Von Mitessern und Tierquälern

Brüssel (taz) — „Ihre Haut sieht ziemlich übel aus. Das erfordert eine Intensivbehandlung.“ Daß es so schlimm um mein Gesicht bestellt war, hatte ich mir nicht träumen lassen, als ich den Gedanken wagte, zu Recherchezwecken einen Kosmetiksalon aufzusuchen. Doch während sanfte Finger auf meinen Wangen kreisten und lotiongetränkte Wattetupfer meinen Wangen schmeichelten, wurde ich knallhart über die Mängel meiner Haut aufgeklärt.

Eine alte Narbe von einem Bierkrug gewann plötzlich entstellende Züge, ausgedrückte Pickel hatten mir nie sichtbare Runen hinterlassen. Doch das Schlimmste war der viele Talg. „Sie arbeiten zuviel“, lautete die bestechende Analyse. „Außerdem benutzen Sie keine Cremes.“

„Wie recht sie haben“, erwiderte ich die unverhoffte Anteilnahme. Dann erinnerte ich mich allerdings an den Grund meines Kommens und konterte: „Ich benutze aus Prinzip keine Kosmetika, schließlich werden auf dem Altar der Schönheit täglich Hunderte von unschuldigen Tieren auf grausamste Weise zu Versuchszwecken geopfert.“ Während kräftige Fingerspitzen den überflüssigen Talg aus meinen Poren preßten, gab ich zu bedenken, daß in den Labors der Kosmetikfirmen süße Häschen, Meerschweinchen und Mäuse mit den neuesten Pudern, Cremes und Wässerchen bestäubt, beschmiert und bespritzt würden, nur um herauszufinden, ob die Mittel giftig seien. Dabei ginge es noch nicht einmal um lebenswichtige Medikamente, sondern einfach um Beauty- Zubehör. Für einen Moment hörte ich nur ihren Atem. Schon schien mir, als ob meine Argumente getroffen hätten. Doch es war offensichtlich nicht das erste Mal, daß sie mit solchen herzzerreißenden Geschichten konfrontiert wurde. „Wäre es Ihnen denn lieber, daß diese Tests an Menschen gemacht würden?“ „Das wäre auf jeden Fall gerechter“, antwortete ich. Nach der Preßkur brannte mein Gesicht wie Feuer.

Etwas benommen versuchte ich mich zu rächen: „Tierversuche für Kosmetika werden nächste Woche vom Europaparlament verboten.“ Mit kitzelnden Pinselstrichen legte sie mir jetzt eine kühle Maske auf. „Aber denken Sie doch an die Auswirkungen auf die Kosmetikindustrie. Wenn die Firmen keine neuen Produkte mehr auf den Markt bringen können, dann müssen sie doch viele ihrer Mitarbeiter entlassen.“ Diese Drohung entsprach dem gängigen Arbeitgeberargument: Etwa 1.700 Kosmetikfirmen gibt es, die mit einem Umsatz von fast 30 Milliarden DM zu den Wachstumsbranchen EG-Europas gehören. 130.000 direkt und 360.000 indirekt Beschäftigte wären gefährdet, wenn die Europaparlamentarier dem Vorschlag der Berliner EP-Abgeordneten Dagmar Roth-Behrendt folgen würden.

Um den drohenden Untergang der Schönheitsbranche zu vermeiden, will die SPD-Politikerin eine Liste sämtlicher bekannter und zugelassener Inhaltsstoffe für Kosmetika erstellen lassen. Aus den etwa 8.000 Stoffen dieser Liste können dann beliebig viele Kosmetika neu kombiniert werden. Soll aber ein völlig neuer Stoff eingeführt und getestet werden, so muß dies alternativ, ohne Tierversuche geschehen.

„So was läßt sich die Kosmetikbranche doch nie und nimmer bieten.“ Im Vertrauen in die Lobbyisten ihrer Zunft entließ mich die Dame. „Sie sollten öfter Bio-Masken verwenden. Ich gebe Ihnen mal eine Packung mit.“ Michael Bullard