Polens neue Wodka-Dealer

Warschau (taz) — In Polen werden Geschäfte gemacht wie im Chicago der Prohibition. Der Wodka fließt in Strömen, aber am Fiskus vorbei.

Früher, als Polens kommunistische Regierung den Alkoholgenuß und -mißbrauch noch reglementierte und die Monopolläden erst ab 13 Uhr Hochprozentiges verkaufen durften, auf daß das Proletariat wenigstens am Vormittag nüchtern sei, da blühten sie, die Melinas. Das sind private und damit illegale Schnapsbrennereien, die sich im Laufe der Zeit zu einer Art Gemischtwarenläden der Unterwelt entwickelten. In manchen Melinas der Großstädte gibt es von Hehlerwaren über Waffen und Prostitution so ziemlich alles, was das Gesetz nicht erlaubt.

Inzwischen haben die Melinas ihren Sinn immer mehr verloren, Schnaps wird in der Warschauer Innenstadt ganz offen auf der Straße von fliegenden Händlern oder unter dem Kulturpalast von handelnden Ukrainern und Russen feilgeboten. Allerdings spricht einiges dafür, daß Polens Schwarzbrenner in die organisierte Kriminalität abgewandert sind und dort gigantische Geschäfte machen — hauptsächlich mit Schnapsschmuggel. Die Entwicklung begann mit der Freigabe des Außenhandels. Aufgrund einer Gesetzeslücke, die zwar den privaten Handel mit Alkohol verbot, den privaten Import aber zuließ, flossen schon seit 1988 Millionen von Litern Billigschnaps nach Polen und ruinierten die staatlichen Brennereien. Inzwischen beschäftigte sich bereits ein Sonderausschuß des Parlaments mit der Affäre, führende Politiker der Regierung Mazowiecki sollen sogar vor dem Staatstribunal wegen ihrer Unterlassungssünden zur Verantwortung gezogen werden. Immerhin sind dem Fiskus dadurch geschätzte 200 Millionen Dollar verlorengegangen. Die Schnapsschmuggler tun indessen das ihre. Sie haben sich nun auf den Mißbrauch von Exportsubventionen spezialisiert.

Eine Firma aus Leszno bei Poznan erwarb so von den staatlichen Gärwerken 300.000 Liter Spiritus, bestimmt für einen Abnehmer in Holland. Daher bezahlten die Exporteure statt 170.000 Zloty pro Liter nur sage und schreibe 5.000. Nur daß es die Firma in Holland gar nicht gab und der Alkohol statt dessen in Polen verkauft wurde. Solche Transaktionen sind, glaubt man der neu ins Leben gerufenen Anti-Korruptionspolizei, inzwischen gang und gäbe. Da der Umsatz der staatlichen Monopolfirma Polmos 1991 um 20 Prozent zurückging, schätzt man, daß jede fünfte Schnapsflasche in Polen eine illegale ist. Polens hochprozentiger Untergrund ist indessen bestens organisiert. Vorbei sind die Zeiten, als unersättliche Saufbolde die trockenen Wochenenden damit zubrachten, ihr Badezimmer mit allerlei Röhren, Zuckervorräten und Bunsenbrennern in eine kleine, aber stinkende Schnapsbrennerei zu verwandeln.

Polens Untergrund hat seine Lektion in Sachen Marktwirtschaft gelernt. Inzwischen haben es die Ermittler mit Tarn- und Scheinfirmen, bestochenen Zöllnern und LKW- Lastzügen zu tun. Zygmunt R., dieser Tage erst verhaftet, weil er versuchte, Spiritus mit falschen Dokumenten zu kaufen und anschließend mit Wasser versetzt als Wodka in Umlauf zu bringen, gab zu, nur an diesem einen fehlgeschlagenen Coup 40.000 Dollar verloren zu haben. Der Polizei ist er nicht unbekannt: Früher hat er eine Melina betrieben. Klaus Bachmann