Freiwilligenarmee gefordert

■ Zentralstelle der Zivildienstleistenden sieht wachsende Wehrungerechtigkeit

Bonn (taz) — Die weiterhin wachsende Zahl von tauglichen jungen Männern, die nicht zur Bundeswehr eingezogen werden, habe — zumal im Vergleich zu der fast 100prozentigen Einzugsquote bei Zivildienstleistenden— inzwischen zu einem „verfassungswidrigen“ Grad an Wehrungerechtigkeit geführt. Unter diesen Bedingungen sei „die Wehrpflicht nicht mehr mit dem Grundgesetz zu vereinbaren“.

Zu dieser Feststellung ist die Bremer „Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen“ auf der Basis des von ihr erhobenen Zahlenmaterials gelangt. Der Vorsitzende der Zentralstelle, Pfarrer Ulrich Finckh, erklärte gestern auf einer Pressekonferenz in Bonn, daß ab 1994 von den dann verfügbaren rund 290.000 Wehrpflichtigen nur rund 175.000 gebraucht würden, um den künftigen Personalstand der Bundeswehr von dann 370.000 Soldaten zu sichern.

Damit würden jedes Jahr durchschnittlich 115.000 verfügbare und taugliche Wehrpflichtige nicht eingezogen. Das seien in absoluten Zahlen mehr als die rund 100.000 in den letzten Jahren und bedeute angesichts der wieder kleiner gewordenen Jahrgänge eine Erhöhung des Anteils Nichteingezogener von 30 auf 40 Prozent. Die Hardthöhe sowie der Bundeswehrbeauftragte des Bundestages, Biehle, behaupten hingegen, die Einzugsquote liege bei rund 80 Prozent. Finckh warf Bundesverteidigungsminister Stoltenberg vor, dem Parlament falsche Zahlen vorgelegt zu haben.

Diese Zahlen beruhten auf alten Hochrechnungen und berücksichtigten aktuelle Entwicklungen, unter anderem bei der Zahl der Zuwanderer in die Bundesrepublik Deutschland, nicht. Zwecks Herstellung von Wehrgerechtigkeit plädierte Finckh für eine Freiwilligenarmee „oder aber besser noch die vollständige Abschaffung der Bundeswehr“.

In Reaktion auf die Kritik der Zentralstelle sprach der sicherheitspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Werner Hoyer, von „unglaublich schwerwiegenden Vorwürfen“ der Zentralstelle. Hoyer forderte Stoltenberg auf, „die behaupteten Widersprüche und Ungereimtheiten zu widerlegen“. Es sei unverzichtbar, daß Regierung und Parlament „in einer so zentralen Frage auf einer lupenreinen und unbestreitbaren Datenbasis ihre schwerwiegenden Entscheidungen treffen“, so Hoyer. azu