KOMMENTAR: Die SPD zieht sich die Steuerlüge an
■ Die Mehrwertsteuer als Wahlkampfschlager erweist sich als Bumerang
Geplant hatte die SPD eine wählerwirksame Kampagne gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer. Die geht schließlich jeden Konsumenten an — und damit alle. Aber die Strategen haben sich verrannt: Ob schon heute im Vermittlungsausschuß, bei der Bundesratssitzung am 14. Februar oder noch etwas später — am Ende werden die Verbraucher die Steuererhöhung berappen müssen und dafür auch noch die Sozialdemokraten (teil)verantwortlich machen. Das Argument Engholms und Lafontaines, daß durch die Mehrwertsteuer besonders die Menschen mit niedrigem Einkommen belastet werden, wird sich schließlich gegen die SPD selbst richten.
Dabei schienen die Ausgangsbedingungen im Herbst recht gut. Die SPD lehnte mit ihrer Bundesratsmehrheit Waigels Steuerpaket ab, das mit den Stimmen der Koalition den Bundestag passiert hatte. Als günstig für die Sozialdemokraten erwies sich dabei, daß alle Länder ein finanzielles Interesse einte: der 35prozentige Länderanteil hätte gerade mal 2,6 Milliarden Mark netto eingebracht.
Waigel will jetzt beim Länderanteil nachbessern: inzwischen bietet er eine Erhöhung des Länderanteils auf 36,5 Prozent an. Und auch beim Kindergeld, das im Gegensatz zum Kinderfreibetrag ebenfalls Sache der Bundeskasse ist, hat sich der Bundesfinanzminister schon in Zehnmarkschritten auf die SPD zubewegt; damit ist Niedersachsens Ministerpräsident Schröder zu ködern. Zweiter unsicherer Kandidat in der SPD-Ablehnungsfront ist Brandenburg, das vor allem ein Interesse an einem gut ausgestatteten „Fonds Deutsche Einheit“ hat. Hier versucht Waigel ebenfalls nachzulegen.
Engholms dramatischer Appell auf dem SPD- Parteirat und Lafontaines beschwörende Anrufe in Potsdam machen deutlich: Die SPD-Führung will um jeden Preis die Ministerpräsidentenschar „auf Linie“ bringen. Wenn die Mehrwertsteuer durchkommt, wird dies als Beweis genommen, daß Engholm gegenüber seinen Wählern Versprechen nicht einlösen kann.
Im Nachhinein sieht es so aus, als ob Finanzminister Waigel mit seinen Vorschlägen gezielt den Konflikt zwischen SPD-Ländern und der Bundestagsfraktion provoziert hat. Er konnte sich ausrechnen, daß die anfangs auch von CDU-Ministerpräsidenten mitgetragene Länderfront bei entsprechenden Nachbesserungen zusammenbrechen würde.
Jetzt wird den Wählern beim Thema Steuern nicht nur die Regierung einfallen, gerade weil die SPD-Bundesratsmehrheit die Mehrwertsteuererhöhung hätte kippen können. Und wie ein Geschenk des Himmels bekommt Waigel nun auch noch ausgerechnet von einem SPD-Mann Rückendeckung: Der brandenburgische Finanzminister Kühbacher warf am Wochenende seinen eigenen Parteigenossen vor, sich durch die Ablehnung der 15-Prozent-Marke eine Steuerlüge ans Bein zu heften; schließlich seien 15 Prozent der Mindestsatz, den die EG vereinbart habe und der deshalb über kurz oder lang auch in der Bundesrepublik kommen muß. Waigel hat dagegen die EG-Beschlüsse den ganzen Herbst lang nicht als Argument in den Vordergrund gestellt. Seine Rechnung, die Debatte auf innenpolitischem Terrain zu halten, ist aufgegangen. Daß jetzt aber ausgerechnet ein SPD-Mann seine eigene Partei bezichtigt, den Wähler beim Thema Mehrwertsteuer in die Irre zu führen, ist mehr, als Waigel erhoffen durfte. Annette Jensen
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