Deutsch-französisches AKW für Ungarn?

Atomkraftwerksbauer der westlichen Industriestaaten erschließen sich neue Absatzmärkte im Osten  ■ Aus Budapest Keno Verseck

Osteuropa wird zunehmend zum Absatzmarkt der Atomkraftwerksbauer aus den westlichen Industriestaaten. Als erste haben Rumänien und Kanada ihre Kooperation auf dem Gebiet der Kernkraft intensiviert. Jetzt liegen auch in Ungarn Angebote für den Bau neuer AKW vor.

Ein Plan des französischen Konzerns Electricité de France (EDF), nach dem in Ungarns einzigem Atomkraftwerk in Paks (Leistung: 1.760 Megawatt) zwei weitere Blöcke mit je 960 Megawatt gebaut werden sollten, ist zwar vom Tisch. Auf Vorschlag der Wirtschaftskommission der ungarischen Regierung aber gründete EDF zusammen mit den deutschen Konzernen PreussenElektra und Bayernwerk eine Gesellschaft namens „Europäisches Projekt für Ungarn“. Diese legte kürzlich in Budapest ein Programm zur Modernisierung der ungarischen Stromversorgung vor. In dem Programm wird nicht nur kräftig für Atomkraft agitiert; laut EDF-Chef Jean-Michel Fauve will der französische Konzern auch sein Angebot erneuern, in Ungarn ein weiteres AKW zu errichten. Man sei natürlich auch in der Lage, so Vertreter der Gesellschaft mit dem illustren Namen, Pläne für andere Arten von Energieerzeugung vorzulegen.

Hintergrund der Pläne für ein neues Grundlastkraftwerk ist die Umstrukturierung der ungarischen Energiewirtschaft, mit der die Budapester Regierung sich von sowjetischen Stromlieferungen unabhängig machen will. Daran waren allerdings schon die Kommunisten gescheitert. Einer der Auslöser ihrer Entmachtung war der Plan, am Donauknie nahe Nagymaros eines der größten Wasserkraftwerke Mitteleuropas zu bauen, gegen den Ende der achtziger Jahre fast ganz Ungarn Sturm lief.

Die sowjetischen Stromlieferungen, die im letzten Jahr immerhin noch ein Drittel des gesamten Verbrauches von 37 Milliarden Kilowattstunden ausmachten, wurden für dieses Jahr bereits um 80Prozent reduziert.

Außerdem soll bis 1995 der Anschluß Ungarns an das westeuropäische Stromverbundnetz UCPTE vollzogen werden. Spätestens dann muß das Land in der Lage sein, seinen Strombedarf selbst zu erzeugen. Da die Regierung weiß, daß eine Neuaufnahme des größenwahnsinnigen Projektes Nagymaros auch heute noch einen Machtwechsel zur Folge hätte, ist der Bau eines großen Kohle- oder Atomkraftwerkes im Gespräch.

Industrie- und Handelsminister Iván Szabó (MDF, größte Partei der Regierungskoalition) wollte sich gegenüber der taz nicht äußern, welches Projekt die Regierung vorzugsweise ins Auge faßt. „Ich kann nur sagen“, so Szabó, „daß wir irgend etwas tun müssen, denn uns wurde eindeutig klargemacht, daß es an der ungarisch-österreichischen Grenze keine Steckdose geben wird, an die Ungarn sich anschließen kann.“ Die Ökologin und Radiobiologin Gyöngyi Mangel glaubt allerdings, daß die Entscheidung zugunsten eines Atomkraftwerkes fallen wird, weil die Regierung dabei ist, mehrere Kohlebergwerke zu schließen.