Kooperation am Schwarzen Meer

Acht Anrainerstaaten trafen sich in Istanbul, um eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit in die Wege zu leiten/ Bereitschaft zur Aufnahme Griechenlands — und Jugoslawiens  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Der türkische Staatspräsident Turgut Özal verhehlte seine Freude nicht. „Ich bin stolz auf dieses Treffen. Ich sehe, wie ein Projekt, das ich erst vor einem Jahr vorgeschlagen habe, jetzt realisiert wird. Selten wird man in diesen Zeiten Zeuge, daß ein solch umfassendes und großes Projekt in solch kurzer Zeit zur Reife gelangt.“ Die EG-gekränkten Türken konnten mit dem Ergebnis des Außenministertreffens „Wirtschaftskooperation Schwarzmeerregion“ zufrieden sein. Delegationen der Staaten Armeniens, Aserbaidschans, Bulgariens, Georgiens, Moldawiens, Rumäniens, Rußlands und der Ukraine waren nach Istanbul gereist. Im Istanbuler Sheraton floß am Montag nachmittag nach der Paraphierung der Abschlußerklärung der Champagner. Bereits im Frühsommer wollen die Staatspräsidenten der Partnerländer in Istanbul zusammenkommen, um das Abschlußdokument feierlich zu unterzeichnen.

Ein Wirtschaftsraum von 350 Millionen Menschen

Die Kooperation betrifft einen Wirtschaftsraum, in dem über 350 Millionen Menschen leben. Vorerst beläßt es das Dokument bei Absichtserklärungen zur ökonomischen Zusammenarbeit. Im Energiesektor, beim Ausbau der Infrastruktur im Verkehrswesen, im Torismus, im Wissenschafts- und Technologieaustausch wollen die Länder künftig kooperieren. Auch die Gründung einer gemeinsamen „Investitionsbank Schwarzmeer“ ist ins Auge gefaßt. Expertenkommissionen sollen künftig die konkreten Kooperationsverträge ausarbeiten. Mindestens einmal jährlich wollen die Außenminister zusammenkommen. Ausdrücklich wird in der Istanbuler Erklärung darauf verwiesen, daß die Schwarzmeerkooperation den Beziehungen der Partnerstaaten zu Drittstaaten nicht im Wege steht. Namentlich die EG wird in diesem Zusammenhang genannt.

Nur zu bereitwillig stimmten die Staaten, die aus den Trümmern der Sowjetunion entstanden sind, auf die Lobpreisung des Kapitalismus durch den türkischen Staatspräsidenten Özal ein. „Das Projekt ist in Harmonie mit den Dynamiken des globalen Wandels“, sagte Özal zur Eröffnung des Treffens. Der freie Handel — so Özal— sei die beste Garantie für Stabilität und Frieden in der von politischen Krisen gerüttelten Region. „Fortschritte in der Demokratisierung und in der freien Marktökonomie werden die Zusammenarbeit intensivieren.“

Zuweilen gaben sich die armen Staaten euphorisch. „Freihandelszonen, Konvertibilität der Währung und Privatisierung stehen an“, sagte der stellvertretende georgische Außenminister Tedo Caparidze. „Die Kooperation Schwarzmeer ist für uns wichtiger als die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten.“

Türkische Kommentatoren feierten die Konferenz. Die Konferenz Wirtschaftskooperation Schwarzmeer zeigte, daß die betroffenen Staaten nicht alternativlos dem Westen ausgeliefert seien, kommentierte die türkische Tageszeitung 'Hürriyet‘. Im Gegensatz zur EG soll sich die Schwarzmeerkooperation ausschließlich auf ökonomischem Gebiet vollziehen. Über Mechanismen zur politischen Konfliktregelung denkt vorerst niemand nach.

Die Ankündigung des türkischen Außenministers Hikmet Cetin, daß die Partnerstaaten sich darauf geeinigt haben, Griechenland und Jugoslawien, die bislang Beobachterstatus hatten, aufzunehmen, falls diese Interesse an der Gemeinschaft bekundeten, entbehrte nicht der Skurrilität. Ein Jugoslawien, das nicht mehr existiert. Ein Griechenland, das aufgrund des Zypern-Konfliktes ein recht gespanntes politisches Verhältnis zur Türkei unterhält.

Zu Problemen war es offensichtlich schon im Vorfeld des Treffens wegen der Sitzordnung gekommen. Die Vertreter der verfeindeten Brüder Armenien und Aserbaidschan hätten üblicherweise aufgrund ihres Anfangsbuchstabens A nebeneinander Platz nehmen müssen. Vor Beginn der Konferenz wurde die Sitzordnung dann geändert. Während Meldungen über neue Tote im Bürgerkrieg in Berg-Karabach in Istanbul eintrafen, nahm der türkische Außenminister Hikmet Cetin den aserbaidschanischen Außenminister Hüseyin Aga Sadikov zu seiner Linken, den stellvertretenden armenischen Außenminister Armand Navassarian zu seiner Rechten. Der Leidtragende war der russische Außenminister Andrei Kozirew, der ganz am Rande plaziert wurde.

Bedrückende Stille herrschte, als auf der abschließenden Pressekonferenz den Vertretern Armeniens und Aserbaidschans eine Frage zum Berg-Karabach-Konflikt gestellt wurde. Auf Bitte des türkischen Gastgebers nahm zuerst Navassarian Stellung: „Wir wissen, daß es bewaffnete Auseinandersetzungen gibt. Daß auf beiden Seiten Frauen und Kinder sterben. Es geht dort um das Recht auf Selbstbestimmung. Stalin hat die Region unserem Nachbarstaat zugeschlagen. Die armenische Seite ist einem Kompromiß gegenüber offen. Die Region soll weder Armenien noch Aserbaidschan gehören. Es hat eine Volksabstimmung gegeben. Sie wollen in die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten aufgenommen werden. Das ist die Lösung.“

Thema am Rande: Berg-Karabach

Der aserbaidschanische Außenminister Sadikow wies auf die Vertreibung von 200.000 Aserbaidschanern aus Armenien hin, während rund 150.000 Armenier in Aserbaidschan leben würden. Falls man den Status von Berg-Karabach ändern wolle, müsse man die gesamte Weltkarte ändern. Wie sein armenischer Amtskollege sprach sie auch Sadikow für einen Dialog zwischen beiden Staaten aus. „Meine beiden Amtskollegen haben erklärt, daß sie eine friedliche Lösung, den Dialog wollen. Ich bin glücklich, es von beiden zu hören“, frohlockte der türkische Außenminister Hikmet Cetin nach den Statements Navassarians und Sadikows. Doch die Atmosphäre war eher gereizt denn freundlich. Trotz der über hundert Toten im Bürgerkrieg in Berg-Karabach vergangene Woche konnten sich der armenische und aserbaidschanische Vertreter nicht zu einem direkten Gespräch in Istanbul durchringen.

Die Befürchtungen, daß die gefeierte ökonomische Schwarzmeerkooperation — an der auch Nicht- Schwarzmeeranrainer beteiligt sind— im Strudel der ethnischen und politischen Konflikte in der Region eine Mißgeburt werden könnte, wurden am Rande der Konferenz in der Hotellobby vorgetragen. Der Berater des armenischen Präsidenten, Vahan Papazyan, wollte sich im Gespräch mit der taz nicht unbekümmertem Zukunftsoptimismus hingeben: „Wenn die Entwicklung in Berg-Karabach so weitergeht, verliert sowohl Armenien als auch Aserbaidschan die Kontrolle. Es kann zu einem ethnischen Krieg kommen.“