Ein Seliger mit viel Verständnis für Hitler

Im Eilverfahren bereitet der Vatikan die Seligsprechung des Gründers des rechtslastigen Laienordens „Opus Dei“ vor/ Mitglieder des Ordens bekleiden hohe Posten in der Politik und in den Medien/ Ein „schwerer öffentlicher Skandal“  ■ Von Dorothea Hahn

Eigentlich sei Hitler ja „gar nicht so schlecht gewesen“, verriet Monsignore José Maria Escrivá de Balaguer einem Vertrauten Ende der 60er Jahre bei einem Kinobesuch in Rom. Während auf der Leinwand deutsche Soldaten bei Kriegsverbrechen gezeigt wurden, soll sich der spanische Gründer des damals schon weltweit erfolgreichen katholischen Laienordens „Opus Dei“ positiv über den Diktator in Berlin ausgelassen haben: Die Zahl von sechs Millionen toter Juden sei „völlig übertrieben“, tatsächlich habe Hitler „nur vier Millionen ermordet“.

Mehr als ein Vierteljahrhundert später hat Escrivá de Balaguers damaliger Vertrauter Vladimir Feltzman nun diese Begegnung der US- amerikanischen Wochenzeitung 'Newsweek‘ erzählt. Feltzman, der das „Opus Dei“ im Jahr 1985 verließ, arbeitet heute als Berater des englischen Kardinals Basil Hume. Sein inzwischen verstorbener früherer geistiger Meister, Escrivá de Balaguer, hingegen steht kurz vor der Seligsprechung. Wenn alles glattgeht, wird Papst Johannes Paul II. am 17.Mai den feierlichen Akt auf dem Petersplatz in Rom vollziehen.

Für vatikanische Verhältnisse lief die Beförderung in einer sensationell kurzen Bearbeitungszeit. Sonst dauert eine Heiligsprechung — wofür die Seligsprechung die Vorstufe ist — 50 Jahre, oft sogar Jahrhunderte. Dank der Organisation, die er bei seinem Tod 1975 hinterließ, konnte Escrivá de Balaguer alle modernen Rekorde brechen. Hinzu kam, daß der jetzige Papst dem rechten „Opus Dei“ seit seinem Amtsantritt wohlgesonnen ist. Selbst in seinem engsten Mitarbeiterstab soll er einige „Opus Dei“-Mitglieder beschäftigen. Bereits 1982 erhob der Papst den Laienorden in den privilegierten Rang einer „Personalprälatur“ in Rom — trotz heftiger innerkirchlicher Widerstände.

In dem seither laufenden Selig- und Heiligsprechungsprozeß über Escrivá de Balaguer durfte im Auftrag des Vatikan eine „Opus“-eigene Expertengruppe das zur Beurteilung notwendige Material erarbeiten — mit durchschlagendem Erfolg. Bereits im April 1990 bescheinigte der Papst dem Verstorbenen „heldenhafte Tugenden“, und nur 15 Monate später wurde ihm eine Wunderheilung bestätigt. Jetzt muß dem „Vater“ — wie sich Escrivá de Balaguer von seinen Anhängern nennen ließ — nur noch ein zweites Wunder nachgewiesen werden, um ihm auch zur Heiligsprechung zu verhelfen.

Mit der Anerkennung von höchster kirchlicher Stelle ist der umstrittene spanische Katholik posthum am Ziel seiner Wünsche angelangt. 1928 hatte er das „Opus Dei“ zunächst als reinen Männerorden in Spanien gegründet. Zwei Jahre später erteilte Gott ihm die „correctio divina“, auch Frauen in die straff geführte zentralistische Organisation aufzunehmen. Die Anhänger sollen „still und wirksam in ihrer alltäglichen Berufsarbeit Christus folgen“, wie Escrivá de Balaguer in seinem Buch Der Weg schrieb. Mit eiserner Disziplin und absolutem Gehorsam sollen sie einen Beruf wählen, in dem sie ihr Apostolat — die Werbung neuer Mitglieder — erfolgreich ausüben können. Eine kontinuierliche Gehirnwäsche hält sie ideologisch bei der Stange. Jedes Mitglied wird durch ein anderes mit Beichtgesprächen kontrolliert. Zahlreiche Bücher stehen auf der „Opus“-internen Verbotsliste. Zum Standard gehören selbst körperliche Selbstkasteiung mit Geißeln und einem „Bußgürtel“ mit Spitzen an der Innenseite, den die Mitglieder mehrere Stunden täglich um den Oberschenkel schnüren.

Vor allem aber sollen „Opus“- Mitglieder keine „Dutzendmenschen“ sein. Escrivá de Balaguer suchte Führungspersonen für eine neue Elite. Bis heute fand das „Werk Gottes“ rund 75.000 dieser Auserwählten. Wer einmal in das autoritäre System geraten ist, kann seine Freiheit nur schwer zurückgewinnen. Diese Erfahrung machte auch der Theologe Klaus Steigleder, der nach fünf Jugendjahren seine Trennung vom „Opus“ schaffte und die Erfahrung als Buch aufschrieb, „um aufzuklären und zu warnen“ (Das Opus Dei).

Zwar halten die Angehörigen des „Opus Dei“ ihre Mitgliedschaft nach Möglichkeit geheim, doch ist unbestritten, daß sie an zahlreichen Schalthebeln der Macht plaziert sind. Sie sitzen an den Spitzen von Zeitungen, Rundfunksendern, in Regierungen und großen Konzernen — in Europa, aber auch in Lateinamerika. Kenner des „Opus Dei“ vermuten, daß das Werk auch in Osteuropa dabei ist, ein Netz aufzubauen. Im spanischen Pamplona, in Rom, in Peru, Kolumbien und Mexiko unterhält der Orden eigene Universitäten. In der Schweiz und Österreich mischte sich das „Werk Gottes“ in den letzten Jahren verstärkt in die Besetzung hoher Kirchenposten ein.

Progressiven Christen ist der größte Laien- und Priesterverband der katholischen Kirche ein Dorn im Auge. Denn „Opus“-Leute stellten in Franco-Spanien die Hälfte der Minister. „Opus“-Leute waren es, die in den achtziger Jahren den untergetauchten Chef der verbotenen italienischen Geheimloge P2, Lucio Gelli, versteckten. Und auch bei dem Militärputsch gegen Salvador Allende im Jahr 1973 soll „Opus“ seine Finger mit im Spiel gehabt haben. Später revanchierte sich Pinochet mit einigen Ministersitzen für dafür. In den 80erJahren mußten überall in Lateinamerika engagierte Basistheologen Angehörigen des „Opus“ weichen. Das päpstliche Schnellverfahren im Fall Escrivá de Balaguer stößt jetzt auch kirchenintern auf Kritik. Dabei ist der Rechtfertigungsversuch des Ordensgründers für den Holocaust nur der schwerwiegendste von vielen Einwänden. So soll der künftige Heilige „überheblich und arrogant“ gewesen sein — selbst gegenüber der Kirche von Rom. Das ehemalige „Opus“-Mitglied Maria del Carmen Tapia, die 18 Jahre lang mit Escrivá de Balaguer in Rom zusammenarbeitete, berichtet, der „Vater“ habe „keinerlei Respekt“ für Papst Johannes XXIII. und Paul VI. gehabt. „Opus“-Sprecher bestreiten alle Vorwürfe. Vor allem sei ihr Gründer ein ausgesprochener „Freund des jüdischen Volkes“ gewesen und habe die Tyrannei immer verurteilt, ließ der jetzige Chef des „Opus“ und langjährige Begleiter des Gründers, Alvaro del Portillo, aus Rom mitteilen.

Auffällig ist, daß der Vatikan kaum „Richter“ aus dem Heimatland Escrivá de Balaguers für das Selig- und Heiligsprechungsverfahren zugelassen hat. In Spanien hat das „Opus Dei“ besonders viele prominente Gegner. Acht der neun „Richter“, sind Italiener. Seltsam mutet auch die Heimlichkeit an, mit der im Vatikan das Material über Escrivá de Balaguer behandelt wird. Immerhin sickerte aber durch, daß zwei Richter gegen die Seligsprechung waren: der Italiener Luigi de Magistris und der Spanier Justo Fernández Alonso. Einer der beiden soll dabei gesagt haben, diese Seligsprechung würde der Kirche einen „schweren öffentlichen Skandal“ verschaffen.

Macht und Einfluß des „Opus Dei“ ist Thema der nächsten Eurotaz am 12.Februar.