Stille auf dem Roten Platz

■ Moskauer Stadtverwaltung schränkt Demonstrationsrecht ein — aus Kostengründen

Berlin (taz) — Daß alles in der ehemaligen Sowjetunion nicht mehr so ist, wie es mal war, daran haben wir uns inzwischen gewöhnt. Doch den symbolträchtigen Roten Platz in Moskau hätten die neuen Machthaber nun wirklich aus dem Spiel lassen können.

Dessen wichtigste Funktion, nämlich Schauplatz aller möglichen Menschenaufläufe zu sein, ist seit gestern in Frage gestellt. Hier verkündeten die Herolde des Zaren die neuen Ukas, hier wurden die Verbrecher geköpft, hier demonstrierten die Proletariermassen für die Revolution, hier defilierten sie in Reih und Glied vor dem Politbüro und hier demonstrierten die wenigen gegen den Einmarsch der Roten Armee in der Tschechoslowakei.

Und last not least: hier bildeten sich die Schlangen vor dem Lenin-Mausoleum. „Eingeschränktes Demonstrationsrecht“ heißt das neue Dekret, mit dem die Moskauer Stadtverwaltung das rege Leben auf dem großen Platz zwischen Kremlmauer, Historischem Museum, dem Kaufhaus Gum und der Basiliuskathedrale drastisch einschränken will.

Die Begründung des stellvertretenden Bürgermeisters Juri Luschkow andererseits klingt einleuchtend: Wir könnten uns „die mit Demonstrationen verbundenen Kosten“ einfach nicht mehr leisten. So weit sei es mit der Demokratie in Rußland schon gekommen, daß fast jede politische Gruppe „darauf brenne sich öffentlich zu äußern“. Ein wirklich unhaltbarer Zustand. Dazu, so Luschkow, kämen noch die massiven Verkehrsstaus.

Verkehrsstaus? Doch, doch, Verkehr gab es auf dem Roten Platz bisher zu jeder Jahreszeit. Deshalb auch die Zebrastreifen in seiner strategischen Mitte. Die unwissende BesucherIn verstand allerdings nicht sofort, warum sie ein Milizionär rabiat am Arm packte und zum Warten zwang. Solange zumindest, bis sich plötzlich eines der riesigen Kremltore öffnete und ein schwarzer Diplomatenschlitten über den Platz preschte. Dann allerdings sprang sie flink zur Seite.

Freie Wege für freie Politiker, das sehen wir natürlich ein. Und hatten schon damit gerechnet, daß es bald die tagtäglich ausharrenden Schlangen vor dem Lenin-Mausoleum und Mitternachts-Menschentrauben vor jeder Wachablösung nicht mehr geben wird. Um die Militärparaden, jetzt vielleicht in schmucker russischer Uniform und mit neuen russischen Panzern und Fahnen, die feierlich an der Kremlmauer entlangzogen, ist es allerdings wirklich schade. Und was, fragt sich die neugierige Touristin wird die unvergleichlichen Mai-Demos mit „Es lebe das Kollektiv aus der Fabrik...“ ersetzen? Oder, die spontanen Demos gegen die neue Jelzin-Regierung? Birgit Ziegenhagen