die Stadt. Das Begehren: Da das Unternehmen auf der vorhandenen Betriebsfläche nicht mehr wirtschaflich produzieren könne, brauche man weiteres Gelände. Ein klassischer Fall für die Wirtschaftsförderung: Die Stadt veräußerte zwei Grundstücke, jeweils zu „nichtmarktkonformen Preisen“, wie viele Jahre später in einem Beschluß der Entschädigungsbehörde nachzulesen sein wird. Doch produziert wird auf den gekauften Flächen heute noch nicht. Auf der einen Fläche (Preis 38,50 Mark je Quadratmeter) wuchert das Grün, auf der anderen Fläche (Quadratmeterpreis: 30 Mark) stehen die Autos der rund 100 MitarbeiterInnen. Wirtschaftsförderung „also zur Förderung des individuellen Personennahverkehrs“, wie die Entschädigungsbehörde in einer Expertise schlußfolgert.

Doch der von der Stadt subventionierte Grundstücksankauf hatte für Jöntzen noch andere positive Folgen. Da der Wert der Grundstücke höher war als der Kaufpreis, so ist zu vermuten, konnten die Grundstücke dazu benutzt werden, um über Kredite neue Maschinen anzuschaffen. Diese wurden in den alten, rund 120 Meter langen Produktionshallen aufgestellt. Somit gab es zwar neue Besitzverhältnisse „Am Rastplatz“. Für die damals noch sechs Familien, die gegenüber der Druckerei lebten, änderte sich zunächst aber nicht.

2. Akt: DER BEBAUUNGSPLAN WIRD GEÄNDERt

Doch das sollte sich 1985 ändern. Zu der Zeit begann die Diskussion um einen neuen Bebauungsplan. Bis dahin war das Gebiet als Mischgebiet in den Bauplänen verzeichnet. Das heißt: Wohnen und Gewerbe sollten nebeneinander existieren. Jetzt sollte das Gebiet zum reinen Gewerbebetrieb umgewidmet werden. „Zur Stärkung der Wirtschaftskraft des Stadtbezirks Bremen-Nord und insbesondere des Raumes Burglesum ist es erforderlich, sowohl Flächen für die Ansiedlung neuer Betriebe als auch für die Erweiterung bestehender Betriebe bereitzustellen“, heißt es in der Begründung der Stadt.

Die Anwohner liefen gegen die Planänderung Sturm. Seitenweise begründeten sie ihre „Anregungen und Bedenken“. Eine Minderung des Wohnwertes und höhere Imissionen wurde befürchtet und vorgeschlagen, doch den Betrieb an anderer Stelle neuanzusiedeln.

Doch für die Stadt sind andere Aspekte bei der Flächenplanung wichtiger. „Eine Betriebsverlagerung wäre mit derartigen Kosten verbunden, daß sie von der Stadtgemeinde nicht finanziert werden könnte“, hieß der offizielle Bescheid. Unterschrift: Bausenator Bernd Meyer und der Sprecher der Baudeputation Claus Dittbrenner.

Also wurde der Bebauungsplan im Jahr 1986 durch die Bürgerschaft zur rechtsverbindlichen neuen Planungsgrundlage. Doch die Belange der Anwohner blieben auf dem Papier nicht ganz unberücksichtigt: „Die Wohnnutzung entspricht wegen des benachbarten Gewerbes nicht den Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse. Daher sind Vorstellungen zu entwickeln, wie nachteilige Auswirkungen der Planung vermieden bzw. gemindert werden können“, hieß es unter der Überschrift „Grundsätze für soziale Maßnahmen.“

„Die Gemeinde wird den Anwohnern behilflich sein“

Also beschloß die Bürgerschaft: „Die Gemeinde wird den Bewohnern der von der Planung betroffenen Wohngebäude bei der Beschaffung eines Ersatzgrundstücks bzw. Wohngebäudes behilflich sein.“

Und weiter an anderer Stelle: „Sofern sich aufgrund des rechts

Tischlermeister Horst Eylers vor den Resten des WohngebietesFotos: Christoph Holzapfel

verbindlichen Bebauungsplanes für einzelne Grundstücke Nutzungsbeschränkungen ergeben sollten, wird auf Antrag eine Entschädigung gewährt werden.“ Bei dem letzten Punkt „Kosten und Finanzierung“ war der Beschluß dann allerdings nur in einem anderen Punkt konkret: Knapp 800.000 Mark sollten der Straßen- und Kanalbau kosten, der ausschließlich der Firma Jöntzen zu gute kam. Bezahlen sollten dies die SteuerzahlerInnen und alle Anlieger. Und in der Tat flatterten den planungsgeschädigten AnwohnerInnen viele Jahre später Rechnungen für Erschließungbeiträge über mehrere tausend Mark ins Haus.

3. Akt: JURISTISCHE

VERWIRRSPIELE

Zwischenzeitlich hatte sich das Drama aber längst eine neue Bühne gesucht, die der Juristerei. Und zwar mit allen Winkelzügen, die auf solchen Bühnen üblich sind, wenn eine mächtige Beklagte ihr Unrecht nicht einsehen will. Und diese Beklagte ist in unserem Fall die Stadtgemeinde Bremen. Denn von der im Bebauungsplan versprochenen Hilfe, von der Bereitschaft „Entschädigung“ zu zahlen, war für die Anwohner nichts mehr zu spüren, nachdem der Bebauungsplan erst einmal verabschiedet war. Kein öffentlich Bediensteter bequemte sich zum Rastplatz, um sich persönlich um eine gütliche Lösung zu bemühen. Im Gegenteil: Die Anwohner mußten sich bis 1989 mit dem nun zuständigen Liegenschaftsamt streitig vor der beim Bausenator angesiedelten, aber fachlich unabhängigen Entschädigungsbehörde herumschlagen.

Und diese Behörde gab den Anwohnern eindeutig recht und verpaßte der Stadtgemeinde in der 16-seitigen Begründung ein paar kräftige Ohrfeigen. Für ein solches in „Hubschrauberlage“ gelegens Grundstück inmitten des Firmengeländes gäbe es realistischer Weise keinen anderen Kaufintessenten als die Firma Jöntzen selbst. Diese habe aber offensichtlich gar kein Interesse an einer räumlichen Erweiterung und könne deshalb „vernünftigerweise keinen Anlaß zu einer Investitionsbereitschaft von mehr als 30 Mark /Quadratmeter haben“.

Der frühere Wert des Grundstücks wurde auf 300.000 Mark taxiert, der vermutete aktuelle Wert lag bei 24.000 Mark. Also, so die Entschädigungsbehörde, sei die Stadt verpflichtet, eine Entschädigung zu zahlen. Doch trotz der deutlichen Worte stellte sich das beim Finanzsenator angesiedelte Liegenschaftsamt weiter stur und rief das Landgericht an.

Und das kam 1990 zu einem be

merkenswerten Urteil. Es könne zwar unterstellt werden, daß der Wert des Grundstücks gesunken sei, dennoch stehe den Anwohnern keine Entschädigung zu. Der Grund: „Der Eingriff wird für die Eigentümer erst individuell spürbar, wenn er bei der Verwertung des Grundstücks Mindererlöse erzielt.“ Klartext: Die Anwohner sollten in einem Gebiet bleiben, das, wie die Bürgerschaft festgestellt hatte, „den Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse“ nicht entspricht oder ihr Grundstück mit den wertlosen Häusern erst zum Schleuderpreis verhökern und dann erneut den Klageweg beschreiten. Wo die sechs Familien in der Zwischenzeit unterkommen und wie sie das finanzieren sollten, über derlei lebensnähere Fragen machte sich das Gericht keine Gedanken.

4. Akt: DIE DAUMENSCHRAUBEN WERDEN ANGEZOGEN

Seitdem sind fast zwei Jahre vergangen. Gutachten wurden erstellt und in Frage gestellt. Die Verhandlung vor der nächsten Instanz ist inzwischen für Ende Februar einberufen. Doch die Stadt hat die Daumenschrauben mittlerweile weiter angezogen. Drei der Anwohner wurden aus der Front der Betroffenen herausgekauft. In der kurzen Zusammenfassung des Rechtsanwaltes der Verbliebenen liest sich das so: „Dabei erklärte ein gewissr Amtsrat M. gegenüber den Geschädigten, deren Situation im Prozeß sei ohnehin hoffnungslos; selbst wenn die Stadtgemeinde Bremen unterliegen sollte, würde das Verfahren auf unbestimmte

Zeit vor dem Bundesgerichtshof fortgesetzt. Wenn also die Geschädigten jemals Geld sehen wollten, dürften sie den Prozeß nicht fortsetzen, sondern müßten vielmehr striktes Stillschweigen über die Gespräche und eine etwaige Vereinbarung bewahren.

Die angesprochenen drei Anwohner fügten sich in das Schicksal und verkauften, diesmal direkt an die Druckerei Jörtzens, doch wie immer unter tätiger Mithilfe der Wirtschaftsförderungsgesellschaft. Nach dem Anwalt vorliegenden Informationen soll die WfG den „weitaus größten Teil des Gesamtkaufpreises von knapp 1 Million Mark übernommen haben.“

Seitdem stellt sich die räumliche Situation neu dar. Jetzt sind die verblieben drei Häuser restlos vom Firmengrundstück umschlossen, eine weitere Werkszufahrt für die schweren Lastern ist angekündigt. „Auf diese Weise ist dann ein Kreisverkehr möglich, der allerdings für die in Insellage befindlichen Anwohner bedeutet, daß rund um sie herum ein LKW-Autokorso stattfindet“, wie der Anwalt schreibt.

„Auf diese Weise ist dann ein Kreisverkehr möglich, der für die in Insellage befindlichen Anwohner bedeutet, daß rund um sie herum ein LKW-Autokorso stattfindet.“

Doch dies war nur Teil des Versuchs, die Verbliebenen zum Billigtarif zu vertreiben. Der nächst Schlag hatte es in sich. Kurz nach der mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht glaubten die AnwohnerInnen nicht richtig zu sehen, als sie die „Amtlichen Bekanntmachungen“ lasen. Darin wurde vom Bauamt Bremen-Nord mitgeteilt, daß nun die Entwidmung der Straße Am Rastplatz eingeleitet werde. Unbürokratisch formuliert: Die Straße, über die die Anwohner ihre Häuser erreichen, sollen zur Privatsache der Firma Jöntzen erklärt werden. Wenn dieser Akt vollzogen ist, wären die Anwohner quasi von der Außenwelt abgeschnitten.

VORLÄUFIGES ENDE, OFFEN.

„Hier läuft eine ganz linke Sache.“ Willi Kromarek ist einer der Hauseigentümer. Er hat 1983 ein altes, schnuckeliges Bauernhaus erstanden, in dem seine Tochter und drei Enkel wohnen. Kromarek, der selbst ein paar Straßenzüge weiter wohnt, wollte seine Verwandten im Alter in der Nähe wohnen haben. „Damals hat das 300.000 gekostet. Und jetzt hat man mir 150.000 geboten.“

„Die wollen uns am ausgestreckten Arm verhungern lassen“

Ganz abgesehen davon, daß er außer Geld auch die versprochene Hilfestellung erwartet, damit die Angehörigen weiterhin in seiner Nähe wohnen können. Was die Stadt dort „Am Rastplatz“ veranstaltet, das ist für Kromarek inzwischen überdeutlich: „Die wollen uns am ausgestreckten Arm verhungern lassen.“

„Wir kommen hier einfach nicht weg“, hat auch Anwohner Horst Eylers inzwischen fast resigniert. Auch für ihn ist die Situation doppelt schlimm. Neben seiner Wohnung hat er dort auch noch einen kleinen Tischlerei-Betrieb mit sieben Mitarbeitern. Mit Geld alleine ist es deshalb nicht getan: „Da muß mir die Stadt doch helfen, damit ich irgendwo anders mit dem Betrieb weitermachen kann.“

Aber um Eylers kümmert sich keine Wirtschafts-Förderungs- Gesellschaft. Ihm und den anderen bleibt nur die Hoffnung auf das Oberlandesgericht. „Dabei wollten wir diese Auseinandersetzung nicht. Wir wurden ja regelrecht ins Gericht 'reingetrieben.“

Doch wenn er auf seinem Hof steht und das halb abgerissene Haus sieht, das man dort seit Monaten liegenläßt, dann schwant Eylers nichts Gutes: „Auch das ist doch Schikane. Und die Zeit, die läuft für die Stadt.“

Holger Bruns-Kösters