Affären zur Hauptsendezeit

Football, Sex und Politik im amerikanischen Wahlkampf/ Bill Clinton verteidigt seinen Ruf als treuer Ehemann  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Amerika letzten Sonntagabend: Die Nation schaut fern. 40 Millionen verfolgen am heimischen TV oder auf der Großbildleinwand der Eckkneipe das Football-Endspiel zwischen den Washington Redskins und den Buffalo Bills. Sport in der Rezession. Gladiatoren, Girls, Bier und Gebrüll; dazwischen Pepsi Colas neueste TV-Werbung als millionenschwere Fortsetzungsfolge. „Football ist so beliebt bei uns“, versucht mir mein amerikanischer Freund die kindlich- kollektive Begeisterung zu erklären, „weil es noch eines der wenigen realen Dinge ist, im Gegensatz zur Politik“.

Doch nur wenige Minuten nach dem Sieg der Redskins ist der Fernsehzuschauer wieder in seiner gewohnt irrealen Welt. Auf dem Bildschirm erscheint die neueste Episode einer gerade anlaufenden Seifenoper, die sich Präsidentschaftswahl nennt. Zusammen mit seiner Frau Hillary stellt sich der demokratische Präsidentschaftsbewerber Bill Clinton den Anschuldigungen einer Nachtklubsängerin, mit ihm eine langjährige Affäre gehabt zu haben.

Die Titelstory „My 12-Year Affair with Bill Clinton“ war wenige Tage vorher in einem jener Supermarkt-Schundhefte erschienen, die sonst mit „Das-Ungeheuer-von-Loch-Ness-ist-von- Elvis-schwanger“ aufmachen. Ob Fakt oder Fiktion, die angebliche Affaire des Gouverneurs von Arkansas kam auch für die seriösen Medien gerade zur rechten Zeit; hatten sie doch Clinton in ihren jüngsten Titelgeschichten gerade zum Favoriten unter den fünf demokratischen Präsidentschaftsbewerbern aufgebaut. Um so schöner nun die Geschichte von seinem frühen Fall.

Die Clinton-Affäre ist dabei nur das jüngste Beispiel für den immer stärker werdenden Drang des Fernsehens, die politische Analyse durch emotionale und leicht verständliche Dramen aus dem öffentlichen Leben zu ersetzen. Ende letzten Jahres war es die angebliche sexuelle Belästigung durch den heutigen Verfassungsrichter Clarence Thomas; gefolgt von den Fernsehbildern des Vergewaltigungsprozesses gegen den Kennedy-Neffen William Smith. Im Augenblick sorgt das Gerichtsverfahren gegen den Massenmörder Jeffrey Dahmer für die Ablenkung von der wirtschaftlichen Malaise.

Kein Wunder, daß diese Boulevardisierung des Fernsehens jetzt auch beeinflußt, wie Amerika seine Präsidenten wählt. Ein Scheck über 100.000 Dollar von einem jener Supermarktblätter (oder gar vom politischen Gegner?) an irgendeine geldgierige Person und die Story ist im Umlauf. Wenn dann die Sensationsindustrie aus Anwälten und Medienberatern ins Geschäft einsteigt, wenn erst von beiden Seiten Pressekonferenzen gegeben werden, können schließlich auch die Fernsehmedien nicht mehr die Bilder verweigern. Worüber dann wiederum die seriösen Printmedien schreiben müssen.

Als Folge dieser Dynamik mußte sich Bill Clinton am letzten Sonntag abend einem bierseeligen Football-Publikum präsentieren, um hier, statt über seine Pläne zur Gesundheitsreform, über seine Eheprobleme Rede und Antwort zu stehen. Da er auch diese Aufgabe mit Bravour bewältigte und seine hübsche Frau dabei so telegen den Arm um ihn legte, könnte er mit dieser ungewöhnlichen Vorwärtsverteidigung vielleicht sogar politisch überlebt haben.

Seine Mitbewerber haben sich jedenfalls schon darüber beschwert, zur Diskussion ihrer vorbildlichen Ehen keine entsprechende Sendezeit zur Verfügung gestellt zu bekommen. Sollte Clinton nach den Vorwahlen von New Hampshire im Februar — den Puritanern zum Trotze — immer noch in Führung liegen, könnte dies zu ganz neuen Wahlkampfstrategien führen. Einen Scheck, ein Gerücht, eine Titelgeschichte, kurzum ein selbstinszenierter Skandal zur Erhöhung des Bekanntheitsgrades. Und dann die öffentliche Reinwaschung, am besten kurz nach einem realen Ereignis. Vielleicht zum Start der Baseball-Saison im Frühjahr?