„Viele werden wiederkommen“

■ Vor allem junge Männer wandern auf der Suche nach Arbeit in den Westen ab

Königsbrück ist ein „quirliges Städtchen“. In den dörflichen Häusern reiht sich Geschäft an Geschäft, und auf dem Markt, der seinen Brunnen zurückbekommen hat, kreuzen sich die Wege eiliger Leute. Die Straßen sind krumm und katzbuckelig. Und wenn die Streitkräfte der GUS mal wieder einen Schub Panzer nach Hause schicken, ermattet sogar der immerwährende Strom der Autos, die sich auf der B97 über sieben Ecken durch den Ort quälen. Seit 100 Jahren ist Königsbrück von Kasernen und Schießplätzen umstellt, seit dem letzten Krieg leben hier an die 20.000 sowjetische Soldaten.

In der Grill-Bar am Markt tauschen sich drei Mittfünfziger beim Bier über Krankenscheine und Arbeitslosengeld aus. Zu Mittag rücken Bauleute ein. „Was meinst du, was hier noch alles gebaut wird“, ermuntern sie sich beim Feuerfleisch. Um die 30 sind diese Männer, und ihren Job haben sie in einer der neuen Baufirmen.

Von fünf Jungs, die vergangenes Jahr in den Westen gegangen sind, weiß Sonita Bellinghausen im städtischen Jugendklub zu berichten. „Nur einer kam wieder. Der war enttäuscht, weil er nur Gelegenheitsjobs fand. Die anderen haben feste Arbeit bekommen, als Elektriker oder Koch. Einer arbeitet im Jugendheim.“

Der einst größte Betrieb hier ist eben erst an westliche Unternehmer verkauft worden. Wieviel Stellen dort gehalten werden, ist noch ungewiß. „Mit Arbeit sieht es hier schlecht aus. Die Jungs hoffen auf die Baufirmen, aber für die Frauen bleibt nichts. Es gibt ja viele Läden, aber das sind doch alles Familienunternehmen, und die müssen noch sehr vorsichtig sein.“

Für die arbeitslosen Frauen in der Stadt wagt die Klubleiterin ein Experiment. Einen Treff für Frauen will sie einrichten, gegen das Alleinsein zu Haus und auch als Hilfsangebot für den Rückweg ins Arbeitsleben. „Ich selbst würde nie in den Westen gehen. Ich habe Familie, wir haben Arbeit, und ich habe hier meine Eltern.“ Skeptisch ist sie, ob die arbeitslosen Frauen vom Herd weg zum Treff finden. „Viele haben ihre Situation noch gar nicht richtig erfaßt.“

Auch Lea Schopf, die als ABM- Kraft die Papiere für den Arbeitslosen-Selbsthilfeverein ordnet, bekümmert es, wenn Leute, die ihren Job verloren haben, nur noch „auf ein Wunder warten“. „Die Jugend wandert ab, in vielen Familien arbeiten die Männer drüben.“ Hätte sie nicht ein eigenes Haus, würde auch Lea Schopf ihr Glück im Westen suchen. Die gelernte Krankenschwester „weiß von vielen Kolleginnen, die dort mit Kußhand genommen wurden“.

Bürgermeister Loeschke (DSU) im roten Rathaus hat im vorigen Jahr von seinen 4.000 Königsbrückern 42 junge Leute und sechs Familien gezählt, die in die alten Bundesländer gegangen sind. 14 Prozent Arbeitslose warten im Landkreis Kamenz auf den Wirtschaftsboom. Königsbrück will mit einem Gewerbepark Arbeitsplätze schaffen. Schon jetzt habe die Stadt eine „breitgefächerte Gewerbestruktur und ein recht reges Geschäftsleben“. Der Autohandel blüht, auf nahezu allen Straßen wehen Werbefahnen bekannter Autofirmen. Den Steuereinnahmen der Stadt bekommt das gut. Dafür konnte sie es sich leisten, den Jugendklub und die Bibliothek zu übernehmen. Auch die drei Kindergärten gibt es noch.

Daß die Jungen auswandern, möchte der Bürgermeister „nicht so verbissen sehen“. Viele, hofft er, werden auch wiederkommen. „Sollen sie doch ruhig auf Wanderschaft gehen. Früher war das auch so. Sie bringen Erfahrungen mit, und uns hilft's.“ Detlef Krell