NEU IN DER SCHAUBURG, VIER STUNDEN LANG: Das Geheimnis der „schönen Querulantin“

Filme von Jacques Rivette sind Wunderwerke der Kinokunst, denn sie vereinen Sinnlichkeit mit Intellektualität. So kommen Cineasten, diese lemurenhaften Verächter sinnlichen Filmvergnügens, auf ihre Kosten, weil sich an den Geschichten, die Jacques Rivette erzählt, und an den Zeichen, die seine Bilder tragen, Diskurse über Ästhetik, über Kunst, über Liebe herausinterpretieren lassen. Wer aber ins Kino geht, weil es zuallererst ein Ort der Schaulust ist, ein Ort, an dem das Geheimnis des Bilderleuchtens nie vollständig entschlüsselt wird — der lernt bei Jacques Rivette, ganz ohne akademisches Gegrübel, das Staunen wieder.

Und bei der „Schönen Querulantin“ kommt man aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, denn über die Dauer von vier Stunden geschieht nicht mehr, als daß ein Maler und sein Modell — meist wortlos — um das Erschaffen eines Kunstwerks kämpfen. Doch dieser in der Substanz abstrakte Kampf wird mit einer so konkreten und konzentrierten Spannung ausgetragen, daß man wie verzaubert daran teilnimmt, in einen Zustand der Zeitlosigkeit gerät.

Der Maler Frenhofer (Michel Piccoli) ist vor zehn Jahren an seinem Bild „Die schöne Querulantin“ — mit Liz (Jane Birkin), seiner Frau, als Modell — gescheitert und malt seither nur noch Selbstporträts. Nun wird ihm, durch eine Abmachung unter Männern, das Mädchen Marianne (Emmanuelle Béart) als Modell — ja: zugeführt, könnte man sagen, wie eine Prostituierte, die von feingeistigen Zuhältern verschachert wird. Marianne wehrt sich zunächst voll Zorn dagegen, entscheidet sich dann aber selbst, Frenhofer Modell zu stehen. Sie, die Lebendige, fordert mit ihrem nackten Körper den Künstler heraus, der an ihrer Lebendigkeit endgültig scheitern wird: Das Bild, das er schließlich zustandebringt, ist zum Erschrecken kalt und leer — das erfahren wir aber nur aus den Gesichtern von Liz und Marianne. Niemand sonst — auch wir nicht — bekommt das Bild zu sehen. Und fast unmerklich haben sich während der fünf Tage, an denen Frenhofer „Die schöne Querulantin“ malt, auch die Beziehungen zwischen den Paaren Frenhofer- Liz und Marianne-Nicolas verändert, sind tot, kalt, leer geworden. Die „Wahrheit“, die Frenhofer aus Mariannes nacktem, in schmerzhafte Posen verschränkten Körper auf seine Leinwand zwingen wollte, ist, statt in der Kunst, im Leben an den Tag gekommen.

Es ist ein Akt der doppelt mißlungenen Unterwerfung: Unterwerfung des lebendigen Körpers unter sein Abbild in der Kunst, und Unterwerfung einer Frau unter den Herrschaftsanspruch eines Mannes: Je komplizierter und verschränkter die Posen werden, mit denen Frenhofer Marianne zu seinem Entwurf zu machen sucht, desto widerspenstiger verweigert sich der „Entwurf“ — bis Marianne die Rollen umkehrt, die Posen selbst bestimmt und so Frenhofers Scheitern als Maler wie als Mann besiegelt.

Aber weder Triumph noch Drama stehen am Ende dieses Films — sondern ein Gartenfest, hinter dessen Schönheit und Farbigkeit sich die Verstörungen der Paare verbergen, so, wie sich die Lebendigkeit des Körpers vor Frenhofers kratzender Tuschefeder und dem Pinsel verborgen hat. Die Körperlichkeit der Frau jedoch, die sich den Linien auf Frenhofers Leinwand verweigerte, strahlt von der Filmleinwand herab wie das Geheimnis der unzähmbaren, ungebändigten Vitalität: so schön, so fern von jedem Spekulieren mit Sexualität war Weiblichkeit im Kino noch nicht zu sehen. Sybille Simon-Zülch

Schauburg, eine Woche lang in der vierstündigen Originalfassung mit Untertiteln, danach zweistündig und synchronisiert.