piwik no script img

In bed with Melitta

■ Berlins einzige Soultunte Melitta Sundström zeigt ihr neues Programm »Ein Leben im Liegen« im BKA

Alles in allem verlief mein Leben bis gestern stets ausgeglichen und normal. Ich liebte Frauen — liebte sie aus vollem Herzen und mit Überzeugung. Und dachte, das könnte nun immer so weitergehen. Aber tief in mir schlummert eine heimliche Leidenschaft. Ich habe sie immer verdrängt, habe lange gegen sie angekämpft, gerungen mit mir und mit meiner perversen Begierde. Gestern abend, da war es wieder da, stärker und drängender als je zuvor. Oh Göttin! Ich bekenne: Ich steh' auf Fummeltunten.

Als Melitta Sundström vergangene Nacht auf die Bühne stöckelte, sich vor dem roten Samtvorhang räkelte und »Vor Ihnen steht ein Star!« schmetterte, da war es gleich um mich geschehen. Und um alle anderen Besucher des BKA ebenfalls. Unwichtig, daß sich im Liedtext »Hannelore Kohl« recht einfallslos auf »Bergmann-Pohl« reimt, gleichgültig, daß der kußrote BKA-Samt dem quietschrosa Fummel farbtechnisch gehörig die Show stiehlt. Hier steht eine Diva mit preußischem Gardemaß auf der Bühne. Mit Harlem-Globetrotter-Format — schon ohne Stöckel — und einer Ufa-Ich-verbeuge-mich- Armspanne von etlichen Ellen. Gigantisch. Und gigantisch schön. Wenn sie mit säuselnder Stimme behauptet, ihre Erotik und Sinnlichkeit sei vergleichbar mit Carolin Reiber, dann ist das schiere Koketterie — oder ein unbotmäßig üppiges Kompliment für die Volksmusikkanone aus Oberbayern. Wenn Melitta Sundström die schwule Übung »gebrochenes Handgelenk« zelebriert oder suchend nach ihrem Collier greift, dann könnte Deutschlands Obertucke Mary endlich einmal sehen, was wirkliche Klasse ist.

Apropos Mary: Alle, — und das sind im Publikum vor allem die ahnungslosen Heteros — alle, die sich an diesem Abend auf einen »Strauß perlender Travestiedarbietungen« gefreut haben, warnt Melitta noch an der Rampe: »Ich muß Sie da enttäuschen. In den nächsten zwei Stunden geht es nur um einen Haufen Probleme. Um meine Probleme.«

Sagts, schiebt sich umständlich- genant in einen anderen hautengen Fummel (Mein Gott! Die kann's tragen!) und räkelt sich auf dieser überdimensionalen Bettlandschaft, die bereits Madonna als erotische Schlafstätte in das internationale Showbizz eingeführt hatte. Und »In bed with Melitta« verbringen wir dann eine wunderbare Soiree, die viel zu schnell zuende geht und bei der es um so schwerwiegende Probleme wie die »Juckknötchenflechte« geht. Die plagt marvellous Melitta nämlich immer, wenn sie wieder einmal ihren Tag nicht nach dem Leitfaden »Streßfreies Miteinander oder Du und ich, das lohnt sich« organisiert hat. Wenn die Göttliche zum Beispiel in ihrem Lieblings-Reichelt — »Der Mittelpunkt meines Lebens!« — ausversehen einen ahnungslosen Hetero-Buben aus Britz abgreift und dann zweidreiviertel Stunden tatenlos-lasziv auf dessen Bett verbringen muß. Das Leben kann so grausam sein, wenn man depressionsgeschüttelt am Beckenrand des Wilmersdorfer Tuntenaquariums hockt und nichts besseres zu tun hat, als »stundenlang blöde den Männern nachzustieren«.

Aber Gott sei Dank gibt es ja immer noch einen neuen Tag und so schöne Dinge wie den Workshop »Frauen machen ihre Musik selber«, den die Sundström — wie man behauptet — im Hundsrück besuchte. Dortselbst erlernte sie angeblich den Umgang mit ihrem klugen Synthesizer, der nun auf Knopfdruck die schönsten Melodien errechnet und seine Besitzerin damit nachhaltig glücklich macht. »Sie ahnen ja gar nicht, wie beglückend es ist, gemeinsam zu musizieren« haucht Berlins einzige Soultunte und firtet dann aus dem Publikum Andreas auf die Bühne, mit dem sie nun derart wunderschön Stand by me zelebriert, daß einem die homosexuellen Tränen in die Augen schießen möchten.

Oh, es ist schon ein Programm vom Feinsten, dieses Leben im Liegen. Denn die Diva auf der Bühne versteht sich nicht nur virtuos aufs eloquente Parlieren, sie kann nicht nur wirklich singen und tut's auch, nein: es ist mehr. Sie hat uns fest im Griff. Knetet gleichermaßen fingerfertig die Lachmuskeln ihres Publikums wie unser Gefühl. Spart das alltäglich brisante Dauerthema »Aids« aus ihrem subkulturellen Abend nicht etwa aus, weil das Wort »positiv« vielleicht nicht so positiv für die Stimmung im Saal sein könnte. Im besten Sinne selbstverständlich reißt die Sundström mittendrin ihre Perücke vom Kopf, bittet um ein bißchen mehr Andacht, etwas weniger Kerzenlicht, und gibt uns — und sich — ganz ernst ihre eigene Version von 50 ways to leave your lover. Und wie sie danach wieder die Kurve zurück in die Heidi- Brühl-Gedenk-Perücke und zu dem kurzweiligen Tuntenklamauk kriegt, das ist sehenswert und beeindruckend souverän.

So souverän wie ihr sicherer Schritt auf den eleganten Pumps (wie machen die Jungs das bloß immer, ich bin schwer beeindruckt!) und im Umgang mit den diversen Perücken, die Melitta mal kokett in der Stirn, mal englisch gerade und auch schon mal »the other way round« trägt. Ach, sie ist einfach wunderschön in ihrem »kleine Schwarzen« mit der brustbeinlangen Perlenkette. Kein Wunderwerk des Camouflage, sondern ein ganzer Kerl im Fummellook. Ohne Apfelsinen im Kleid und mit mehr als nur Sperma im Hirn. »Tschüß, es war ein schöner Abend!« haucht sie am Ende ihrer »dritten Doppelzugabe« müde aber glücklich ins Mikrophon. Oh ja, es war wunderschön. »Und tschüß.« Klaudia Brunst

Ein Leben im Liegen mit Melitta Sundström, noch bis zum 24.2. von Do. bis So. um 20.30Uhr im BKA, Mehringdamm 32—34

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen