Erstmals eine Raoul-Wallenberg-Straße in Berlin

■ Marzahn übernimmt das Gedenken an den schwedischen Diplomaten, der Zehntausende ungarischer Juden rettete Dafür verschwand Bruno Leuschners Straßenschild/ Eine Ehrung für den Antifaschisten, von dem keiner weiß, ob er noch lebt

Berlin. Der schwedische Diplomat Raoul Wallenberg nimmt ab jetzt den Platz von KPD- und SED-Funktionär Bruno Leuschner ein — jedenfalls auf dem Straßenschild. Eine späte Ehrung, zumal keiner weiß, ob Wallenberg noch lebt und ihm bis jetzt kein Denkmal in Berlin gewidmet war. In den DDR-Geschichtsbüchern kam er nicht einmal vor.

Dabei sind von Budapest bis Stockholm Straßen nach ihm benannt, in den USA arbeiten gar fünf Wallenberg-Komitees. Erst im vergangenen Jahr wurde auch in Berlin ein Wallenberg-Komitee gegründet, dem zwanzig Schüler und Studenten angehören. Diesem ist die Umbenennung der Straße in Marzahn zu verdanken. Am Mittwoch nachmittag wurden die neuen Schilder enthüllt, danach eröffnete Marzahns Bezirksbürgermeister Andreas Röhl eine Ausstellung im Rathaus über den schwedischen Humanisten.

Als Diplomat in Budapest rettete er 1944 Zehntausende ungarischer Juden, indem er ihnen schwedische Schutzpässe ausstellte, was sie vor der Deportation nach Auschwitz bewahrte. Kurz nach der Eroberung Budapests durch die Rote Armee im Januar 1945 wurde Wallenberg von einer Vorläufergruppe des KGB verhaftet und nach Moskau gebracht. Seitdem ist er verschollen.

Doch bis 1991 reichen Augenzeugenberichte, die ihn in russischen Lagern gesehen haben wollen. Die sowjetische Regierung behauptete 1957, daß Wallenberg an Herzversagen gestorben sei. Zwischen 1965 und 1970 aber hat der KGB mit dem schwedischen Diplomaten Carl Gustaf Svingel über einen Austausch Wallenbergs verhandelt. Doch die damalige schwedische Regierung ging auf das Angebot nicht ein. »Dunkel und undurchschaubar« sind für Svingel, der bei der Umbenennung anwesend war und Wallenberg aus seiner Jugend kennt, die Beweggründe seiner Regierung. Genauso ungeklärt ist die Frage, warum der KGB einen Antifaschisten verhaftete. Ein Träumer und Idealist sei Wallenberg gewesen, trotzdem Realist. Der damals 32jährige Wallenberg arbeitete in Eigenregie, ließ sich die Schutzpässe von der schwedischen und ungarischen Regierung genehmigen, mietete mehr als dreißig Budapester Häuser, brachte darüber das schwedische Königswappen an und erklärte sie zum exterritorialen Schutzgebiet für Juden.

Familienangehörige und Wallenberg-Komitees versuchen international, Politiker wie Bush und Kohl zu aktivieren, um endlich die vollständige KGB-Akte über den Fall Wallenberg zu bekommen. Rußland bleibt jedoch auch heute noch zurückhaltend — »vielleicht, weil sich der KGB alte Fehler nicht eingestehen will«, vermutet Svingel. Fast beschwörend klingen die Redner bei der Ausstellungseröffnung, die an Wallenbergs Tod nicht glauben wollen. Und fast wütend unterbricht Svingel den Marzahner Bürgermeister Andreas Röhl, der es wagt, an Wallenbergs Überleben zu zweifeln, mit den Worten: »Er lebt!«. Corinna Emundts

Die Ausstellung ist im Marzahner Rathaus, Helene-Weigel-Platz 8, bis Anfang März montags bis freitags von 8 bis 18.00 Uhr zu sehen.