: „Visionen sind ohne Werkzeuge witzlos“
Stadtväter und Experten aus aller Herren Länder planten in Berlin für die Rio-Umweltkonferenz/ Sie fordern mehr Rechte für die Städte/ Bürgermeister präsentiert Brasiliens Curitiba als Musterstadt ■ Von Hermann-Josef Tenhagen
Berlin (taz) — „Was wir heute tun, ist nicht durchhaltbar.“ Energieverschwendung, Wasserverschwendung, Müllberge — John Kalbermatten bringt sein stärkstes Argument gleich zu Anfang. Der Chef einer Consulting-Firma und langjährige Weltbanker wäscht den vorsichtig tastenden Stadtvätern, den wissenschaftlichen Bedenkenträgern und den zahlreich vertretenen bundesdeutschen Ministerialbeamten den Kopf.
Denn eigentlich trafen sich die Städtevertreter in dieser Woche in Berlin, um ihre Rolle als umweltpolitische Akteure, als revolutionäre Subjekte einer neuen langfristig denkenden Gesellschaft deutlich zu machen. Bundesumweltminister Klaus Töpfer hatte die Männer und die wenigen Frauen an die Spree eingeladen.
Als Ergebnis sollte eine kurze Empfehlung für die UN-Umweltkonferenz in Rio (UNCED) stehen. Kernpunkt nach dem Wunsch der Kommunalpolitiker aus Nord und Süd: Die Regierungen sollten endlich den Kommunen die juristischen und finanziellen Mittel geben, eine wirkungsvolle und eigenständige Umweltpolitik zu betreiben. Denn derzeit würden die Kommunen eher behindert. Oder wie es Nicholas Hanley von der EG-Kommission ausdrückte: „Es ist witzlos, eine umweltpolitische Vision zu haben, solange man über keine Werkzeuge zur Umsetzung verfügt.“
Genau um die Werkzeuge gab es auch in Berlin heftiges Gerangel. Die Veranstalter, neben Töpfer sein Ministerkollege Spranger, Berlins Umweltsenator Hassemer und die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, waren eben Regierung. Ihren 18-Seiten-Entwurf für eine „Berliner Erklärung“ fanden die angereisten Kommunalpolitiker und Experten bestenfalls fad. Der Entwurf lasse ihn „unbeeindruckt und gelangweilt“, urteilte Kalbermatten. Hanley wunderte sich: „Die Verantwortung des Westens für die Änderung des eigenen Lebensstils muß man in dem Dokument schon zwischen den Zeilen suchen.“
Nach den Diskussionen hinter verschlossenen Türen waren die beiden Kritiker nur teilweise versöhnt. Die abschließende Erklärung sei schon trotz vieler Floskeln „erheblich besser“ als der Entwurf, so Kalbermatten und Hanley unisono. Die Verantwortung des Nordens werde deutlicher artikuliert und die Notwendigkeit einer stärkeren Planungshoheit für Städte anerkannt, so Hanley. Doch bei den Instrumenten Geld und Repräsentation konnten sich die Kommunen nicht deutlich gegen Bedenkenträger und Bonner Ministerialbürokraten durchsetzen.
Vor allem die Angelsachsen hatten den Eindruck, daß Forderungen, die über den deutschen Status quo hinausgingen, ungern gesehen waren. Sie hatten vorgeschlagen, daß Kommunalvertreter Teil der offiziellen Regierungsdelegationen für Rio sein sollten. Außerdem gab es Vorstöße für einen Umweltfonds, der von UNO und Städten gleichzeitig gemanagt werden sollte.
Am Vortag hatte Jaime Lerner, Bürgermeister der brasilianischen Millionenstadt Curitiba, demonstriert, was eine entschlossene Stadt auch in einem sogenannten Drittweltland zustande bringen kann. Intensives Müllrecycling erspart den Tod von täglich 1.200 Bäumen. Leben und Arbeiten liegen nah beieinander in der brasilianischen Stadt. „Als wir 1974 mit dem kommunalen Nahverkehr begannen, hieß es, eine Millionstadt braucht eine U-Bahn. Aber wir hatten kein Geld und wollten nicht eine ganze Generation auf ein Nahverkehrssystem warten lassen, also entschieden wir uns für ein Bussystem.“
Der Erfolg gibt Lerner Recht: Curitibas Bussystem transportiert heute mit kurzem Takt und Extra-Busspuren 1,3 Millionen Fahrgäste am Tag. Natürlich gebe es auch in Curitiba den Ruf nach mehr Parkraum, so Lerner. Aber man müsse eben Prioritäten setzen. Frankfurt könne „von Curitiba lernen“, urteilte dessen Umweltdezernent Tom Koenigs anschließend.
Curitiba lädt im Sommer 1992 vor der UNCED-Konferenz zum „World Urban Forum“. Wenige Tage vor dem eigentlichen Gipfel soll noch einmal demonstriert werden, daß die Städte die wirkungsvollen Umweltakteure sind.
Was wir tun, ist nicht durchhaltbar, hatte Experte Kalbermatten gesagt und eine Kreislaufwirtschaft eingefordert. Doch bis dahin war es auch in Berlin noch ein weiter Weg. Die Mineralwasserflaschen auf der Konferenz waren Einweg, selbstverständlich mit Grünem Punkt.
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