Ungarisches Drachenfutter

■ Die Popband »Új Nem« in Berlin

Endlose Weiten vieltönender Lieblosigkeit durchdringen tagtäglich den Äther: Hörfunkfrequenzen, Umspannwerke und Jugendklubs sind gleichgeschaltet oder haben aufgehört zu senden. Passatische Schallplattenhörer verklagen die Produzenten von New Kids on the Block wegen mangelnder Echtheit auf Schmerzensgeld und landen in den Klatschspalten. Die ganze Welt ist von den Schergen multinationaler Unterhaltungskonzerne besetzt. Die ganze Welt? Nein! Ein von Unbeugsamen bevölkerter Nebenschauplatz im globalen Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten: Ungarn mit elektrischer Gitarre und Synthesizer.

Vordergründig präsentieren die sechs Musiker der Budapester Gruppe »Új Nem« — zu deutsch: neues Geschlecht — die im Sampler- Gewitter verschüttete Kunst des genialen Dilettantismus als südosteuropäische Variante der New Wave — jenes künstlichen Musikstils, der selbst nicht mehr war als industriegesteuerter Reflex auf Musik, die es zu Beginn der achtziger Jahre zu vermarkten gab. Derart als Ewiggestrige getarnt, haben sich die in klassischer Pop-Instrumentierung auftretenden Musiker auf die Reise gemacht, um das Recht, keine Musik für Radio-Playlists machen zu müssen, zu retten.

Zarte Gitarrenklänge, vom Echogerät angefressen, zirpen zum steten Trommelspiel Karsci Lehoczkis, diesem (laut Band-Info) »Mistkerl von einem verarmten polnischen Adelssproß«, dessen musikalische Sozialisation zweifellos Nick Masons Schlagwerkkunst auf Pink Floyds Doppel-LP Ummagumma geschuldet ist. »Dem Drachen gefiel der Trommelschlag«, erklärt bewußtseinserheiternd das Band-Info die Gefühle des Synthesizer-Spielers Jancsi »Drachen« Újvari, Ex-Mitglied ebenso unbekannter wie wohlbenamter Spielvereinigungen wie »Kontroll« und »Ági és a Fiúk«. Seine Melodieführung am monophonen Klangerzeuger gemahnt an Puszta- Weisen.

Baß-Gitarre und zwei VokalistInnen — einer für Text, eine für den Gesang — hängen die Musik zwischen zwei Polen auf. Wohltuende Improvisation und musikalisches Klischee, in das Sängerin Zsuzsi Bende gelegentlich fällt, wechseln einander ab, und nie kann das Publikum sicher sein, was wohl ernst gemeint ist. Stefan Gerhard

Új Nem spielen im Rahmen von »Grenzenlos« heute um 20Uhr im Kreuzberger Thomas-Weißbecker-Haus, am 12.Februar in Feeling-B's »Wydoks«-Club (Schönhauser Allee 5) und am 13.Februar im »Acud« in der Veteranenstraße (nahe Zionskirche).