Fernsehen als Ich-Vertreib

Ohren auf: Ein Radiomonolog von Ulrich Gressieker, So., SFB3, 9.45Uhr  ■ Von Gaby Hartel

Ende. Aus. Vorbei. Irgendwann erwischt es jeden. Zwar hat man sich redlich bemüht, Für und Wider gegeneinander abgewogen, fühlt sich noch einmal ins Kuschelnest zurückgezogen und muß sich leider dennoch eingestehen: Das war's! Vernünftig hat man jahrelang zusammengelebt, die schönen und laschen Momente geteilt, war aufeinander eingespielt, und plötzlich lief etwas schief. Das war der „moment of no return“: Die Stimmung rutschte auf Grundeis.

In dieser spiegelglatten Lebensphase dreht sich die kernige Erzählerstimme um ihre eigene Achse. Lakonisch hingeworfen läßt die Bestandsaufnahme keinen Platz für Zweifel: Der Kerl steht erstens in den „besten Jahren“, er macht auch eine Krise durch. Die schönste Zeit verflossen? Geopfert für die ganz alltägliche Beziehungskiste? Er ringt mit sich. Es schaudert ihn, den „Befreiungsschlag“ zu führen, denn — und auch damit ist er nicht allein —: „Man steht da, und so etwas wie Einsamkeit kriecht unter den Kleidern hoch. Man versucht, sich einen Weg hinaus zu denken, in ein Leben, wo der andere nicht mehr vorkommt.“ Und eben das fällt diesem Kerl verständlich schwer. War er doch jahrelang einem Mythos verfallen, der bezaubernd süß „Wir Beide“ heißt.

Und während er sich vor unser aller Ohren mühsam von diesem sichernden „Wir“ wegquält, da wird es ihm allmählich selber klar, daß er ein Suchtcharakter ist. Süchtig nach dieser einen, alles umhüllenden Beziehung. Die ihn „an die Brust nahm“, ihn einlullte. Als Mann von Welt fällt es ihm hörbar schwer, die Schlappe zu gestehen und das Geständnis herauszukotzen: „Ich brauche es! Jeden Tag, jeden zweiten, mindestens aber jeden dritten!“

Doch wäre dieser Redefluß selbst keiner Rede wert, stockte hier nicht der Monolog und klärte ein dramaturgisch raffiniertes Mißverständnis auf: Da geht es nicht um Sex und „Kuschelkiste“! „Ich rede vom Fernsehen! Ich habe mich ausgeklinkt aus diesem Programm, aus allen Programmen, diesem Schwachsinn.“ Die Überraschung sitzt: All dieses Gejammer um die schöne, bunte Flimmerwelt? Der Bilderstürmer wird es den anderen „TV-Junkies“ schon richtig zeigen. Und zwar mit einer Schlagkraft, die radiophilen Außenseitern viel Wasser auf ihre Mühlen gibt.

Dabei versteigt sich die körperlose Männerstimme in ihrem Showdown-Monolog nie zur langweiligen Belehrung. Anlaß zum Grübeln gibt der Bericht eher zwischen den Zeilen. Der Erzähler selbst dramatisiert „nur“ die Qualen der Sucht, den scheinbaren Betrug der „Fernseh- Hintermänner“, die allen Glotzern das Glück von der idealen Beziehung einzuflüstern versuchen.

Wie er es dennoch schafft, sich abzunabeln? Indem er seine Suchtstruktur analysiert und schließlich das Rezept der „Anstaltskonservenkost“ entschlüsselt. Die Glotze als „großer Bruder“, als „einlullende Mutter“.

Auch wenn solch medienkritische Methapern nicht neu sind: Selten werden sie so witzig, so gehetzt und gleichzeitig rührend vorgetragen. Rührend vor allem, weil sie an der Fernsehindustrie natürlich unerhört vorbeirauschen. Vom letzten Idealisten erfunden, vom Rufer in der Wüste.