Huckepack in die West-Akademie

Mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen die Westberliner Akademiemitglieder, die Ost-Kollegen en bloc zu übernehmen/ Wort- und gestenreiche Rechtfertigung durch Walter Jens  ■ Aus Berlin Christian Semler

Ohne den hohen Ton, die weit ausgreifende Gebärde scheint es bei Walter Jens nicht zu gehen. Mit dem Beschluß der Akademie der Künste vom 2. Februar, die Mitglieder der Ex-DDR-Akademie en bloc „zu bestätigen“, hätten die West-Akademiker den „Entwurf eines humanen Gegenmodells“ wagen wollen. Die Entscheidung, so Jens, sei ein Gebot der Stunde gewesen. Wäre doch die Ost- Akademie, wenn die West-Kollegen untätig geblieben wären, still und einfach begraben worden.

Die Versammlung war gut besucht (88 von 256 Mitgliedern), die Stimmung schwankend, die Diskussion hitzig. Jens selbst hatte noch im Dezember das Prinzip der individuellen Zuwahl vertreten, verteidigte aber jetzt mit Hinweis auf Solon und dessen Lernfähigkeit die neue Position. Wie der Präsident dachten 59 Mitglieder, 23 stimmten mit nein, 6 enthielten sich der Stimme. Es wurde beschlossen, Arbeitsgruppen einzurichten, die praktische Fragen „im konstruktiven, der Integration dienenden Sinne“ lösen sollen. Ein unaufhebbarer Dissens „in wichtigen Programm-, Sach- und Personalfragen“ soll die Vereinigung zunichte machen können. Jens pries den Entscheid der West-Akademie als Möglichkeit, nunmehr die Fensterläden weit zu öffnen und junge Talente ebenso aufzunehmen wie jene „Aufsässigen“, die seinerzeit in der DDR für unwürdig befunden worden waren, auf dem Olymp Platz zu nehmen. Mögliche Stasi-Nebenverdienste der Ost-Schriftsteller und -Künstler will Jens mit Hilfe des Paragraphen 14 der Akademiesatzung ahnden. Wer verschwieg, daß er IM war, dem soll als Unwürdigem die Tür gewiesen werden. Die bereits stark reduzierte Mitarbeiterschar der Ost-Akademie wird der obligatorischen Überprüfung durch die Gauck- Behörde unterworfen.

Wie soll mit künftigen Akademie- Mitgliedern wie Manfred Wekwerth verfahren werden, der zwar nicht im Dienst der Stasi, wohl aber als Mitglied des Zentralkomitees deren Auftraggeber war? Jens berief sich auf das Grundgesetz, das die Inkriminierung politischer Tätigkeit verbietet. Freilich vermied er eine Stellungnahme zu der Frage, wie Wekwerths Haltung in den Bereichen zu bewerten sei, wo es dem ZK der SED nicht um schiere Meinungsäußerung gegangen sei.

Die Position der unterlegenen Minderheit vertrat der Künstler Ralf Schymanski. Seine Abteilung, die „bildenden Künstler“, war mit 16 Übernahmen aus dem Osten konfrontiert. Das war zuviel. Für Schymanski war mit diesem „Peerschub“ jede Möglichkeit verbaut, die Bilder oder Skulpturen der östlichen Kollegen individuell zu würdigen. Das negative Votum seiner Abteilung sei auch im Interesse der östlichen Kollegen erfolgt. Daß es den Künstlern bei ihrer Ablehnung nicht nur um die Verteidigung individueller Wertungen ging, machte Schymanski mit dem Hinweis deutlich, daß es erst 1987 zu Kontakten mit der östlichen Akademie gekommen sei und daß viele der in der DDR anerkannten Maler und Plastiker ihre Karriere dem „Bitterfelder Weg“, das heißt einer opportunistischen Wendung zum Volksgeschmack zu verdanken gehabt hätten.

Unisono beklagten die in der Pressekonferenz anwesenden Akademie- Mitglieder, daß sie Mißverständnissen und Verdächtigungen ausgesetzt gewesen wären. Der Schriftsteller Härtling weinte dem Kollegen Günther Kunert mehrere Tränen nach, weil der die Annahme des En-bloc- Verfahrens mit dem Austritt aus der Akademie quittiert hatte. Alter und Weisheit ehrwürdiger Akademie- Mitglieder wie Josef Thal und Julius Posener wurden zur Verteidigung des Verfahrens aufgeboten. Man bescheinigte sich gegenseitig gerührt, noch nie eine so leidenschaftliche, taktvolle und kluge Diskussion bestritten zu haben. Zum Schluß kam der Aufruf ans Land Berlin, die Vereinigung gesetzlich abzusichern und— zu zahlen. Denn die künftige Mammut-Akademie wird ohne einen vergrößerten Mitarbeiterstab nicht auskommen, einschließlich der ehemaligen Mitarbeiter der Akademie der Künste der DDR, denen „die notwendigen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen sind“.