Invalidenfriedhof

■ Neue alte Gräber drohen jetzt zu einer Pilgerstätte für neue und alte Militaristen zu werden

Berlin-Mitte, Scharnhorststraße. Hier liegt der Invalidenfriedhof. 1748 eingeweiht, war der Friedhof nur eine der zahlreichen Militäreinrichtungen in dieser Gegend. Gleich nebenan lag das Invalidenhaus, in dem Kriegsversehrte auf Staatskosten lebten. Sie hatten also einen kurzen letzten Weg ins Grab. Außerdem gab es hier den Invalidenpark mit der 1850-1854 errichteten Invalidensäule (1948 gesprengt), die Gnadenkirche, ein Krankenhaus, eine Militärturnanstalt, Exerzierplätze (heute »Stadion der Weltjugend«) und natürlich zahlreiche Kasernen.

Einfache Soldaten, vor allem aber vom preußischen Staat geehrte Generäle wurden auf dem Friedhof zu Grabe getragen. Insgesamt sind auf dem Friedhof 6.000 Menschen beerdigt. Nach den Befreiungskriegen und nach 1848 war der Friedhof immer mehr ein Prominentenfriedhof geworden. Gerhard von Scharnhorst liegt zum Beispiel hier. Scharnhorst war preußischer General und hat durch die Reform der Armee, insbesondere die Einführung der Wehrpflicht, Berühmtheit erlangt. Deswegen galt er auch in der DDR als »fortschrittlich«. Sein Grab war zur DDR- Zeit das einzig offiziell gepflegte. Dabei ist es auch ein bemerkenswertes Bauwerk, das 1824 von Schinkel konstruiert wurde. Der schlafende Löwe auf dem Marmorsarkophag stammt vom Bildhauer Christian Daniel Rauch. Heute schützt eine Stahl- Glas-Konstruktion das Bauwerk. Gleich neben Scharnhorst liegt Feldmarschall und preußischer Kriegsminister Hermann von Boyen (1771-1848) mit seiner Familie.

Nur einige Schritte weiter befindet sich das Grab von Hans Karl von Winterfeldt (1707-57), Freund Friedrichs II und General im Siebenjährigen Krieg. Auf seinem Grabstein fehlt merkwürdigerweise das »t« seines Namens am Ende. Daneben steht der Stein für den Kriegsminister Job Wilhelm von Witzleben (1783-1837), der ein großes Gelände in Charlottenburg um den Lietzensee kaufte, wo heute noch eine Straße nach ihm benannt ist. Doch auch die anderen Generäle in der Nachbarschaft kann man im Berliner Stadtplan finden, beispielsweise Friedrich Bogislaw Graf Tauentzien (1760-1824), der Heerführer in den Befreiungskriegen gegen Napoleon war und als »Befreier von Wittenberg« verehrt wurde. Ein weiteres Beispiel ist Alfred Graf von Schlieffen (1833-1913), berühmt-berüchtigt geworden durch seinen sogenannten »Schlieffen-Plan«, eine Aufmarschstrategie für einen Zwei- Fronten-Krieg, die im Ersten Weltkrieg mit der Besetzung des neutralen Belgiens umgesetzt wurde. Sein Nachfolger auf dem Posten des Generalstabschefs Helmuth von Moltke (1848-1916) ist ebenfalls auf dem Friedhof. Die Heldenverehrung ging auch nach dem Ende der Monarchie weiter. Einige bekannte Namen aus der Nazizeit finden sich ebenfalls, zum Beispiel Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch (1880-1939), der 1938 aufgrund von Intrigen mit dem Vorwurf der Homosexualität vom Amt des Chefs der Heeresleitung verdrängt wurde, dem aber nach seinem Tod wenigstens ein schönes Begräbnis und ein großer auffallender Grabstein gewährt wurde.

Über andere Gräber aus der Nazizeit wird noch zu reden sein. Daneben sind aber auch Zivilisten wie Ärzte, Theologen und Industrielle beerdigt worden, so z.B. der Hofmaurermeister Carl Rabitz (1825-1891), Erfinder der nach ihm benannten Rabitzwand (sein Grab ist eingeebnet), oder der Industrielle Ludwig Wöhlert (1798-1877), der zusammen mit Borsig die erste deutsche Lokomotive baute (Grab eingeebnet).

Direkt im Grenzgebiet zu West- Berlin am Berlin-Spandauer Schiffahrtskanal gelegen, war der Friedhof seit dem Mauerbau 1961 praktisch unzugänglich. Nur Angehörige mit sogenannten Grabmalkarten konnten an zwei Tagen in der Woche für zwei Stunden den Friedhof besuchen. In zwei Aktionen, direkt nach dem 13.8. 1961 und 1972-1975 wurde ein Teil der Gräber nahe dem Kanal eingeebnet und eine zweite Sperrmauer durch das Gelände gezogen. Der größere Teil des Friedhofs war Wiese geworden. Gras und Efeu breiteten sich aus.

Nach dem Fall der Mauer haben sich Grabräuber über die etwa 230 erhaltenen Grabsteine mit ihren Verzierungen und Buchstaben hergemacht. Jetzt hat der Friedhof eine Chance, häufiger besucht zu werden: Seit drei Monaten gibt es hart an der nach dem Mauerbau gezogenen Vormauer ein neues Grab. Eine etwa ein mal zwei Meter große polierte Steinplatte trägt die Inschrift »Oberst Werner Mölders 18.3. 1913 bis 22.11. 1941«. Um die Grabplatte liegen mittlerweile verwelkte Kränze, die stutzig machen. Die Kranzschleifen geben die Schenker zu erkennen. Eine »Traditionsgemeinschaft ‘Alte Adler‚« hat genauso wie eine »Gemeinschaft der Jagdflieger« (»Unseren Kameraden«) und eine »Mölders-Vereinigung« einen Kranz abgelegt. Es finden sich auch Kränze der »Mölders- Kaserne« und vom »Mölders-Zerstörer«. Sogar die britische Royal Air Force scheint den toten Gegner von einst mit einem Kranz geehrt zu haben. Was war passiert?

Zahlreiche Verwandte von auf dem Friedhof Beerdigten haben sich nach dem Ende der DDR bei der inzwischen zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Referat für Garten- und Denkmalpflege, gemeldet und die Wiederherstellung der eingeebneten Gräber beantragt. Etwa 20 solcher Anträge liegen vor. Für Mölders meldete sich der Bruder des im November 1941 abgestürzten Fliegers mit einer unterstützenden Stellungnahme des Bundespräsidenten. Die Behörde kam dem Wunsch nach und ist sich dabei vielleicht gar nicht bewußt geworden, welche Lawine damit losgetreten werden kann.

Werner Mölders war nicht irgendwer. Er war einer der bekanntesten deutschen Kampfflieger des Zweiten Weltkriegs. 1931 trat er in die Reichswehr ein und kam 1934 zu der im Aufbau befindlichen Luftwaffe. Als 1936-1939 die deutsche »Legion Condor« im spanischen Bürgerkrieg den spanischen Faschisten unter Franco half, die republikanische Regierung zu stürzen, war Mölders mit von der Partie und sogar mit 13 Abschüssen der erfolgreichste deutsche Flieger. Berüchtigt war der Einsatz der deutschen Bomber gegen das kleine nordspanische Städtchen Guernica, das dem Erdboden gleichgemacht wurde. Über 1.600 tote Zivilisten waren zu beklagen. Auch im Zweiten Weltkrieg bewährte sich Mölders. Aus der Hand Hitlers erhielt der inzwischen zum Major Beförderte im September 1940 das Eichenlaub zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes. Mölders brachte es auf insgesamt etwa 150 Abschüsse, bis er selbst am 22.11. 1941 in der Nähe von Breslau bei schlechtem Wetter abstürzte und dabei umkam. Mölders war gerade auf dem Weg zur Beerdigung von Ernst Udet, die sinnigerweise auf dem Invalidenfriedhof stattfand. Mölders kam nur noch als Toter auf den Friedhof und liegt jetzt unmittelbar neben Udet. Seit Januar 1942 verbreitete der britische Geheimdienst einen gefälschten Mölders-Brief, in dem Mölders bekannte enge Bindung an den katholischen Glauben benutzt wurde zu einer Anklage gegen den Krieg und die herrschenden Nazis. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die Zusammenhänge ans Licht.

Die Wiedereinweihung des Grabes am 12. Oktober 1991 gestaltete sich zu einem zweifelhaften Treffen Ewiggestriger und Bewahrer schlechter Traditionen. Etwa 200 bis 300 Leute bevölkerten den Friedhof. Angehörige der ehemaligen »Legion Condor« wie auch Soldaten von Bundesmarine und Heer in Uniform feierten ihren alten Kameraden. Die »Gemeinschaft der Jagdflieger e.V.« hatte sogar alte Freunde aus Spanien eingeladen, drei hohe Offiziere aus der Franco-Zeit, die von 1941 bis 1944 in der 15. Staffel des Jagdgeschwaders »Mölders« als Söldner Luftangriffe auf die sowjetischen Truppen geflogen hatten. Matrosen vom Bundeswehrzerstörer »Mölders« hielten am Grab mit alten Kameraden Totenwacht. Heribert Rosal, Probst und Ehrendomherr der St.- Hedwigs-Kathedrale in Berlin, war einer der drei Trauerredner.

Offensichtlich erschrocken über diese Art von Erinnerung an vergangene Zeiten betont die zuständige Senatsverwaltung inzwischen, daß sich solches nicht mehr wiederholen soll. Eine Arbeitsgemeinschaft erarbeitet gerade ein Konzept, wie der gesamte Friedhof wiederhergerichtet werden soll. Die ersten 43 Bäume zum Stückpreis von 3.000 Mark, sind bereits gepflanzt. Die alten Alleen sollen wiedererstehen. Die in den Siebzigern errichtete Mauer auf dem Friedhof soll stehenbleiben. Beschädigte Gräber sollen instand gesetzt, aber auch bereits eingeebnete neu gekennzeichnet werden. Dabei sollen dann nur »schlichte preußische Eisenplatten« verwendet werden, um nicht einen falschen Historismus zu praktizieren. An welche Personen soll aber die Erinnerung zurückgerufen werden? Der Senat wird um schwierige politische Entscheidungen nicht herumkommen, unabhängig ob sich Verwandte der Toten melden oder nicht. Einklagbare Rechte auf Wiederherstellung existieren nicht mehr. Die »Liegefristen« sind längst abgelaufen.

Bereits jetzt liegen einige »heiße Fälle« auf dem Tisch: Wiederherstellungswünsche für die Gräber von Ernst Udet, Fritz Todt und Hans von Seeckt.

Das Grab von Udet (1896-1941) ist direkt neben Mölders unter der Grasnarbe verborgen. Die zwei Gräber liegen Kopf an Kopf. Udet war ein erfolgreicher Jagdflieger im Ersten Weltkrieg (62 Abschüsse), in den zwanziger und dreißiger Jahren Kunstflieger und schließlich ab 1938 bis zu seinem Selbstmord am 17.11. 1941 als Generalluftmeister wesentlich am Aufbau von Hitlers Luftwaffe beteiligt. Neben Udet lag übrigens sein alter Kampfgefährte Manfred von Richthofen, der »Rote Baron«, mit 81 Abschüssen erfolgreichster Flieger im Ersten Weltkrieg. Er stürzte 1918 ab. Seine Reste wurden 1975 von der Familie ins Familiengrab nach Wiesbaden gebracht. Fritz Todt (1891-1942) schon seit 1922 NSDAP-Mitglied, ist in die unrühmliche Geschichte Deutschlands zwischen 1933 und 1945 dadurch eingegangen, daß er mit seiner »Organisation Todt« den Westwall baute und ab 1940 auch Reichsminister für Bewaffnung und Munition war. Seine Bauwerke kann man heute noch in Form von Bunkerresten und Militärstraßen in ganz Europa von der Bretagne bis nach Norwegen betrachten. Todt, Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen und Planer der Reichsautobahnen, kam ebenfalls durch einen Flugzeugabsturz am 8.2. 1942 ums Leben.

Von Seeckt (1866-1936) war von 1920 bis 1926 Chef der Heeresleitung der Reichswehr. 1934/35 diente er in China Tschiang Kai-schek als militärischer Berater. Reste seines Grabes, ein klotziger Steinsarkophag mit für die Zeit typischen Adlern, liegen nahe dem Grab Scharnhorsts.

Die Senatsverwaltung muß sich darüber im klaren sein, daß die Wiedereinrichtung der Gräber keine Privatangelegenheit einiger Angehöriger, sondern ein Politikum darstellt.

Hier ist zum Beispiel auch der Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes, Reinhard Heydrich (1904-1942), einer der brutalsten und skrupellosesten Nazis, der den Spitznamen »die blonde Bestie« trug. Heydrich, der Einberufer der »Wannsee-Konferenz«, auf der die Ermordung aller europäischen Juden beschlossen wurde, starb an den Folgen eines Attentats, das auf ihn am 27.5. 1942 in Prag ausgeübt worden war. Aus Rache machte eine SS-Einheit das Dorf Lidice dem Erdboden gleich und ermordete alle männlichen Einwohner über 16 Jahre. Für Heydrich war die Errichtung eines gigantischen Ehrenmals nach Plänen des Architekten Wilhelm Kreis' mit Plastiken von Arno Breker geplant. Es sollte ein Gegenstück zum Scharnhorst-Denkmal werden. Der Krieg machte die Pläne zunichte.

Auf dem Friedhof liegt auch eine andere Symbolfigur des Nationalsozialismus, der SA-Sturmführer Hans Eberhard Maikowski (1906-1933), der bei einer Demonstration zur Machtergreifung der Nazis am 30.1. 1933 in Charlottenburg angeblich von Kommunisten erschossen worden war. Er bekam ein Staatsbegräbnis auf dem Invalidenfriedhof. Den abgeräumten Grabstein zierte der Spruch »Alles für Deutschland«. Die Nazis benannten den Ort des Geschehens, die heutige Zillestraße, nach dem Toten. Maikowski liegt wenige Meter neben Mölders begraben.

Der Invalidenfriedhof ist heute ein Teil preußischer und deutscher Geschichte, mit der wir auch heute noch leben müssen. Er ist eine »Denkstätte«. Der Friedhof ist es wert, erhalten zu werden. Verdrängen und vernichten wäre falsch. Es muß aber alles unternommen werden, daß er nicht zu einer Pilgerstätte von Neonazis und Militaristen wird. Deshalb sollte klar sein: Mölders, Heydrich und andere Mörder im Staatsdienst dürfen auf dem Friedhof keine neuen Gedenksteine bekommen. Konserviert den Friedhof so, wie er jetzt ist — ohne neue alte Gräber! Jürgen Karwelat/

Berliner Geschichtswerkstatt