ESSAY
: Kulturrevolution — per Beschluß

■ Für die reibungslose Kooperation mit den Bürgerrechtlern vom Bündnis 90 versprechen die Grünen ihre Erneuerungsbereitschaft

Was eine ganze Generation grüner Parteireformer über Jahre vergeblich forderte, hat der Länderrat in Kassel vergangenes Wochenende quasi en passant auf den Weg gebracht. Die Grünen, bislang noch allemal gut für die zähe Verteidigung ihres überkommenen Selbstverständnisses — notfalls, wie im Einheitsjahr, auch gegen die Realität — versprechen jetzt einer staunenden Öffentlichkeit und ihren künftigen Partnern vom Bündnis 90 den „programmatisch- inhaltlichen Erneuerungsprozeß“ — sozusagen als Einstieg ins gemeinsame Projekt.

Die Bitte ans Bündnis, es möge im Interesse einer gelingenden Kooperation „seine Vorstellungen in ähnlicher Weise niederlegen“, wird von den Bürgerrechtlern umgehend erfüllt: Vor dem Zusammenwachsen beider Organisationen sollen die Grünen nicht nur eventuelle Stasi- Verstrickungen offenlegen und über ihre frühere Deutschlandpolitik Rechenschaft abgeben, sondern auch ihr — positives — Verhältnis zum Sozialismus sowie ihr — negatives — zur Marktwirtschaft aufarbeiten. Als weiteren Analyseschwerpunkt legen die Bürgerrechtler den Grünen ihre bisherige „Methode der politischen Auseinandersetzung sowie die Stellung und Behandlung von Menschen in politischer Verantwortung“ ans Herz.

Das ist zurückhaltend, bei aller Insistenz rücksichtsvoll und ein bißchen vage formuliert; was gemeint ist, wird dennoch hinlänglich klar: der systemoppositionelle, antikapitalistische Gestus der Grünen Partei, ihre Selbstdefinition als Linksprojekt, der konfrontative Politikansatz und der notorische Verschleiß profilierter Persönlichkeiten. All das verträgt sich nicht mit dem neuen Projekt einer Verschmelzung bürgerrechtlicher und ökologischer Politik für die Zeit nach dem Epochenbruch.

Widerstandslose Einsicht ins Notwendige

Von einem ähnlich weitreichenden Forderungskatalog der Grünen an die Adresse ihrer künftigen Partner ist nicht (mehr) die Rede. Stellvertretend für seine Partei mimt Joschka Fischer im Live-Interview mit Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert den wunschlos Glücklichen. Auf die Frage nach Änderungsbedarf auf seiten der Bürgerbewegung bleibt der sonst fixe Joschka — sichtlich perplex — die Antwort schuldig.

Die jetzt zelebrierte reflex- und widerstandslose Einsicht ins Notwendige irritiert — umso mehr, als noch vor wenigen Wochen eine äußerst bündniskritische Analyse der Parteispitze für Aufsehen sorgte. Da wurde die verbale Bereitschaft zur Kooperation mit den Bürgerrechtlern noch durch flächendeckende Kritik konterkariert. Grüne Erneuerungsbestrebungen standen da noch nicht zur Debatte. Entgegen der aktuellen Präsentation bescheinigte man dem künftigen Partner mangelnden Willen zur Zusammenarbeit, eine eher rückwärtsgewandte Orientierung sowie ein naives, von den spezifischen Bedingungen der Wende geprägtes Politikkonzept. Sechs Monate zuvor, auf dem letzten Grünen-Parteitag in Neumünster, hatte Ludger Volmer im internen Kreis noch drastischer formuliert, welche Gefahr den Grünen mit der Integration der Bürgerbewegung drohe: der Rechtsruck.

Auf der anderen Seite des grünen Spektrums machte Joschka Fischer noch bis vor kurzem keinen Hehl aus seiner Fremdheit gegenüber den Bürgerrechtlern der ehemaligen DDR. Wo er das Zusammengehen propagierte, war die wahlarithmetische Begründung immer zur Hand. Nimmt man seine jüngsten Einlassungen ernst, darf man ihn jetzt zu den emphatischen Verfechtern der heraufziehenden „ökologischen Bürgerrechtspartei“ zählen.

Priorität für die reibungslose Kooperation

Die Grünen, so scheint es, haben sich auf Prioritäten verständigt. Der bisherigen Distanz — aus Gleichgültigkeit oder ideologischem Vorbehalt — folgt unvermittelt die Umarmung und das Bekenntnis zur inneren Einkehr. Debatte — nicht erforderlich. Das reibungslose Zusammengehen mit dem Bündnis vor der als existenziell apostrophierten Bundestagswahl 94 hat jetzt absoluten Vorrang. Das 90er Trauma — die Grünen-West, knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde — darf sich auf keinen Fall wiederholen. Heikle Debatten — und die ums links-grüne Selbstverständnis gehörte bislang noch immer zu den heikelsten — sind ab sofort storniert. Auch wenn's schwer fällt, die bürgerbewegten Zumutungen an die grüne Seele sind — erstmal — hinzunehmen. Zur mittlerweile widerspruchslosen Akzeptanz dieser Strategie gegenüber dem Bündnis haben gerade die heftigen Irritationen beigetragen, die das umstrittene Vorstandspapier im Januar noch bei den Bürgerrechtlern auslöste.

Was die Kooperation im Ernst für eine veränderte Politik einschließen soll, darüber allerdings lassen bis auf wenige Ausnahmen wie Antje Vollmer, Gerald Häfner oder Elisabet Weber, die Grünen bislang nur Hölzern-Abstraktes verlauten, dem man deutlich das pragmatische Kalkül anhört.

Wie sich Grüne und Bündnis am Ende mischen, ist noch keinesfalls ausgemacht. Der Mitgliedervergleich — 40.000 gegen 3.000 — wird mittlerweile zwar ebenfalls nur noch hinter vorgehaltener Hand angestellt; mit der am Ende eher reformdämmenden Wirkung grüner Mehrheiten wird gleichwohl spekuliert. Ob diese Spekulation aufgeht, darüber wird nicht zuletzt die konkrete Form des Zusammengehens entscheiden. In dieser Frage halten sich die Grünen mit nebulösen Verweisen auf juristische Probleme bedeckt. Die „Fusion“, also die Neukonstituierung nach vorheriger Auflösung beider Organisationen — das wurde in Kassel per Beschluß ebenfalls deutlich — ist von den Grünen mehrheitlich nicht gemeint, wenn von „paritätischem Zusammenwachsen“ die Rede ist. Doch alle anderen Modelle — von der Dachpartei zum Beitritt — leiden entweder an Unverbindlichkeit oder nehmen die grüne Dominanz vorweg.

So hat das Bündnis bislang allen Grund der Suggestion einer grünen Kulturrevolution per Beschluß zu mißtrauen. Die grüne Blankozusage einer grundlegenden Erneuerung kommt nicht nur unvermittelt, sie widerspricht auch allen bisherigen Erfahrungen mit den sonst mühsamquälenden Veränderungsprozessen der Öko-Partei.

Zudem haben sich in Kassel die östlichen Landesverbände der Grünen als verläßlicher Störfaktor der anlaufenden Kooperation etabliert. Seit Bundesvorstand und West- Grüne mit Blick auf die Bürgerbewegung die Parole keep smiling ausgegeben haben, wächst bei den Ost- Grünen die Lust, das gemeinsame Projekt zu torpedieren. Das „Buhlen der West-Grünen um das Bündnis“ — so die Formulierung des Landesverbands Mecklenburg-Vorpommern — rührt am tiefsitzenden Minderwertigkeitsgefühl der Ost-Grünen, das von deren irrelevanter Rolle im Herbst '89 sowie den nicht sonderlich exklusiven Bedingungen ihres Beitritts zu den West-Grünen herkommt. Absehbar ist, daß sich die Ost-Grünen fortan in der Bündnis- kritischen und erneuerungsfeindlichen Haltung einrichten, der die West-Grünen gerade abschwören.

Neuanfang oder Selbstbescheidung

Nur eine grün-interne Debatte kann und muß jetzt darüber Aufschluß geben, was an der signalisierten Bereitschaft zur organisatorischen und politisch-kulturellen Neukonstituierung dran ist. Das bloße Bekenntnis aus dem Westen jedenfalls — untermalt von ost-grünem Mißfallen — ist wenig überzeugend. Schon deshalb, weil bereits der Konstitutionsprozeß des gemeinsamen Projekts aus Grünen und Bürgerrechtlern als Signal der Öffnung an die Gesellschaft inszeniert werden müßte. Nur so ließe sich Zäsur und Neuanfang statt Kontinuität und alternative Selbstbescheidung glaubhaft machen. Matthias Geis