DEBATTE
: Ampel mit Dialogoffensive

■ Die Besinnung auf Ökologie könnte der SPD aus dem Dilemma helfen

Spätestens seit dem SPD-Parteirat wissen es alle: Die Sozialdemokraten haben jetzt zwar einen Kanzlerkandidaten, aber weder ein inhaltliches Zentrum noch Einigkeit in den wichtigsten Fragen. Das hat Folgen nicht nur für sie. Die gesamte Opposition droht schon knapp drei Jahre vor der Bundestagswahl in beckmesserische Lähmung zu verfallen.

Absehbar war das bereits beim Amtsantritt Hans-Ulrich Kloses als Fraktionsvorsitzender. Nach den wichtigsten Zukunftsthemen der Sozialdemokratie befragt, nannte er drei: die Vollendung der deutschen Einheit, die wirtschaftliche Entwicklung der BRD und ihre neue außenpolitische Rolle. Auf allen drei Feldern sind die Ergebnisse für die SPD bisher niederschmetternd. Beim geistigen und kulturellen Nachvollzug der deutschen Einheit ist sie nicht weiter als die Regierung. In der Außenpolitik ist die innerparteiliche Polarisierung stärker, als es die Gegensätze zur Koalition sind. Während die einen schon bis zur chinesischen Grenze denken, steckt die Parteimehrheit noch die Köpfe in den Blauhelm. Wirtschaftspolitisch tobt der Streit um die Erhöhung der Mehrwertsteuer ebenfalls mehr intern. Beim letzten Punkt zeigt sich am klarsten die Schwäche der SPD, weil sie auch die stärksten Figuren betrifft. Oskar Lafontaine beschwor förmlich den Parteirat, den strategischen Stellenwert der Mehrwertsteuererhöhung zu erkennen. Schließlich sei die doch nur die Fortsetzung der Steuerlüge, in die er, Lafontaine, die Koalitionsparteien getrieben habe. Das ist ebenso richtig wie wirkungslos. Helmut Kohl ist mit der großen Steuerlüge durchgekommen. Darum erscheinen die kleinen Lügen schon als relative Wahrheiten.

Der Fehler liegt im Ausgangspunkt von Kloses Strategie. Er hat nur die Themen benannt, mit der die SPD — wenn sie an Boden verliert — die Wahlen 1994 verlieren, nicht das Thema, mit der sie sie gewinnen kann. Was die Regierung in den nächsten Jahren wirklich kratzt, ist nicht die Klage über die Mickrigkeit des Aufschwungs im Osten Deutschlands und über die fortgesetzt hohe Arbeitslosenzahl. Schon weil man der SPD da kaum mehr zutraut als der gegenwärtigen Regierung. Erfolgversprechend ist noch weniger die Kritik an Genschers Außenpolitik. Treffen tut nur der Vorwurf, CDU und FDP hätten die — ja, da war doch noch was — Umwelt geopfert. Die versprochene „Versöhnung von Ökologie und Ökonomie“ gelingt ihnen nicht einmal ansatzweise. Wenn Wirtschaftsminister Möllemann die Versöhnungsformel gebraucht, klingt sie wie eine Verhöhnung des Umweltministers. Der wurde im letzten Jahr noch so gelobt, hat mittlerweile aber in den zentralen umweltpolitischen Fragen verloren. Mal gegen Verkehrsminister Krause, mal gegen Möllemann, mal gegen die Freunde industrieller Landwirtschaft oder die Autolobby. Klaus Töpfer hat abgewirtschaftet — weniger durch individuelle Fehler als wegen der ökologischen Unfähigkeit des Kabinetts. Dahinter steht eine ganz klare Entscheidung in einer strategischen Frage. Wagt die Bundesrepublik die größte und umfangreichste Zukunftsinvestition und macht sich zur ökologischen Führungsmacht kraft eigenen Beispiels, oder schwimmt sie in immer trüberer EG-Brühe mit? Sie hat sich offensichtlich für letzteres entschieden.

Bei der Reduktion des Kohlendioxid-Ausstoßes wird sich das im politischen Desaster der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio niederschlagen. Verkehrspolitisch ist faktisch nichts geschehen, um den im nächsten Jahr drohenden EG-Schock zu mildern. Schon diese beiden Beispiele zeigen, wie unrealistisch die derzeit kursierende These ist, die Ökologie sei out. Ökologie ist keine Geschmackssache. Es geht um materielle Interessen, Verteilungskämpfe und Risikokosten. Das gilt auch, wenn gerade keine der auf Dauer und im Durchschnitt erwartbaren Katastrophen passieren.

In der Mitte des vergangenen Jahres wurde in der SPD ein internes Thesenpapier diskutiert, in dem die umweltpolitischen Profilierungsschwierigkeiten der Bonner Sozialdemokraten beklagt wurden. Seinerzeit wußte man keinen Ausweg, weil Klaus Töpfer noch im Ankündigungsrausch war und eine andere Qualität von Ökologie bei der SPD nicht existierte. Nun hat sich mindestens das eine geändert: Der Töpfer- Rausch ist vorbei. Wenn die Zeichen nicht trügen, wird er beim großen ministeriellen Reinemachen von seinem Sessel geschoben. Dann wird es an der Opposition sein, das Scheitern des Umweltministers als Scheitern der Umweltpolitik deutlich zu machen.

Niemand wird ernsthaft von der SPD verlangen, antizyklisch auf Ökologie zu setzen, nur weil sie das eigentlich wichtige Thema ist. Doch es geht nicht um Heldentum, nur um Vorausschau. Warum sollte die Regierung mit dem Vorwurf ökologischer Ängstlichkeit und kleinkarierter Werkelei nicht in Bedrängnis zu bringen sein? Sie ist dann nicht zu kippen, wenn die SPD aufgrund ihrer inneren Einsprüche gegen eine mutige Ökologiepolitik keine schärferen Konturen bekommt, wenn sie nicht zur Sache der Chefs erhoben wird. Es müßte denn auch etwas hinzukommen zur bisherigen Politik der SPD. Ihr Image als Verschuldungs- und Verteilungspartei steht einer glaubwürdig anderen Ökologiepolitik im Wege. Es müßte darum um eine Versöhnung von Ökologie und Ökonomie unter den Bedingungen der knappen Kassen und Ressourcen gehen. Umweltpolitik müßte sich vom Charakter der Zusatzinvestition abkoppeln. Daß das geht, haben Wirtschaftswissenschaftler und Ökologen gezeigt.

Nun sind die Wählerinnen und Wähler weder treu noch doof, und sie würden sich auf ökologische Experimente 1994 nur einlassen, wenn andere Parteien als die SPD eine zusätzliche Gewähr fürs Ökonomische und fürs Ökologische übernehmen würden, das heißt die FDP für jenes und die Grünen/Bündnis 90 für dieses. Den Bürgerrechtlern aus der ehemaligen DDR käme dabei aus zwei Gründen eine besondere Bedeutung zu. Zum einen sind sie Dialog-Spezialisten über die politischen Lager hinweg. Eine Qualität, ohne die ein Ampelprojekt chancenlos wäre. Neben der Dialogoffensive müßte eine solche Ampelkoalition einen anderen Umgang unter den wiedergespaltenen Teilen der neuen Bundesrepublik pflegen. Das geht dann, wenn die grün-bürgerbewegte Hochzeit gleichberechtigt gefeiert wird.

Nicht zuletzt ergäbe nur die Ampelperspektive eine glaubwürdige Rolle für den freundlichen Björn Engholm. Denn einzig als Moderator zwischen zwei Polen — den Grünen und der FDP — geht er als möglicher Kanzler und nicht bloß als der allersympathischste Kandidat durch. Engholm redet darum wohl am häufigsten von allen Sozialdemokraten über eine Ampel in Bonn.

Nachdem die SPD undogmatisch genug war, sich derart früh auf einen Kanzlerkandidaten festzulegen, sollte sie nun auch den Mut haben, diesmal nicht bis zum Wahltag das multioptionale Gequatsche von den demokratischen Parteien zu pflegen, mit denen man immer grundsätzlich koalitionsfähig sein müsse und so weiter. Daß die notgedrungenen Wunschpartner der FDP sich bis zur Wahlnacht ziemlich hold und relativ koalitionstreu geben werden, ist bei alledem kein Hindernis. Das glaubt ihnen sowieso niemand. Jeder weiß, sie werden mit SPD und den Grünen/ Bündnis90 dann koalieren, wenn die zusammen mehr Stimmen haben als CDU/CSU. Bernd Ulrich

Der Autor ist Publizist und lebt in Frankfurt.