Zur Morphologie der neuen Städte in der Stadt

■ 16. Runde im Stadtforum: Neue Wege beim Bau von Siedlungen gefordert/ Kleinteiligkeit soll das Gesicht neuer Städte prägen

Berlin. Die Paradestücke der Berliner Stadtbaukunst nach 1945 — das Hansa-Viertel, das Märkische Viertel, die Plattenwüsten Marzahn oder Hellersdorf — kommentierte der Berliner Architekt Hans Kollhoff, seien nur mehr »die Fortsetzung der abstrakten Kopfgeburten der Siedlungsbewegung der zwanziger Jahre«. Die leblosen Siedlungen »erscheinen bis heute nicht als Stadt, sondern als Alptraum auf der grünen Wiese«. Alle Planungen für »neue Städte in der Stadt« — so das Thema der 16. Sitzung des Stadtforums — müßten darum neue Wege in der Stadtentwicklung gehen; jenseits »abstrakter Formen oder individualistischer Gebärden«. Die Stadt, meinte Kollhoff, habe vielmehr einen »Körper«, dessen Gestalt sich im Zeitstrom zwar unweigerlich verändere, seine ursprüngliche »städtische Gestalt« aber niemals verliere. »Stadt ist Verfall und Wachstum zugleich«, sagte Kollhoff in Anlehnung an Goethes »Morphologie der Pflanzen«. Die neuen Siedlungen in Berlin müßten ihr »Gesicht« urban formen und sollten städtisch geprägte Architekturen und Funktionen erhalten. Straßen seien als Netze zur Mobilität, für Erlebnis und Kommunikation zu begreifen. Häuser seien als Wohn- und Arbeitsstätten, bauliche Details schließlich Ausdruck eines kollektiven Bewußtseins zu sehen.

Kollhoffs eindrückliches Plädoyer für einen städtischen Haus- und Siedlungsbau, der zusammen mit seinen Bewohnern »wächst«, bildete im Stadtforum nur eine Antwort auf den Siedlungs-Fragen-Katalog, den der Stadtplaner Edvard Jahn in seinen »Leitgedanken« aufriß. Die »neuen Städte« — das sind zukünftige Großsiedlungen etwa im nordöstlichen Buch mit jeweils rund 10.000 Wohneinheiten (WE), die Wasserstädte in Spandau und Köpenick für jeweils 5.000 bis 15.000 Wohnungen, Dorferweiterungen wie in Mahlsdorf oder Ergänzungen bereits vorhandener Quartiere wie in Pankow oder Altglienicke mit 600 bis 7.000 WE — sollen nicht mehr als »Addition baulicher Konstrukte« (Jahn), sondern als Fortschreibung der angrenzenden Quartiere entstehen. »Autonome Stadtinseln«, wie sie der Architekt Christoph Langhof auf einer der vergangenen Runden im Stadtforum vorschlug, sind out. Bei den Planungen sei auf die »Unterschiedlichkeit« der stadtbildenden Architekturen und Funktionen zu achten: »Unterschiedlichkeit ist die Voraussetzung der städtischen Kultur«, mahnte Jahn.

Ein mögliches Konzept zur Schaffung sozialer Identitäten in neuen Stadtteilen sieht Ulrich Pfeiffer, Mitglied der Beraterkommission von Stadtentwickler Volker Hassemer, in einer »stufenweisen Planung der Gebiete«. Typen von neuen Städten müßten »mit Pausen« geplant werden, »ohne als amputierte Gebilde in der Landschaft zu stehen«, sagte Pfeiffer. Schon früh sollte eine Hierarchie die Topographie des Stadtgrundrisses prägen. Neben den großen Bauvolumina müsse sich ein Raster aus Parzellen entwickeln, an die sich Versorgungseinrichtungen und soziale Institutionen anschlössen. Ebenso wie Jahn sprach sich Pfeiffer für die Partizipation der Bewohner sowie der Bauträger bei der Planung der Stadtteile aus, warnte aber davor, dieses Modell einer »neuen Stadt« über den Kamm zu scheren: »Jede Siedlung ist ein Individuum, das unterschiedlich eingefärbt und aufgefüllt werden will.«

Instrumentarien der Partizipation, nämlich die Einrichtung eines »projektbegleitenden Beirats, in dem alle Verwaltungen, privaten und öffentlichen Bauträger sowie die Bewohner eingebunden sind«, erläuterte Helmut Svoboda. Der Wiener Stadtrat gab Berlin nicht nur den Rat, eine integrale Planung und eine Bodenvorratspolitik (Bodenfonds) gegen mögliche Spekulationen zu entwickeln. Svoboda empfahl zugleich eine direkte Lenkung im Ausbau neuer Zentren, um ein »Auslaufen« ins brandenburgische Umland zu verhindern.

Volker Hassemer indessen scheint die Siedlungsentwicklung im Griff zu haben. Wo neue Bebauungen möglich sind, sei weitgehend klar. Keine Antworten allerdings gebe es auf die Frage, »wie das dann aussieht«. Die »Stadtwerdung« müsse die Zukunft bringen, so der Senator, der im übrigen den Termin der Auslobung — eines möglicherweise zweistufigen Verfahrens — zum »internationalen städtebaulichen Wettbewerb im Spreebogen« von April auf Mai korrigierte, sich aber bereits jetzt nur eine Architektur der Parlamentsbauten vorstellen mag, die sich »nicht über den Reichstag hinaushebt«. Rolf R. Lautenschläger