Perfide Tarnmanöver

Über Axel Engstfelds Dokumentarfilm „Das Alaska-Syndrom“  ■ Von Henk Raijer und Gunda Schwantje

Am Anfang war das Riff, das dort nicht eingeplant war. Dann das klaffende Leck, das da nicht sein durfte. Wenig später ein Tankerkapitän, der's nicht gewesen sein wollte, aber zum Sündenbock gemacht wurde. Und schließlich der Multi, der halb Alaska in einen Kriegsschauplatz verwandelte, nur um der Natur zu zeigen, was 'ne Harke ist.

Amerika hielt den Atem an, in jenen ersten Wochen nach dem 24.März '89, als die 42 Millionen Liter Rohöl aus dem Schlund der Exxon Valdez bereits über tausend Meilen Strand mit einer lakritzfarbenen Brühe überzogen hatten; bis in die letzte Ritze hinein war jede Insel in Alaskas unberührtem Prince William Sund mit dem „schwarzen Gold“ durchtränkt. Und als dann die ersten Dutzend Weißkopfadler in Form von klebrigen fädenziehenden Lumpen aus dem Sund gezogen wurden, war für Millionen von Amerikanern die Schmerzgrenze überschritten. Plötzlich ging es nicht mehr um eine weitere „kleine“ Ölpest vor der Küste einer x-beliebigen Bananenrepublik. Ihr Alaska wurde hier bedroht, Synonym für unberührte, saubere und noch zaunlose Weiten. Und es war ihre Empörung, die die Exxon Corporation veranlaßte, ihr beflecktes Image durch eine sinnlose, aber pressewirksame Putzaktion wieder aufzupolieren.

Nur wenige Tage nach jenem rabenschwarzen Karfreitag zog es den deutschen Dokumentarfilmer Axel Engstfeld in Amerikas hohen Norden, um mit der Kamera festzuhalten, wie in den unzugänglichen Buchten des 49.Bundesstaates Hunderte in graues Ölzeug gekleidete Gestalten Kieselsteine wischten und gefiederte Ölkadaver entsorgten. Zu dokumentieren, wie ein hausgemachtes Desaster Amerikas letztes Stückchen Wildnis in Agonie gestürzt hatte. Festzustellen — bei einem erneuten Besuch im Jahr darauf —, wie sehr die Ölpest und die anschließende Exxon-Apokalypse Mensch und Tier traumatisierte.

Dabei herausgekommen ist Das Alaska-Syndrom — ein Film nicht so sehr über die ökologische und emotionale Hypothek der Havarie für das Land und seine Bewohner, sondern ein Dokument zeitgenössischen Machbarkeitswahns gegenüber der Natur. Ein Film, der zwar zeigt, wie grausam Otter, Seehunde und eine halbe Million Vögel kläglich verendeten, wie Fischerfamilien ihrer Existenz beraubt wurden, Ureinwohner in tiefe Resignation fielen und wie die Mär vom schnellen Exxon-Geld Tausende von Dollarjunkies aus dem Süden nach Alaska lockte. Zuallererst aber ist Das Alaska Syndrom die Geschichte von Habgier und Macht, von Anmaßung und Fortschrittsideologie, von Manipulation und Korruption, von Bedrohungen und finsteren politischen Liaisons. Kurz: die Geschichte vom Goldrausch in Permanenz.

In der Anfangssequenz tastet eine Unterwasserkamera mit großer Geschwindigkeit die Wasseroberfläche ab. Das schaumigbraune Öl-„Mousse“, das inzwischen große Teile des sonst vor Lachsen und Walen strotzenden Sunds in einen Parkplatz verwandelt hatte, raubt auch dem Betrachter fast den Atem. Hautnah sollen wir ZuschauerInnen nachempfinden, wie ausweglos die Lage jener armseligen Kreaturen war in ihrem Todeskampf mit dem Stoff, der da nicht hingehörte. Dann ist da plötzlich der Bug des gestrandeten Supertankers; auf der Leinwand die Frontalansicht der Exxon Valdez, während Joseph Hazelwood über das Bordradio der Küstenwache vollkommen emotionslos meldet, sein Schiff sei nur wenige Meilen vom Ölterminal entfernt auf Grund gelaufen. Als handele es sich um eine Routineanordnung für seinen ersten Offizier, sagt der Käpt'n lapidar: „I think, we're gonna be here for a while. And, uhm, we're loosing a bit of oil.“

Dieser Funkspruch war symptomatisch für die milliardenschwere Öffentlichkeitskampagne, die dann vom Zaun gebrochen wurde und mit der das größte Industrieunternehmen der Welt den schwarzen Fleck auf seiner weißen Weste zu bagatellisieren bemüht war. Das Alaska Syndrom zeigt auf, daß der Oil Spill Clean-up, jene irrwitzige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme im Golf von Alaska, ein einzig perfides Tarnmanöver war: Exxon hatte kein schlechtes Gewissen, hatte in Alaska kein Anliegen. Exxon war besorgt um seinen Ruf.

Axel Engstfeld hat gründlich recherchiert. Er war dabei, als wütende Fischer und Umweltaktivisten ihre ganze Erfahrung einbringen wollten, um den Schaden zu begrenzen — und wie sie von eigens eingeflogenen Exxon-Experten daran gehindert wurden. Der Film berichtet davon, wie intakte Dorfgemeinschaften durch Schweigeprämien für wenige Einflußreiche gespalten wurden. Wie der Lockruf des leichtverdienten Geldes ganze Scharen von Arbeitssuchenden in den Norden lockte und die Städtchen am Sund in desolate Heerlager verwandelten. Wie Menschen manipuliert, bedroht und bespitzelt wurden. Wie politische Gegner („oil and fish don't match“) zu Bundesgenossen geschmiert wurden. „Alle wurden sie bezahlt, damit sie die Klappe hielten“, erzählt die Fischerin March Tillian aus Seward. Und Alaskas subsistenzwirtschaftende Ureinwohner wurden mit tiefgefrorenen Hamburgern abgespeist, als der Sund für den Fischfang gesperrt war.

Ein alter Tlingit-Indianer aus Tatitlik erklärt, welch irrigem — weißem — Denken es entspringe, zu glauben, man könne den Verlust, den er erlitten habe, mit Geld entschädigen.

Das Alaska Syndrom zeigt, wie in den eilig hergerichteten Tierasylen von Valdez und Seward freiwillige Helfer Tausende von Säugern und Vögeln vom Schlick befreiten — bis auch das Gewissen eines jeden Autofahrers daheim vor dem Bildschirm porentief rein war. 80.000 Dollar pro Tier kostete das Rundum-Sorglos-Paket, mit dem halb krepierte Otter solange geschrubbt und gefönt wurden, bis sie im hauseigenen Meerwasserbecken ihren Bauch wieder possierlich der Sonne entgegenstrecken konnten. Nur durch Zufall und ohne Exxon-Billigung filmte die Crew auch, wie in Exxon-Sanatorien verendete Seehunde und Otter zur Obduktion weggeschafft wurden. Das bekam Amerika nicht zum Frühstück serviert. Denn Bilder toter Tiere, so die Devise, könnten die Öffentlichkeit „beunruhigen“. Nichts genehmigen, wenn man das Ergebnis nicht kontrollieren kann, lautete das Credo — keine Exxon- Spezialität übrigens, hat doch vor nicht allzu langer Zeit auch das Pentagon die Bildergläubigkeit einer ganzen Nation aufs trefflichste ausgenutzt.

Es muß als Verdienst gelten, daß Engstfeld in Das Alaska Syndrom bewußt darauf verzichtet hat, den Apologeten aus den Exxon-Führungsetagen ein Forum zu verschaffen für ihre Phrasen, für ihre inszenierte Mär von der übernommenen „Verantwortung“, die er sich zweifellos immer wieder hat anhören müssen. Im Bemühen aufzuzeigen, wie erfolgreich Exxon war, der Weltöffentlichkeit glauben zu machen, seine Geschäftigkeit im Sund diene der Wiederherstellung einer intakten Umwelt und kurbele beiläufig auch die Konjunktur in Alaska an, bezieht der Filmemacher ganz klar Position: Das Alaska Syndrom rechnet ab mit einem hartnäckigen Mythos: daß es um Alaska ging und daß die Ölindustrie und Washington immer nur die Bewahrung der Schöpfung im Sinn hätten. Denn die Geschicke Alaskas wie die der gesamten Nation und ihrer Politikerkaste, so Pizza-Bäcker Mike aus Anchorage in Das Alaska Syndrom, werden diktiert von Alaskas ureigenstem Alphabet aus sieben Buchstaben: A wie ARCO, B wie Britisch Petroleum, E wie Exxon, P wie Philips Oil und wie sie weiter heißen. Sie waren es, die im Jahre 1973 mit Hilfe des Republikaners Richard Nixon die „Lösung“ des „drängenden Rohstoffproblems Amerikas“ mit der Erschließung von Prudhoe Bay in Angriff nahmen. Sie waren es, die Milliarden in den Bau der legendenumwobenen Pipeline steckten, jener vermeintlich unverzichtbaren Halsschlagader eines halben Kontinents: eines 2.000 Kilometer langen Frevels aus glänzendem Metall, quer durch die schönsten Naturreservate der Welt.

Folgerichtig macht der Film weder den betrunkenen Käpitän noch das ungehörige Eis für die Katastrophe verantwortlich. Die Havarie der Exxon Valdez gehe eindeutig auf das Konto der fatalen Liaison zwischen Ölindustrie und Politik, so der Mann, der sich das Sicherheitskonzept für die delikate Route durch den Golf von Alaska ausgedacht hat; Mr. Parker ist überzeugt, daß Käpt'n Hazelwood seinen Kahn nur auf Anordnung seiner Chefs viel zu schnell und mit vollem Risiko durch die Eisberge laviert habe — um Zeit zu sparen. Ein Unding auch, daß die Kontrolle über die Schiffahrt mit der heißen Fracht in eisigen Gewässern ausschließlich der Ölindustrie obliege; sie habe die Küstenwache und die Regierungsinspektoren zu puren Erfüllungsgehilfen reduziert. Und solange die Republikaner von der Ölindustrie finanziert würden, die Republikaner im Amt sich ihrerseits entsprechend entgegenkommend zeigten — weil ja auch ein Bush an der Macht bleiben will —, solange gehe das Plündern weiter.

Weil nun die Felder an der Prudhoe Bay langsam versiegen, hat das Öl-Alphabet seit einigen Jahren schon einen weiteren arktischen Küstenstreifen, das Arctic National Wildlife Refuge, im Visier. Die „Panne“ mit der Exxon Valdez hat diesem „Serengeti Amerikas“ noch eine Pietätsfrist eingeräumt. Doch seit dem Ende des Golfkriegs läßt Öl- Mann George Bush keine Gelegenheit aus, das Menetekel der „bedrohten nationalen Sicherheit“ an die Wand zu malen, um die Goldene Gans Alaska zum weiteren Legen zu bewegen. Das Alaska Syndrom bringt die Anmaßung, die sich hinter dieser Politik verbirgt, auf den Punkt: entdecken, plündern und weiterziehen — nach nebenan.

Axel Engstfeld, Das Alaska Syndrom. Engstfeld Filmproduktion/ WDR, BRD 1991. 97 Min.