„Bonn mißbraucht Asylverfahren“

■ Ministerin Blaul wirft dem Bund „Blockadepolitik“ bei Asylanträgen vor/ Bundesregierung drängt Konventionsflüchtlinge ins Asylverfahren/ Seiters wirft SPD Abrücken von Vereinbarungen vor

Wiesbaden (taz) — Die aufgrund der katastrophalen Situation in der hessischen Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge (HGU) unter Druck geratene hessische Ministerin für Jugend, Familie und Gesundheit, Iris Blaul, ging gestern in Wiesbaden in die Offensive. Die derzeitige Notsituation bei der Erstaufnahme ankommender Flüchtlinge, so die Grüne, sei letztendlich auf die Untätigkeit und die Blockadepolitik der Bundesregierung zurückzuführen. Weil Asylanträge bei der Bundesbehörde in Zirndorf nicht bearbeitet würden und weil Flüchtlinge, denen nach der Genfer Konvention ein Bleiberecht zugestanden werde, unsinnigerweise in das Asylverfahren hineingedrängt würden, sorge Bonn für eine „vorsätzliche Dramatisierung“. Bonn müsse umgehend einen Sozialfonds für die sogenannten Konventionsflüchtlinge einrichten, denn dieser Personenkreis werde nur aufgrund fehlender sozialer und finanzieller Absicherung in das Asylverfahren hineingedrängt. Und deshalb, so Blaul, seien die monatlichen „Brandmeldungen“ über die angeblich stetig steigende Zahl von AsylbewerberInnen reine „Taschenspielertricks“: „Mittlerweile werden bis zu 40Prozent der Asylanträge von Menschen aus den ehemals jugoslawischen Gebieten gestellt, die aufgrund der Genfer Konvention sowieso ein Bleiberecht haben. Hier wird von Staats wegen Mißbrauch mit dem Asylrecht betrieben.“ Statt zügig zu handeln, würde in Zirndorf „offenbar absichtlich“ durch die Nichtbearbeitung von Anträgen ein Politikum geschaffen, um die unsinnige These vom „vollen Boot“ untermauern zu können. Die Zirndorfer „Aktenhalde“ weise mittlerweile 263.000 Fälle auf.

Unterdessen warf Innenminister Rudolf Seiters der SPD ein Abrücken vn den Mehrparteienvereinbarungen zur Beschleunigung der Asylverfahren vom letzten Oktober vor. Dies, so Seiters, geschehe „allein aus Parteitaktik“. Auch der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende, Johannes Gerster, forderte den SPD- Vorsitzenden, Björn Engholm, auf, Wort zu halten. Sollte das Asylbeschleunigungsgesetz an der SPD scheitern, würde aus dem Asylproblem „ein Fall Engholm“. Klaus-Peter Klingelschmitt