Die Briten und Europa

■ Fish & Chips verbieten und durch tote Schnecken ersetzen/ 1992: Englands Waterloo gegen Europa

Die Franzosen haben einen Namen für die Vorliebe der Engländer, sich von der Obrigkeit züchtigen zu lassen: Le Vice Anglais, und seit der Machtübernahme durch die Konservativen 1979 hat das Inselvolk reichlich Gelegenheit bekommen, die Rute zu spüren. Margaret Thatcher, die Eiserne Lady (vielleicht Bismarcks Tochter?), hatte eine enorme Aufgabe vor sich, die aufmüpfigen, faulen und durch die Labour Party verwöhnten Briten auf den Pfad der viktorianischen Tugenden zurückzuführen und ihnen dabei eine Lektion zu erteilen. Vom „learning to stand on your own two feet“ war viel die Rede — ein sehr aparter Euphemismus für den Abbau der ohnehin bescheidenen Sozialleistungen. Ein Außenseiter hätte bei diesem Satz vermuten können, daß es sich um eine Nation Gehbehinderter handelt. Gnadenlos setzte sie ihre Domina- Nummer fort und gab den Arbeitern, den Gewerkschaften und dem verpimpelten Zeitgeist für die Misere in England die Schuld. Sozialbauwohnungen wurden verkauft, Schulen, Krankenhäuser und Niedrigverdiener wurden der Verrottung preisgegeben, Gewerkschaften stillgelegt, Kultureinrichtungen geschlossen. Es war eine puritanische Orgie des Aufräumens — die einer verärgerten Mutti aus der Vorstadt, die letztmalig das Kinderzimmer in Ordnung bringt. Das demütige Volk freute sich, daß endlich wieder englische Ordnung herrschte, das häßliche „Sixties-Gespenst“ der Gleichberechtigung war, Gott sei Dank, vorüber. Durch staatlich verordneten Verzicht reinigten die Leute ihre besudelten protestantischen Gewissen nach den fetten Jahren. Jedes Ding war wieder an seinem Platz, selbst Weihnachtsgeld wurde sogar vom Fabrikarbeiter als sozialistischer Unsinn abgetan.

Insgesamt elf Jahre lang tobte der Hurrikan über die Britischen Inseln hinweg. Ihrem blassen Nachfolger Major ließ sie kaum Zeit, sich ein paar Ausreden zurechtzulegen, weshalb England 1992 bei dem Euro- Spiel ohne Grenzen nicht mitmachen will. Eigentlich verstößt es gegen englische Fairness, ein Spielverderber zu sein, aber das geht einfach zu weit — da kommen ein paar Ausländer und wollen alles zerstören, was die Thatcher durch jahrelange liebevolle Unterdrückung aufgebaut hat. Englische Arbeiter wollen keine geregelte Arbeitszeit, und die Frauen würden lieber ein zweites Kind kriegen, als Mutterschaftsurlaub zu genießen.

Daß Major seinen Freunden aus der Partei und aus der Industrie solche unnötigen Ausgaben ersparen will, ist klar. Die Angleichung im sozialen Bereich würde Millionen kosten. Allein die Anpassung der Renten (in England so eine Art Sterbegeld) an europäisches Niveau würde ein hübsches Loch in den kaum vorhandenen Sozialhaushalt reißen. Majors jetzige Aufgabe liegt darin, seinen Untertanen Europa (damit ist nur das Festland gemeint) zu vermiesen. Jede positive Darstellung eines vereinigten Europas wird möglichst unterbunden. Die schreckliche Vision Westminsters als Außenklo Brüssels wird täglich aufgetischt. Historische Daten werden subtil verglichen. 1992 wird mit der Niederlage Englands durch Wilhelm den Eroberer und mit Hitlers Luftkrieg in Verbindung gebracht.

Die Obdachlosen weinen, weil es der Königin in einem vereinten Europa an die Krone gehen könnte. Briefmarken und Geldscheine ohne das berühmte debile Lächeln unserer Landesmutti wäre Hochverrat. Major setzt einfach auf das Bildungsdefizit der „working class tories“, die jetzt alle ihre ehemaligen Sozialbauhütten besitzen und bereit wären, ihre geregelte Armut als britische Institution zu verteidigen. Jacques Delors, der Fish & Chips verbieten und durch tote Schnecken ersetzen will, muß man/frau einfach hassen. Neil Spence