„Das Frauenhaus ist knallvoll“

■ 10-Jahres-Bilanz der AWO: Zuflucht für 3.500 mißhandelte Frauen und Kinder

Dienstag, 4.2.92, ein ganz normaler Tag im AWO-Frauenhaus: Eine Frau zieht nach längerem Aufenthalt mit ihren drei Kindern aus — plötzlich steht unangemeldet eine mißhandelte Mutter mit zwei Kindern vor der Tür. Innerhalb einer halben Stunde ist der freigewordene Platz wieder belegt. Zwei weitere Frauen müssen an das Frauenhaus Schwanewede weiterverwiesen werden, aber von dort gibt es eine Absage: „Wir sind knallvoll.“ Was mit den beiden jetzt ist — „wir wissen es nicht“, sagt Maria Schnackenburg, eine der beiden Leiterinnen.

Seit zehn Jahren gibt es das AWO-Frauenhaus — über 3.400 Frauen und Kinder, die von gewalttätigen Männern körperlich und seelisch mißhandelt wurden, haben dort Schutz gefunden. Grund genug für die 14köpfige Besatzung, das zehnjährige Jubiläum mit einem lachenden und einem weinenden Auge zu feiern: „Nach wie vor können Männer ihren Frust den Frauen ins Gesicht prügeln — die Frauen flüchten mit den Kindern ins Frauenhaus, 90 Prozent der Männer bleiben ungestraft und dürfen zusätzlich noch in der gemeinsamen Wohnung bleiben.“

Die insgesamt etwa 100 Plätze der drei Bremer Frauenhäuser — in dem der AWO stehen 46 Plätze zur Verfügung — sind chronisch überbelegt. Grund dafür ist u.a. die anhaltende Wohnungsnot: „Wenn die Frauen unseren unmittelbaren Schutz nicht mehr brauchen, können sie nirgends hin,“ sagt Monika Bossong, die zweite Leiterin.

Statt öffentlicher Ächtung von Gewalt in der Familie werde sich nicht nur auf der Tatsache ausgeruht, daß mit den Frauenhäusern ja etwas für mißhandelte Frauen getan wird: „Wir haben den Verdacht, daß die Sozialämter es lieber bei der billigen Unterbringung im Frauenhaus belassen, als überhöhte Mieten zu bezahlen“, meint Schnackenburg. Es gibt immer weniger Neuaufnahmen — nicht, weil die Gewalt gegen Frauen abnimmt, sondern weil die Aufenthaltsdauer zwangsweise immer länger wird. Deshalb forderte die AWO gestern von der Sozialsenatorin Bereitstellung von Wohnraum und eine vorrangige Behandlung von Frauen aus dem Frauenhaus bei der Verteilung von Sozialwohnraum.

Zwischen 40 und 50 Prozent der Frauen gehen nach ihrem Aufenthalt im Frauenhaus zu ihrem Mann zurück — die Hälfte von ihnen kommt nach einer Weile wieder. Rund um die Uhr steht das Frauenhaus offen. Auch wenn kein Platz ist, gibt es die Möglichkeit ambulanter Beratung. Die Möglichkeit, Hilfe und Sicherheit für sich und die Kinder zu bekommen, hat sich in den letzten zehn Jahren in den Köpfen immer mehr verbreitet. „Trotzdem kommen die meisten zu spät“, meint Schnackenburg.

Jede siebte Frau erhält Hilfe bei der Flucht ins Frauenhaus durch Verwandte und Bekannte, jede zehnte durch das Amt für Soziale Dienste — und nur jede zwölfte wird von der Schutzpolizei hergebracht. Gewalt in der Familie findet noch immer unter dem privaten Deckmantel statt — „Selbst wenn die Polizei eingeschaltet wird, sagt die Frau an der Tür oft 'Es war gar nichts'“, so Bossong. Kein Wunder, wenn der Mann noch in der Wohnung ist. Versuche einer Zusammenarbeit mit der Polizei hat es schon mehrfach gegeben — in Form von Fortbildungen. In Polizeiprotokollen taucht Gewalt gegen Frauen fast nie auf: „Es gibt kaum Strafanzeigen in dieser Richtung“, meinte gestern ein Polizeisprecher. Genügend Einsätze, ohne daß es zu einer Strafverfolgung kommt, gibt es allerdings: „Das sind dann Ruhestörungen.“ skai