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Der Start ist der Sieg

Die Olympiateilnahme der unabhängigen baltischen Staaten ist vor allem eine Demonstration des neuerworbenen Nationalstolzes — Zum sportlichen Erfolg fehlte die Zeit und das Geld  ■ Von Matthias Lüfkens

Vilnius/Litauen (taz) — Zum ersten Mal seit über 50 Jahren nehmen die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen wieder unter eigener Flagge an den olympischen Winterspielen in Albertville teil.

Jeweils 20 Sportler werden von Estland und Lettland entsendet. Litauen zog — nicht zuletzt aus finanziellen Gründen — eine symbolische Handlung vor und schickt ein Olympiateam von nur vier Athleten in die französischen Alpen. Petris Statuta, Leiter des Olympischen Komitees, erklärt: „Wir wollen keine Touristen nach Frankreich schicken.“ Mit Medaillenchancen rechnet der Leiter des Olympischen Komitees ohnehin nicht. Und vier Leute genügen schließlich, um bei der Eröffnungszeremonie die Fahne Litauens vor den Augen der Weltöffentlichkeit hochzuhalten. Die litauische Sportjournalistin Roma Grinbergiene beschreibt die nationale Stimmungslage: „Allein die Teilnahme als unabhängige Staaten ist für uns bereits ein Sieg.“

Eine Olympiateilnahme hatte sich vor einem Jahr im Baltikum keiner träumen lassen. So kam die Unabhängigkeit Estlands, Lettlands und Litauens im Anschluß an den Putsch in Moskau Ende August für viele Sportler höchst unerwartet. Die drei baltischen Staaten wurden erst am 18.September wieder offiziell in das Internationale Olympische Komitee aufgenommen, und in nur vier Monaten mußten die Vorbereitungen abgeschlossen werden. „Die Zeit, die wir durch die politischen Umwälzungen verloren haben, können wir einfach nicht aufholen“, so der lettische Bobfahrer Janis Kipurs. Der Gold- und Bronzemedaillengewinner von Calgary schließt einen Platz unter den ersten Dreien aus, denn vor wenigen Tagen erst konnte er wieder mit dem Training beginnen — sein Olympiabob war wegen Nachschubmangels aus Rußland noch nicht fertig.

Zeitmangel und finanzielle Schwierigkeiten sind die Hauptprobleme der neuen Olympiamitglieder. „In Los Angeles waren wir 1932 schon nicht mehr dabei, weil es zu teuer war“, so Roma Grinbergiene. „Nach 64 Jahren stehen wir heute wieder vor dem gleichen Problem: Geld.“

Doch diesmal haben die baltischen Staaten alles darangegeben, um dabeizusein. Binnen vier Monaten mußten die Olympischen Komitees Trikots anfertigen lassen, Ausrüstungen bestellen und unzählige Reisekosten in Devisen bezahlen. Die litauische Regierung hat ausnahmsweise rund 100.000 DM für die Teilnahme bereitgestellt, ein Vermögen für die jungen Staaten, in denen man noch immer mit schwachen Rubeln handelt. Estland erhielt finanzielle Unterstützung vom skandinavischen Nachbarn Finnland, und für die litauische Teilnahme haben sogar die Exil-Litauer in Nordamerika Geld gesammelt.

Die Unabhängigkeit und die Trennung von den ehemaligen Sowjetrepubliken ist für einige Athleten auch schmerzlich. So kann das litauisch- russische Eiskunstlaufpaar Banagas- Drobiazko wegen unterschiedlicher Staatsangehörigkeit weder für Litauen noch für die neue Gemeinschaft der unabhängigen Staaten antreten. Die litauischen Behörden verweigerten der jungen Russin Margareta Drobiazko die Staatsangehörigkeit mit der Begründung, sie sei weder in Litauen geboren noch habe sie hier gelebt. Derart sture Regelungen scheinen Konsens zu sein: „Wir können keine Ausnahme machen“, verteidigt Roma Grinbergiene die Restriktionen. „Sonst könnten wir ja in der gesamten ehemaligen Sowjetunion Plätze für das litauische Team ausschreiben.“

Auch in Lettland wurde dem 17jährigen Eiskunstläufer Aleksander Kostin die Fahrkarte nach Albertville verweigert. Der in Riga geborene Sohn russischer Eltern habe einen großen Teil seines Lebens in Moskau verbracht und sei erst vor ein paar Wochen nach Riga zurückgekommen, um mit der lettischen Mannschaft nach Albertville zu reisen, argwöhnt ein lettischer Sportfunktionär. „Wenn Aleksander Kostin nach Lettland zurückkommt und die lettische Staatsangehörigkeit erwirbt, werden wir ihm in vier Jahren bei der Olympiade im norwegischen Lillehammer helfen“, verspricht Janis Lagzdins, Leiter des Olympischen Komitees.

Auch Bobfahrer Janis Kipurs mußte sich von seinem russischen Bremser, Vladimir Koalov, trennen. Doch er bedauert die Unabhängigkeit nicht.

Die Olympiateilnahme ist im Baltikum eine Frage des Nationalstolzes. Die estländischen und litauischen Athleten dürfen als Erste mit den neuen Pässen nach Frankreich reisen.

Den zwei Russinnen in der estnischen Auswahl wurde diese Ehre allerdings nicht zuteil. Da ihr Antrag auf Staatsbürgerschaft noch läuft, müssen sie weiterhin mit dem roten sowjetischen Paß reisen.

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