„Ich bekenne, ich bin aus Wessiland“

Länderrat der Grünen in Kassel: Der Zusammenschluß Bündnis 90 ist beschlossene Sache/ Kaum jemand will noch an alte Irritationen erinnern/ Nur die Grünen Ost sind widerspenstig/ Fischer — „keine Ost-West-GmbH“ — weiß die Richtung  ■ Aus Kassel Matthias Geis

Die Grünen proben den Kammerton. Der erste ordentliche Länderrat in Kassel geriet zum sanften Spitzentreffen zwischen Grünen und Bündnis 90. Mißt man die Chancen für das gemeinsame politische Projekt, das am Wochenende auf den Weg gebracht werden sollte, an der freundlich-offenen Atmosphäre zwischen den prospektiven Partnern, scheint heute schon alles gelaufen. Menschen, die so nett zueinander sind, müssen einfach gemeinsam Politik treiben. Nach knapp zwei Stunden grün-bürgerbewegter Debatte kann selbst der knochige Bündnis-Sprecher Heiko Lietz, Pastor aus Mecklenburg-Vorpommern, mit seiner Überraschung nicht mehr hinterm Berg halten. Seine „erste original grüne Erfahrung“: rundweg positiv, so sachlich, ganz entgegen seiner „ambivalenten“ TV-Erfahrung des letzten grünen Parteitags... Schnee von gestern; der bürgerbewegte Impuls aus dem deutschen Osten — bei eher schwachen Impulsen vom grünen Bundesvorstand aus Bonn — macht's möglich. O-Ton der am Sonntag verabschiedeten Resolution: „Die Grünen sind im Zuge des Zusammengehens mit dem Bündnis 90 zu einem programmatisch-inhaltlichen Erneuerungsprozeß bereit. Sie sind prinzipiell offen für jede organisatorische Form des Zusammenschlusses.“ Die Mahnung von Buvo-Sprecher Ludger Volmer an insistente Nörgler aus dem Bündnis, man solle jetzt endlich „Abschied nehmen von falschen Grünen-Bildern, die weiter gepflegt werden, ohne noch zuzutreffen“, schien da schon fast überflüssig. Überflüssig, angesichts des konzentrierten Willens zur Gemeinsamkeit, schien da, zu Anfang der Veranstaltung, vielen auch eine rückwärtsgewandte Debatte über die Irritationen, die das Dezember-Memorandum des Bundesvorstandes über den Stand der gemeinsamen Beziehungen bei den Bürgerrechtlern ausgelöst hatte. Die Versammlung war sichtlich bemüht, dem grünen Vorstand einen Rückzug ohne Gesichtsverlust zu ermöglichen. Hier eine gebremste Klage über den Apparatschik-Ton des inkriminierten Papiers, dort ein Rückzieher von Ludger Volmer, man habe die Bedeutung der Stasi-Debatte unterschätzt, dann noch eine Distanzierung von der im Dezember vorgenommenen Strömungs-Analyse, die die Bürgerbewegung nur zum Teil als kooperationsfähig ausgewiesen hatte — dann war das Ding endgültig vom Tisch.

Nur die Grünen Ost präsentierten sich quer zur neuen Harmonie. Gegen das hartnäckige Vorurteil, das zukünftige Projekt könne — wenn — dann am West-Ost-Konflikt scheitern, bohrten sie hartnäckig in der Ost-Ost-Wunde. Vom „Buhlen der West-Grünen um das Bündnis“ schwadronierte schon im Vorfeld des Treffens der ost-grüne Bundestagsabgeordnete Klaus Feige, und Buvo-Mitglied Heilmann sah sich am Samstag nachmittag von „Ränkespiel“ und „Machtkungeleien“ umzingelt. Die Ost-Grünen fühlen sich als „Beitritts-Grüne“, während erst jetzt mit dem umworbenen Bündnis das eigentliche „neue Projekt“ angezettelt werden soll.

Eine Delegierte West beleuchtete das Problem aus der anderen Perspektive. „Die Grünen Ost haben es nicht geschafft, die Grünen West aufzumischen.“ Das erhoffen — oder befürchten — einige immer noch von den Bürgerrechtlern.

Die Zäsur in diesem Sinne setzte der unaufhaltsam zum grünen Patriarchen heranreifende Joschka Fischer. In einer ausbalancierten Mischung aus Pragmatismus, neuer Offenheit und Emphase angesichts künftiger Herausforderungen wies er der noch etwas unsicher tastenden Versammlung die Richtung: Man wolle — so die griffige Formulierung— „keine Ost-West-GmbH zum Zwecke des Mandatserwerbs“— aber dennoch, selbstredend, Mandate im nächsten Bundestag. Die brauche man, um die „historische Chance 94“ nicht zu verpassen; denn dann — so die in Hessen geschärfte Perspektive — würden die Weichen gestellt. Die nächste Legislaturperiode werde „prägend für eine ganze Generation“. Grüne/ Bündnis 90 prägen mit! Damit das hinhaut, ist Fischer bereit, Veränderungen bei den Grünen hinzunehmen, „deren ganzes Ausmaß“ selbst Fischer jetzt „noch nicht überschauen“ kann.

Bei aller Zurückhaltung der geladenen Gäste, ein paar Takte zum „ganzen Ausmaß“ der notwendigen Veränderungen konnten sie schon beitragen: Werner Schulz forderte eine grundlegende Neudefinition grüner Politik. Und Wolfgang Templin versprach, die „nie beigelegten inhaltlichen Konflikte der Grünen „nicht einfach zu ignorieren“.

Die immer wieder wolkig beschworenen politisch-kulturellen Hürden für ein erfolgreiches gemeinsames Projekt präzisierte Antje Vollmer: Nur wenn es gelänge, die Abkapselung von der Gesellschaft und die Einschränkung der geistigen Freiheit im Dienste der Organisationsräson zu überwinden, wenn man wegkomme von populistisch verpackten „Lösungen“, moralischem Fundamentalismus und der Zersetzung einzelner durch die Organisation, könne der europaweite Verfall der ökologischen und bürgerrechtlichen Bewegung gestoppt werden. Das „Zusammenklatschen“ zweier Organisationen allein reiche nicht aus für das Signal, „daß wir die Kinderkrankheiten hinter uns lassen“.

„Wer Angst hat, in diesem Prozeß an Einfluß zu verlieren“, versuchte Gerald Haefner die zahme grüne Versammlung doch noch zur Kontroverse zu provozieren, „der hat schon verloren.“ Doch sonderbar, die Kontroverse blieb aus. Fast lag der Beitrittsantrag der Grünen zum Bündnis 90 in der Luft. Und dann wurde sie doch noch mutig formuliert, die letzte Bastion westgrünen Selbstverständnisses gegen allzu unverhohlene Übernahmeambitionen aus dem bürgerbewegten Osten: „Ich bekenne mich dazu“, so die NRW-Delegierte Bärbel Höhn, „daß ich aus Wessiland bin.“