Kuh auf Eis, Kühe in Bewegung

■ Nach der Vereinigung der beiden Berliner Akademien der Künste: „Mit dem Status versuchen zu leben“/ Kuriosität am Rande: West-Graphiker Staeck rutscht als Ost-Akademiker in die gemeinsame Institution

Berlin (dpa/taz) — Einen Tag nach dem turbulenten Wochenende der beiden Berliner Akademien der Künste zeigt man sich, wenn nicht zufrieden, so doch gelassen über die Entscheidung der westlichen Künstler, die verbliebenen Mitglieder der östlichen Akademie en bloc zu übernehmen. „Vielleicht eine unserer besten Stunden“, nannte Heiner Müller die hitzige Debatte und den daraus folgenden Schluß und zeigte sich erleichtert, seinen Präsidentenposten bei der „Akademie der Künste zu Berlin“, wie die Ostberliner Institution hieß, loszuwerden. Er wolle wieder schreiben. Noch stocherte er etwas ziellos im Nebel der Metaphern, als er die Zusammenführung der Institutionen so skizzierte: „Die Kuh ist noch auf dem Eis, und es wird interessant, wie sich die beiden Kühe aufeinander zu bewegen.“

Kritisch und noch nicht endgültig vereinbart ist die Übernahme von Mitarbeitern der Ostberliner Akademie in die dann gemeinsame Akademie. Die Länder Berlin und Brandenburg hatten, so Müller, zunächst eine Garantie der Übernahme „von 30 bis 40“ Mitarbeitern genannt; im Kulturausschuß des Abgeordnetenhauses sei plötzlich von „zehn“ die Rede gewesen. Die Überprüfung durch die Gauck-Behörde wird den übernommenen Mitarbeitern auferlegt.

Vergleichbares wird von den dazugekommenen Künstlern offensichtlich nicht verlangt. Zwar geht der Westberliner Akademiechef Walter Jens davon aus, daß keines der neuaufgenommenen Mitglieder eines der Akademie unwürdigen Verhaltens schuldig sei: Wer gelogen habe, werde ausgeschlossen, „ob das Peter Lilienthal, Heiner Müller oder ich ist“. Aber konkrete Pläne für eine Stasi-Überprüfung der Neuen scheint es nicht zu geben.

Die Begegnung der Kühe nimmt sich bei genauerem Hinsehen aus wie das Treffen von Hase und Igel. Die westliche Akademie hatte vor dem Zusammenschluß 256 Mitglieder, von denen 84 ausländische Künstler sind, wie Willem de Kooning oder Peter Brook. Von der östlichen Akademie kommen namentlich 67 neue Mitglieder hinzu, wobei allerdings 22 Doppelmitglieder sind, und insofern sind nur 45 KünstlerInnen wirklich hinzukommen.

Die Müller-Akademie hatte schon in den letzten Monaten gründlich abgespeckt. Diesen Prozeß hatte Jens offenbar als Akt der Selbstreinigung begriffen und deshalb die Übernahme en bloc für ein zwingendes Entgegenkommen gehalten. Der Pressereferent der westlichen Akademie, Klaus-Peter Herbach, betont, die Übernahme sei faktisch „keine Wahl“ gewesen. Die neuen Mitglieder, auf die nun der permanente Verdacht einer möglicherweise unverdienten Mitgliedschaft fällt, müßten „mit dem neuen Status versuchen zu leben“.

Die vier „Sektionen“ der Müller-Akademie: Bildende Kunst, Darstellende Kunst, Literatur und Sprachpflege und Musik sollen in den sechs „Abteilungen“ der westlichen Akademie aufgehen. Die beiden zusätzlichen Abteilungen sind Baukunst sowie Film- und Medienkunst; die östliche Literatur und Sprachpflege heißt im Westen nur Literatur. Am schwierigsten gestaltet sich die Eingliederung der östlichen Bildenden Künstler in den westlichen Apparat, wo man nach Darstellung von Herbach die östlichen Künstler schlichtweg nicht kenne – aber auch nicht kennenlernen will.

Von den vier bekannten und nach 1989 umstrittenen „Staatsmalern“ der DDR sind noch Werner Tübke und Wolfgang Mattheuer unter den achtzehn Künstlern der schwierigen Sektion, aber auch der alte kommunistische Bildhauer Fritz Cremer ist tatsächlich alles andere als unbekannt. Etliche der Maler und Bildhauer sind Dozenten an der Hochschule in Berlin-Weißensee.

Einer wäre, nach Meinung von Herbach, vielleicht nie Mitglied einer westlich ausgerichteten Akademie der Künste geworden, wenn nicht durch Jens' tolerante Umarmung: Klaus Staeck, der renitente Polit-Graphiker aus Heidelberg. Er ist Gewinner der zwiespältigen Entscheidung für das Kollektiv, die nach Auskunft von Herbach bisher nur die Mitgliedschaft des völlig befremdeten Günter Kunert gekostet hat. Zweck der Entscheidung sei es gewesen, den Neuen „einen letzten Hauch Würde zu belassen“.

Die Abteilung Bildende Kunst könnte den versöhnlichen Zug der Operation noch ins Gegenteil verkehren: Sie sperrt sich gegen die Vermischung mit den Meistern des Sozialistischen Realismus. Die Abteilung Film- und Medienkunst, die nach Darstellung von K.-P. Herbach aufgeschlossener sei, hat bereits Asyl angeboten. uez