Die Auserwählten von heute sind Juristen

■ Eine Urania-Veranstaltung zum Thema »Die Rolle der Elite in der pluralistischen Gesellschaft«/ Elitenangehörige dürfen fast alles, nur nicht der Macht erliegen

Berlin. Elitär war die Veranstaltung am Donnerstag abend in der Urania nicht. 300 eher bodenständige SozialdemokratInnen waren gekommen, um die Rede Hans- Jochen Vogels zu hören. Thema: »Die Rolle der Elite in der pluralistischen Gesellschaft.« Elite, das heißt Auslese. Und auserlesen sind — in Anlehnung an die Macht- Definition des Soziologen Max Weber — alle, die es auch gegen den Willen der anderen verstehen, Entscheidungen in der Gesellschaft durchzusetzen oder zu verhindern. Eliten sind einflußreich, mitunter mächtig. Sie bestimmen die sogenannte öffentliche Meinung, sie diktieren die Moral der Zeit. Vor allem aber sind sie qualifiziert.

Vogel legte die Meßlatte hoch an: »Kompetenz, Kreativität, Willenskraft und Zähigkeit müssen mit solidarischem Verhalten gepaart sein.« Ist das gewährleistet, »verträgt und braucht die Demokratie ihre Eliten«. Gemeint sind damit Deutschlands WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen und PolitikerInnen. Stellvertretend nennt Vogel Karl Friedrich von Weiszäcker, Bärbel Bohley und Marion Gräfin Dönhoff. 3.500 Menschen zählten 1989 nach soziologischen Studien zur deutschen Elite, 70 Prozent — und das findet Vogel bedenklich — haben einen Hochschulabschluß, jedeR zweite davon ist Jurist. Die Handverlesenen dürfen — nach Willen Vogels — fast alles, nur nicht der Macht erlegen sein. Vogel sprach sich gegen jeden Machtmißbrauch und Arroganz aus. Er wolle auch der Elite keine »exzessiven Privilegien« wie lukrative Aufsichtsratposten und Flüge in Militärmaschinen durchgehen lassen. »Selbstüberschätzung und Egozentrismus« müßten deshalb verhindert werden, am besten durch das Volk, das »die eigenen Eliten abwählt oder in den Ruhestand versetzt«.

Was da so optimistisch klang, wollten die ZuhörerInnen nicht glauben. In der mehr als einstündigen Diskussion im Anschluß der Rede, klagten sie ein, die SozialdemokratInnen möchten ihre eigenen Intellektuellen besser behandeln. Vor allem aber waren die Leute über den Hamburger Diätenskandal erbost. Vogel versicherte daraufhin, ein Bundestagsabgeordneter verdiene das läppische Gehalt eines »Landrats in einem sehr kleinen Landkreis«. Der langjährige Fraktionsvorsitzende schlug vor, die Diäten künftig von externen Gremien festschreiben zu lassen. Wie die Stasi aber in die pluralistische Gesellschaft zu integrieren sei, darüber herrschte Schweigen. mis