„Wer Straßen sät, erntet Verkehr“

Konzept für Verkehrswegeplan sieht fast 9.000Kilometer Fernstraßen vor/ Autobahnen durch Naturschutzgebiete/ Inhaltslose Bekenntnisse zu Bus und Bahn/ VCD kritisiert Auto-orientierte Politik  ■ Von Annette Jensen

Berlin (taz) — Die Botschaft klingt gut: Länder fordern Trendänderung in der Verkehrspolitik. 37 Umwelt-, Bau- und Verkehrsminister kamen am Donnerstag ins niederrheinische Nettetal gebraust und beschlossen, die Attraktivität der Bahn zu erhöhen, Nahverkehrsmitteln in Ballungszentren den absoluten Vorrang zu verschaffen und Besitzer von Lkw-Transportern für die von ihnen verursachten Kosten zur Kasse zu bitten. Mit Sorge gaben die Minister zu Protokoll, daß die Blechkisten allein in den alten Bundesländern 1991 rund 16Prozent mehr CO2 in die Luft geblasen haben als noch 1987. Dabei hatte die Bundesregierung gerade erst im letzten Jahr beschlossen, die Kohlendioxid-Emissionen bis zum Jahr 2005 um 25Prozent zu verringern. Geistesgegenwärtig folgerten die versammelten Minister, daß dieses Ziel zu erreichen „unmöglich erscheint, wenn nicht eine deutliche Trendwende eintritt“. Dafür wollten sie sich stark machen, verkündeten sie.

Wie ungünstig, daß wenige Stunden später das Konzept für den gesamtdeutschen Verkehrswegeplan öffentlich wurde — und somit für niemanden mehr zu übersehen ist, daß die hehren Worte sich im Konkreten in keinster Weise wiederfinden. Mehr als 900 Neu- und Ausbauprojekte stehen auf den Wunschzetteln, die die 16 Länder ans Bundesverkehrsministerium geschickt haben — das sind fast 9.000Kilometer Fernstraßen. Veranschlagt werden für diese Pisten Kosten von 74,1 Milliarden Mark; hinzu kommen noch 25 Milliarden für Projekte aus dem letzten Straßenbauplan, die bis 1995 in Teer und Beton umgesetzt sein sollen. Noch vor der Sommerpause will Verkehrsminister Krause eine Kabinettsvorlage fertig haben; wenn die Abgeordneten aus der Sommerfrische zurückgekehrt sind, sollen die Vorschläge im Bundestag beraten werden. „Die sich auf Schiene, Wasserstraße, Flugsicherung und Flughäfen beziehenden Teile des Verkehrswegeplans haben demgegenüber keinen Gesetzesrang. Allein dies zeigt, welch überragende Bedeutung der Bund dem Straßenbau gegenüber den anderen Verkehrsträgern beimißt“, kommentiert der Verkehrsclub Deutschland (VCD), der der Umweltbewegung nahesteht.

Krause hat seine Experten drei Prognosen erarbeiten lassen: BezugsfallF geht davon aus, daß alles so bleibt, wie es ist — also ungebremstes Wachstum des Individualverkehrs. Die Forscher sagen hierfür eine 51prozentige Steigerung der Pkw-Fahrleistung bis zum Jahr 2010 voraus. Aber auch der MaßnahmenkatalogG, der mit höheren Park- und Nutzungskosten und einer durch den zunehmenden Stau verursachten Geschwindigkeitsminderung um fünf Prozent kalkuliert, führt zu einer Steigerung der Autonutzung um 42Prozent. Und die noch positivste PrognoseH, die zusätzlich noch eine 30prozentige Preissteigerung für Benzin vorschlägt, kommt immer noch auf ein 28prozentiges Wachstum bis zum Jahr 2010. 45,5 Millionen Autos sollen dann in Deutschland rumkurven; 1988 waren es 36,9 Millionen.

Der VCD-Bundesvorsitzende, Rainer Graichen, warf gestern der Bundesregierung vor, die „Auto-orientierte“ Politik in den kommenden zehn Jahren fortzuschreiben. Im Rothaargebirge, dem Südharz, dem Thüringer Wald und in Mecklenburg-Vorpommern würden zusammenhängende Naturschutzgebiete durch Fernstraßen zerstört. Dabei sei dem Verkehrskollaps mitnichten durch ein immer dichteres Verkehrsnetz beizukommen: „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.“ Alle drei aufgezeigten Prognosen gingen davon aus, daß der Verkehrsbedarf die zentrale, scheinbar „objektive“ Größe sei. Dabei würden insbesondere Tagesausflügler durch Infrastrukturmaßnahmen zu einem Autotrip stimuliert. Außerdem hält der VCD die Prognosen über die Steigerung des Verkehrsaufkommens für zu optimistisch: „Der 1983 für das Jahr 2000 vorausgesagte Straßenverkehr ist jetzt bereits überschritten.“ Andreas Kippe vom ADAC aber sieht das ganz aus Krauses Blickwinkel: „Zu wenige Straßen führen zu Stau und damit zu Umweltbelastungen.“