Gericht erkannte politische Motive an

■ Verfahren um Reisebüro-Besetzung eingestellt

400 Mark muß der Kurde Kenan D. an einen gemeinnützigen Verein zahlen, dann wird das Verfahren gegen ihn wegen gemeinschaftlicher Freiheitsberaubung endgültig eingestellt. Mit diesem Vergleich endete gestern vor dem Amtsgericht der Prozeß um die Besetzung eines türkischen Reisebüros im Jahr 1989. Damals sollen die insgesamt 16 Kurden, die an der Besetzung beteiligt gewesen sind, die beiden Angestellten gegen ihren Willen eingeschlossen haben.

15 Ermittlungsverfahren wurden mittlerweile eingestellt, gegen Kenan D. wurde ein Strafbefehl über 600 Mark erlassen. Den Einspruch dagegen begründete der Beschuldigte gestern in einer persönlichen Erklärung. Die Besetzung des Reisebüros sei im Jahr 1989 die einzige Möglichkeit gewesen, auf die Lage der Kurden und auf die politischen Gefangenen in der Türkei aufmerksam zu machen. „Ich war von allen derjenige, der am längsten in Deutschland lebte, und habe deshalb die Presse informiert“, erklärte Kenan D. seine Rolle bei der Besetzung. Die beiden Reisebüro-Angestellten, eine deutsche und eine türkische Frau, hätten sich frei bewegen können, bis die Besetzer aus Sicherheitsgründen die Tür des Büros im Steintor verschlossen hätten. Dort hätten sich nämlich eine erhebliche Anzahl türkischer Nationalisten versammelt, die zu gewaltsamen Ausschreitungen bereit gewesen seien.

„Mein Volk wird gefoltert, und die Weltöffentlichkeit wollte es nicht wissen“, erklärte D., der selbst Folteropfer in der Türkei gewesen ist. Amtsrichter Nordhausen und Staatsanwalt Neugebauer folgten ihm in der Begründung für die Motive seiner Tat.

In Anlehnung an andere Besetzungen, die allerdings ohne Polizeieinsatz beendet wurden, wurde der Strafbefehl über 600 Mark in eine Spende an Medico International umgewandelt. Für Kenan D. ist das hart genug. Er lebt mit seiner Familie von 1.400 Mark. Von Abschiebung ist D. erst einmal nicht mehr bedroht: Wenn das Verfahren eingestellt wird, ist er weiterhin nicht vorbestraft und braucht keine ausländerechtlichen Konsequenzen zu befürchten. mad