Bodenständig

In Kassel wurde den Phänomenen und Grenzphänomenen des Sepulkralen ein Museum eröffnet  ■ Von Martin Krumbholz

Der Tod ist konservativ. Er, der das Nicht-Erhalten, das Beenden von Existenzen zu seiner Aufgabe gemacht hat, bleibt sich im wesentlichen gleich — selbst im Design. Als allegorische Figur, als Sensenmann oder Totenkopf, ins Emblem gebannt, als abgebrannte Kerze oder leergelaufene Sanduhr, aufs abstrakte Zeichen des Kreuzes verkürzt — menschliche Phantasie erweist sich dem Phänomen des Todes gegenüber als erschöpflich. Konstant ist auch das Bedürfnis, den Tod durch Mythologisierung und Verbildlichung auf menschliche Begriffe zu bringen, dem scheinbar Sinnlosen Sinn abzutrotzen. Die moderne Kehrseite dieser Bemühungen ist die schlichte Verdrängung: der Tod als Tabu. Ein Museum für Sepulkralkultur — in Kassel wurde das europaweit erste seiner Art eröffnet — leistet zumindest eins: das Tabu zu brechen.

sepulcrum, i, n: Grabstätte, Grab, Grabmal, Gruft. (Sepulkral, Sepulkralmuseum, Sepulkralkultur: Nur durch schnelles konzentriertes Sprechen übt man den Begriff ein; man beachte stets das erste „l“!) Etwas in der Art mag man, mangels Vordbildern, von einem einschlägigen Museum erwarten — und wird angenehm überrascht. Erstens: Das Museum liegt nicht in, sondern auf einem Berg, mit prominentem Ausblick auf Kassel. Zweitens: Es riecht darin nicht nach Verwesung, nicht nach Weihrauch. Drittens: Für die Beleuchtung sorgen weder Kerzen noch Kronleuchter, sondern das pure Tageslicht. Der Museumskomplex auf dem Weinberg ist eine Kombination aus Alt- und Neubau: Eine Gründerzeit-Sandsteinvilla wurde um einen ebenso großen Anbau aus Leichtbeton erweitert. Der Münchner Architekt Wilhelm Küpper hat einen transparenten, eleganten, luftigen Raum von eher nüchterner Ausstrahlung geschaffen, der alles Dumpfe, Gruftartige vermeidet. Keine Geisterbahn, sondern eine Stätte der Aufklärung. Ganz im Sinne der Erfinder (Trägerin ist die 1951 gegründete Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal), die den Tod demaskieren und entmystifizieren wollen: Kein Haus des Todes, sondern ein „Haus des Lebens“ soll das Museum sein.

Man legt offensichtich Wert darauf, und so sei es bestätigt: Das Museum für Sepulkralkultur ist ein ganz und gar seriöses Unternehmen. Subphänomene des Komplexes Sterben & Tod wie Vampyrismus, Seelenwanderung, Voodookulte etc. pp. sind ausgeklammert, wie überhaupt alles in den Bereich des Skurrilen oder Makabren Verweisende. Mit dem Tod ist nicht zu spaßen. Obwohl der Humor ja immer auch eine Strategie gewesen ist, dem Phänomen offensiv zu begegnen — aber Aufklärung begreift dies wohl nur als eine Spielart des Verdrängens.

Natürlich gibt es im Museum Grabdenkmale und auch Särge zu sehen, und naturgemäß sind diese Objekte ganz unten, im Souterrain, versammelt: Im Sepulkralen dominiert nun einmal das Bodenständige. Der heute gebräuchliche Standardeichensarg sieht nicht viel anders aus als sein Vorläufer vor 100 oder 200 Jahren. Aber langsam stellt sich Bewegung ein. Der langjährige Chef des Zentralinstituts für Sepulkralkultur und Initiator des Museums, Hans- Kurt Boehlke, hat seinen eigenen prospektiven Sarg aufstellen lassen, und der ist rundum rechteckig und blau lackiert. Dem Sarg der Zukunft ist zuzutrauen, daß er das stereotype Design revolutioniert. Was das Grabdenkmal betrifft, scheint die schlanke hohe Stele den flachen massiven Grabstein abzulösen.

Im ausgehenden 18.Jahrhundert wurden prunkvolle Leichenwagen gebräuchlich. Sah man auf der Straße einen schon belegten Leichenwagen, bedeutete dies Glück und ein langes Leben; begegnete man einem leeren Wagen, war das als schlechtes Omen zu nehmen. (Heutzutage sieht man es den immer noch recht gediegenen Leichenwagen nicht an, ob sie gerade frei oder belegt sind — Glück oder Unglück?) Die josephinische Friedshofsreform, die sich aufklärerisch dünkte, verbannte Leichenwagen grundsätzlich in die Dunkelheit, um die Lebenden zu schonen.

Kunsthistorisches Prunkstück der Ausstellung soll einmal eine Arbeit von Johann August Nahl (1710 bis 1781) werden, die bislang nur als verkleinerte Kopie zu sehen ist: das Grabmal der Maria Magdalena Langhans, die 1751 in Hindelbank in der Schweiz im Kindbett starb. Die Grabplatte ist der Länge nach geborsten, Mutter und Kind schaffen sich Platz, drängen ans Licht. Die umlaufende Inschrift dazu lautet: „Herr! Hier bin ich und das Kind, das Du mir gegeben hast.“

Doch sind es nicht ästhetische Kategorien, die das Thema begrenzen und die Auswahl erleichtern. Der Bereich des Sepulkralen erstreckt sich von Hochleistungen abendländischer Kultur (den Orient bezieht das Museum nicht ein) über das unendliche Feld des Kunstgewerbes bis in die Niederungen landläufigen Kitsches. Museumschef Reiner Sörries, von Haus aus Theologe, legt Wert auf eine kritischen Zugang zu den öffentlichen und privaten Aspekten seines Themas. Gemeint sind hier die sentimentalen Verbrämungen des Sterbens und Bestattens durch Gefühlsduselei und Kitsch jeglicher Art; aber auch das Denkmal als Ideologieträger, etwa in Form des Kriegerdenkmals, oder der Geniekult des 19. und der Idolkult des 20.Jahrhunderts. War es im 19.Jahrhundert vor allem das Bürgertum, das sich die beliebtesten Geistesgrößen als Büsten ins Wohnzimmer stellte, um die idealisierte eigene Verfassung zu dokumentieren, grassiert der Idolkult im ausgehenden 20.Jahrhundert alters- und schichtenübergreifend. Die Kids, die dem Rockstar Jim Morrison auf dem Pariser Friedhof Pêre Lachaise die Totenwache halten, hatten kaum das Licht der Welt erblickt, als der Megastar das Zeitliche schon wieder segnete. Totenkult tendiert immer und überall dazu, groteske Züge anzunehmen (und hier schleicht sich auf einem Seitenstrang doch noch eine komische Nuance des Themas ein).

Steigt man über die freischwebenden Treppen des Museums in die höheren Etagen, begegnet man den Mahnmalen der Kriege und des Holocaust: Eine improvisierte Skulptur aus Holzkreuzen erinnert an die flüchtigen Protestkundgebungen anläßlich des Golfkriegs. Auf der obersten Plattform sind schließlich die Repräsentanten zeitgenössischer Kunst untergebracht, die sich nicht selten zum Thema Tod äußern — nicht nur mit der Stimme des Joseph Beuys. Zwei größere Arbeiten von Werner Knaupp etwa — Schwarze Wand — Krematorium und die Werkgruppe 100 Köpfe — setzen sich, großzügig präsentiert, mit dem Thema Leichenverbrennung auseinander. Hinzu kommen einige Arbeiten von Herbert Falken, Hannsjörg Voth und anderen.

Gerade hier freilich stellen sich, unabhängig von der Qualität der ausgesuchten Arbeiten, leise Zweifel ein. Das Museum will auf begrenztem Raum vieles, allzu vieles zeigen — darin könnte ein Schwäche der Konzeption liegen, denn die ausufernde Breite des Spektrums führt dazu, daß manches nur oberflächlich und der Vollständigkeit halber angerissen wird, weil es eben „zum Thema gehört“. Kluge Begrenzung würde in manchen Fällen mehr bringen: Die Beiträge der seriösen zeitgenössischen Kunst sind ja zum Beispiel anderswo besser dokumentiert. Gleichwohl haben die Museumsmacher ihr löbliches Ziel nicht aus den Augen verloren: ein wenig Licht ins Dunkel des Todes zu bringen.

Museum für Sepulkralkultur, Weinbergstraße 25-27, 3500 Kassel, Tel.: 0561/918930. Führungen sind nach vorheriger Absprache möglich.