Berlin erscheint immer konspirativer

■ Boeden-Gutachten macht im Regierungssitz Berlin neue Operationsgebiete für Verfassungsschützer aus

Berlin. Mit der Verlagerung des Parlaments- und Regierungssitzes nach Berlin wachsen auch dem Landesamt für Verfassungsschutz neue Tätigkeitsfelder zu. Nichtsdestotrotz kann der Personalbestand um 59 auf 247 Mitarbeiter zusammengeschmolzen werden. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten »zur Neustrukturierung des Landesamtes für Verfassungsschutz«.

Die Expertise, die der taz vorliegt, wurde von einer Kommission unter Federführung des ehemaligen Leiters des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Gerhard Boeden, im Auftrag des Innensenators erstellt, um Wege aus der Dauerkrise des Geheimdienstes aufzuzeigen. »Daß sich das Landesamt in keinem guten Zustand befindet und die Mitarbeiter zum Teil stark verunsichert sind«, blieb auch den Gutachtern nicht verborgen. Den Grund dafür sehen sie darin, »daß politische Parteien unmittelbar in das Amt hineingewirkt haben und Einfluß auf die Aufgabendurchführung genommen haben«. Auch sei in die Personalpolitik eingegriffen worden.

Eine Besserung der Situation erhoffen sich Boeden und Co von einem neuen Verfassungsschutzgesetz, einer wirksamen Dienst- und Fachaufsicht sowie einer Reduzierung der Kontrollbefugnisse des Abgeordnetenhauses. So soll sich zukünftig aus Gründen des Quellenschutzes nicht mehr jeder Mitarbeiter des Landesamtes mit seinen Beschwerden direkt an das Parlament wenden können.

Neben der Verbesserung der Binnenstruktur sollen neue Aufgabengebiete den Verfassungsschutz aus seiner Sinnkrise führen. Zwar sind auch nach Einschätzung der Gutachter die orthodoxen Kommunisten »kaum mehr kampagnenfähig«, dafür seien aber »die erkannten nachrichtendienstlichen Positionen der Sowjetunion« noch intakt.

Zudem sei seit der Entscheidung über den Regierungssitz »der Großraum Berlin für nachrichtendienstliche Ausspähung noch interessanter geworden, zumal sich diese nach fachkundiger Einschätzung auf die Wirtschaft und Technik konzentrieren wird«. Zukünftig böten sich in Behörden und Unternehmen »Zielobjekte und Zielpersonen von erheblicher Bedeutung an, die nachrichtendienstlich aufgeklärt werden können.

Die sowjetischen Nachrichtendienste hätten bereits entsprechende Vorbereitungen getroffen. Zwar ist die Spionageabwehr eigentlich Aufgabe des Bundesamtes, dieses überläßt jedoch die Informationsbeschaffung wegen der besseren Ortskenntnis der Berliner Landesbehörde.

Aufgrund der Entwicklung in der Spionageabwehr, aber auch in den Beobachtungsbereichen Rechtsextremismus und »Gefahrenpotential MfS« ist nach Einschätzung der Gutachter mit einem »Mehr an Aufgaben« für den Verfassungsschutz zu rechnen. Sie plädieren trotzdem für einen drastischen Personalabbau auf knapp 250 Mitarbeiter und haben dafür auch ein triftiges Kriterium gefunden. Sie empfehlen, »aus Fürsorgegründen gegenüber Betroffenen und im Interesse der Sicherheit des Amtes« vor allem diejenigen Mitarbeiter, die vom früheren Ministerium für Staatssicherheit der DDR »abgeklärt und ausgespäht« worden sind, an andere Behörden zu versetzen«. Gemessen an dieser Elle, dürfte der Personalbestand jedoch noch weit drastischer schrumpfen. dr