Die Arbeitsämter stöhnen vor Arbeit

■ Mit einer »Überlastungsanzeige« haben sich rund 200 Beschäftigte der Arbeitsämter III und V an den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit gewandt/ Monatelange Wartezeiten für Beratungen/ Besonders betroffen: Behinderte

Wedding. Arbeitsämter und Krankenhäuser haben eines gemeinsam: Freiwillig kommt niemand her. Um so schlimmer, wenn der Besuch quälend lange dauert. Wie etwa derzeit im Arbeitsamt V in Wedding. Grün und braun glänzt der Ölanstrich im Treppenhaus, und die Kacheln in den Fluren des Erdgeschosses versprühen den Charme einer öffentlichen Toilette. Wer hier wartet, muß Geduld mitbringen und zugleich genügend Lektüre, um die zeitraubende Warterei zu überbrücken. Sie kann an manchen Tagen Stunden dauern.

Das Arbeitsamt V gehört derzeit — zusammen mit dem Amt III — zu denjenigen im Westteil der Stadt, die am stärksten frequentiert werden. Um auf ihre Situation aufmerksam zu machen, sandten zweihundert Beschäftigte beider Ämter im Januar einen Hilferuf an den Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Egon Franke. In einer »Überlastungsanzeige« erklärten sie ihm, daß die »zumutbare Grenze der Arbeitsbelastung seit langem« überschritten sei.

Der Grund liegt, neben Personalmangel und hohem Krankheitsstand, vor allem in den neuen Strukturen, die seit dem 1. Dezember 1991 für die fünf Westberliner Ämter gelten. Während in den Jahren davor die Arbeitsämter einzelne Fachbranchen betreuten, sind sie nun für alle Berufe in ihrem Einzugsbereich zuständig, das Amt V in der Müllerstraße etwa für Wedding, Tiergarten und Reinickendorf.

Die Auswirkungen der »Regionalisierung«, wie das neue Prinzip lautet, waren von einem Tag auf den anderen zu spüren: Die Zahl der Arbeitslosen erhöhte sich um 15.000 auf rund 25.000. In den ersten Dezembertagen kamen täglich bis zu 3.000 Besucher, und die Schlangen reichten bis vor das trostlose Nachkriegsgebäude.

Die Lage habe sich normalisiert, wie allenthalben erklärt wird. Trotzdem sind die Flure voll. Der Hauptvermittler Ralf Zuch schätzt, daß die Mehrbelastung »um ein Drittel« gestiegen sei. Während vorher ein Hauptvermittler zwischen 600 und 650 Personen betreut habe, seien es in einigen Bereichen derzeit bis zu 1.000.

Die Folge: Kürzere Gespräche, weniger Zeit für eine individuelle Beratung. Gerade Ausländer mit mangelnden Deutschkenntnissen müssen darunter leiden. Zugleich nimmt die Aggressivität zu. Monika Gaykowski, ebenfalls Hauptvermittlerin, erzählt, daß »gerade türkische Männer sich von Frauen nichts sagen lassen wollen«.

Sonja Blasek, Personalrätin im Amt V und Mitglied der ÖTV, hat in vielen Bereichen ein »Abfertigen im Akkord« festgestellt. Entschuldigend fügt sie hinzu: »Manche von uns schlagen vielleicht nicht den richtigen Ton an, aber wenn Sie sechzig Leute am Tag gesprochen haben, dann können Sie nicht mehr anders.«

Außerdem müßten sich die Beschäftigten nun auch in neue, bisher unbekannte Branchen einarbeiten. Etwa bei der Vermittlung von Akademikern, die zuvor allein vom Amt IV betreut wurden. Dieser »anspruchsvolle Personenkreis«, so Blasek, sei es gewöhnt gewesen, daß auf seine Probleme eingegangen werde. Dafür reiche nun die Zeit nicht mehr. Blasek befürchtet daher einen Qualitätsverlust auf Dauer: »Wir machen uns unglaubwürdig, wenn wir nicht in der Lage sind, uns sachkundig zu verhalten.«

Hinzu kommt, daß manche Stellen gar nicht besetzt sind — unter anderem durch Abgänge in den Osten, Krankheit oder Mutterschaftsurlaub. In der Arbeitsberatung »Berufliche Rehabilitation« fehlen beispielsweise derzeit zwei von drei Mitarbeitern. Schwerstbehinderte müssen hier mit Wartezeiten bis zu fünf Monaten rechnen, wie eine Mitarbeiterin erzählt. Selbst wenn der Antrag danach weitergereicht wird, kann es noch dauern: Auch in der Sachbearbeitung fehlt es an Personal.

Die Direktorin Ursula Schadt weiß um die prekäre Lage. Zwar seien im Dezember 41 Mitarbeiter für die Arbeitsvermittlung und Beratung dazugekommen, doch reichten die rund vierhundert Mitarbeiter im Amt V nicht aus. »Es hat sich gezeigt, daß der personelle Rahmen zu eng bemessen ist«, erklärt Frau Schadt, die seit vierzehn Jahren für das Weddinger Amt zuständig ist. Trotz des »unwiderlegbaren Faktums des Personalmangels« wehrt sie sich gegen den Vorwurf, nichts dagegen unternommen zu haben: »Es ist nicht ganz fair, so zu tun, als wäre man mit dem Problem alleingelassen worden.« Schon im November habe sie sich an die vorgesetzte Behörde, das Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg, gewandt und um Abhilfe gebeten. Von dort, so beteuert sie, sei die Zusicherung gekommen, daß im Februar eine gesonderte »Personalbemessung« für die fünf Westämter vorgenommen werde. Ab Ende März solle nun neues Personal für ihr Amt kommen.

Neue Stellen, wie von der ÖTV gefordert, sind hingegen nicht zu erwarten. Denn die neuen Mitarbeiter für Amt III und V werden von einem der fünf neuen West-Ämtern abgezogen — und dort womöglich wieder fehlen. Severin Weiland