Birmas Soldaten „außer Kontrolle“

An den Grenzen zu Thailand, Bangladesch und Indien führen schwere Kämpfe zu massiven Fluchtbewegungen/ Landesweite Offensive/ Flüchtlinge berichten von Mißhandlungen  ■ Von Larry Jagan

London (taz) — Ein Flüchtlingsdrama ist an den Grenzen Birmas im Entstehen und wird täglich schlimmer: Zehntausende von Birmesen sind gegenwärtig auf der Flucht vor dem Militärregime ihres Landes, das landesweit gegen verschiedene Rebellenbewegungen vorgeht.

An der thailändischen Grenze, wo das Karen-Volk seit langem einen Aufstand führt, ist nach Einschätzung der „Karen-Nationalunion“ (KNU) die größte Armeeoffensive seit 20 Jahren im Gange. Sie richtet sich gegen den Dschungelort Manerplaw, wo außer den Karen auch die Gegenregierung der birmanischen Demokratiebewegung ihren Sitz hat.

Die Karen, so Augenzeugen, kämpfen um ihr Leben. 700 Regierungssoldaten sind nach Karen-Angaben seit Beginn der Offensive Anfang Januar gefallen; insgesamt sind 15.000 Mann an der Operation beteiligt und weitere 10.000 unterwegs in das Kampfgebiet. Auch die 6.000 Mann starke Rebellenarmee hat schwere Verluste erlitten.

Daß die birmanische Armee in der trockenen Jahreszeit gegen die Karen in die Offensive geht, ist zwar nicht neu. Doch noch nie waren die Rebellen solch starkem Druck ausgesetzt wie heute. Bis zum „Armeetag“ am 27. März will die Regierung einen Sieg verkünden können.

Manerplaw und die umliegenden Dörfer liegen unter ständigem Artilleriebeschuß. Alle Zivilisten sind evakuiert. Um Manerplaw einzunehmen, müßten die Regierungstruppen jedoch die Grenze nach Thailand überqueren und von dort aus die Karen-Stützpunkte angreifen. Und es ist unwahrscheinlich, daß Thailand dies zuläßt.

10.000 Flüchtlinge sind seit Beginn der Offensive in Thailand eingetroffen. Dort leben bereits 55.000 Flüchtlinge aus Birma — davon 38.000 Karen. Sie berichten von Mord und Plünderungen. Die Soldaten unterlägen keinerlei Disziplin; Frauen würden tagsüber zu Trägerdiensten gezwungen und nachts vergewaltigt. Auch Menschenrechtsaktivisten sagen, die Armeeinheiten agierten außerhalb jeder Kontrolle.

Moscheen zerstört, Menschen umgesiedelt

Im Westen Birmas sieht es nicht besser aus. Hier, in der Region Arakan an der Grenze zu Bangladesch, geht die Armee mit einer klassischen „Counterinsurgency“-Politik gegen die muslimische Minderheitsbevölkerung vor. Die „Rohingya-Solidarität“ (RSO), die für ein autonomes Arakan kämpft, spricht von einer konzertierten Kampagne, mittels derer die Muslime vertrieben und durch buddhistische Neuansiedler ersetzt werden sollen. 20.000 Muslime, so RSO-Führer Mohammed Yunnus, seien allein im Dezember aus ihren Heimatorten verjagt worden; in den Städten würden Moscheen zerstört und Bewohner mißhandelt. In Bangladesch leben bereits über 60.000 muslimische Flüchtlinge aus Birma. Sie erzählen, daß Soldaten Menschen über Minenfelder jagen und Erschießungen vornehmen. Nach Gesprächen zwischen Politikern aus Birma und Bangladesch soll nun aber in Kürze die Repatriierung von Flüchtlingen aus Bangladesch nach Birma beginnen. Ein entsprechendes Abkommen wird noch in diesem Monat erwartet.

Weiter nördlich, in der Region Sagaing an der Grenze zum indischen Bundesstaat Nagaland, sind nach indischen Angaben im Januar 1.500 Naga-Stammesangehörige aus Birma geflohen, nachdem Kämpfe zwischen der Armee und Rebellen des Kachin-Volkes zum Tod von 150 Zivilisten und 50 Soldaten geführt hätten. Die Anzahl der in der Region stationierten Soldaten habe sich im vergangenen Jahr versechsfacht.

Indien rechnet mit einer bevorstehenden Großoffensive gegen die Kachin, und Diplomaten bringen dies in Zusammenhang mit der Vergabe von Ölkonzessionen in diesem Gebiet. Doch obwohl sich die indisch-birmanischen Beziehungen seit 1988 verschlechtert haben, spielt Indien die Zwischenfälle noch herunter.

Edelhölzer gegen chinesische Waffen

Die landesweit koordinierte Offensive gegen Rebellen ist in über 40 Jahren Unabhängigkeit beispiellos. Westliche Diplomaten meinen, damit solle Zwist in der Armee vermieden werden, indem ihr eine neue Rolle als Vereiniger der Nation zugewiesen würde. Der ethnisch birmanischen Bevölkerung des Landes würde außerdem signalisiert, daß die Armee ihre Interessen schützt.

Die Strategie, gegen Minderheiten vorzugehen, um die innere Opposition abzulenken, ist in der Vergangenheit mehrmals angewandt worden — vor allem gegen indische und chinesische Bevölkerungsteile. Die Grenze zwischen Birma und China ist jedoch heute relativ ruhig. Der bilaterale Handel boomt, auch im militärischen Bereich. Ein Reisender aus der Grenzregion berichtete vor kurzem von Lastwagenladungen birmanischer Edelhölzer unterwegs in die chinesische Provinz Kunming, während in die andere Richtung Waffen rollten. Begründung der lokalen Militärkommandanten gegenüber beunruhigten Dorfbewohnern: Man müsse die Invasoren aus Bangladesch abwehren.

Dhaka (afp) — Über 300 Muslime sind in der vergangenen Woche in Lagern in Birma verhungert. Sie gehörten nach Flüchtlingsberichten in Bangladesch zu 2.500 eingesperrten Jugendlichen, die Militärausrüstung in eine Unruheregion im Grenzbezirk Arakan schleppen müssen.