Minamata-Opfer verlieren Prozeß

Tausende Opfer der Quecksilbervergiftungen in Japan gehen leer aus, kleine Entschädigung für 42 Kläger/ Urteil stellt Behörden Freibrief für ihr Verhalten nach der Umwelttragödie von 1954 aus  ■ Aus Tokio Georg Blume

„Ich bin zu unglücklich, um noch zu weinen.“ Mit den fassungslosen Worten des japanischen Umweltschützers Masao Uda endete am Freitag in Tokio die Prozeßgeschichte in einem der größten ökologischen Skandale dieses Jahrhunderts. Nach dem gestern gesprochenen Urteil eines Tokioter Gerichtshofs dürfen die Opfer der legendären Minamata-Krankheit, die in den letzten dreißig Jahren bereits annähernd 2.000 Todesopfer gefordert hat, nicht mehr auf staatliche Entschädigungszahlungen hoffen. Das Gericht befand, daß die zuständigen öffentlichen Stellen — Regierung, Präfektur und Rathaus — keine Verantwortung für das Öko-Desaster von Minamata tragen, weil nämlich — wie es in der Begründung heißt — die Forschung zur Erkenntnis der Krankheitsursachen seinerzeit angeblich noch nicht weit genug entwickelt gewesen sei. Lediglich 42 von 64 Klägern, die das Gericht in einem Nebenbefund als „wahrscheinliche Opfer“ der Quecksilbervergiftungen von Minamata identifizierte, wurde eine lächerliche Hilfssumme von 4 Millionen Yen (zirka 50.000 DM) auf Kosten der Verursacherfirma Chisso zugesprochen. Die Betroffenen hatten dagegen Entschädigungen über insgesamt 15 Milliarden DM gefordert.

Minamata — der Name dieses südjapanischen Küstenstädtchens stand bislang nicht nur für die erste Öko-Katastrophe überhaupt, die ins Bewußtsein der Menschen gelangte, sondern auch für eine beispiellose Protestbewegung, deren Anstrengungen vor neunzehn Jahren das weltweit erste Gerichtsurteil erzwangen, das ein Privatunternehmen, die Chemiefirma Chisso, zu Kompensationszahlungen an die Opfer von Umweltschäden verpflichtete. Doch der Erfolg von damals ist längst vergessen. Erst vor wenigen Jahren lockerte das japanische Parlament auch das Gesetz zur Entschädigung der Opfer von Umweltschäden, das — bewirkt durch die Auseinandersetzungen um Minamata Anfang der siebziger Jahre — in der Welt lange Zeit als vorbildlich gegolten hatte.

Gleichgültigkeit begleitete fortan den langen Weg der Minamata-Opfer zum Gericht nach Tokio. Das frühere Gerichtsurteil hatte bewirkt, daß Chisso einer anerkannten Zahl von 2.230 Betroffenen bis zum März 1990 eine Entschädigungssumme über 87,5 Milliarden Yen (1,1 Milliarden DM) zahlte. Doch die Zahl der Opfer der schon 1954 entdeckten Krankheit übersteigt die Zehntausend. Von 12.929 Anträgen auf einen Opferstatus wurden bis zum September 1990 nur 2.925 anerkannt. Deswegen war das gestrige Urteil in Tokio so wichtig. Denn solange die öffentliche Hand, die trotz aller von den Betroffenen vorgebrachten Beweise 14 Jahre lang — zwischen 1954 und 1968 — das Quecksilber-Dumping ins Meer erlaubte, sich von aller Verantwortung freisprechen konnte, war an umfangreichere Zahlungen nicht mehr zu denken. Am Freitag aber bekamen die öffentlichen Behörden einen Freibrief für ihre Unterlassungen in den fünfziger und sechziger Jahren. Ein Sprecher des japanischen Umweltministeriums durfte sich dafür gestern freuen, daß die Regierung in Sachen Minamata „immer korrekt“ gehandelt habe.

Freilich, der bis zum Dezember 1989 amtierende japanische Umweltminister Toyonori Yamanouchi hatte das anders gesehen. Weil er die Regierung nicht zu einem Kompromiß mit den Opfern von Minamata überreden konnte, nahm er sich das Leben.