Olympiade als wirkliche Welt-Spiele

■ Die von IOC-Chef Juan Antonio Samaranch geforderte Dezentralisierung der Olympischen Spiele in Länder aller Kontinente wäre billiger und ökologisch sinnvoller

Kaum hatte Juan Antonio Samaranch seine Ansprache beendet, brach lautes Jammern und Wehklagen aus im Kreise seiner olympischen Freunde. Hatte der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees auf der IOC-Vollversammlung doch nichts geringeres gefordert, als mit jahrhundertealter Tradition zu brechen: Aus ökologischen Gründen sei dringendst zu überlegen, die Olympischen Spiele auf verschiedene Länder aufzuteilen, anstatt einer einzelnen Stadt oder Region die finanzielle, umweltfeindliche und soziale Belastung allein anzutun.

Samaranch verlangt eine Umweltverträglichkeitsprüfung für Olympia — und folgt damit endlich den Aufforderungen zahlreicher Umweltschutzorganisationen. Doch auch ökonomische Gründe werden Samaranch zu diesem Vorschlag bewogen haben: Die Steuerzahler in Grenoble etwa zahlen immer noch für die Olympiade von 1968, Montreal ist seit den Sommerspielen 1976 rettungslos verschuldet, und schon jetzt wird einigen Veranstaltungsorten nahe Albertville von keiner Bank mehr Kredit gewährt.

Tatsächlich wäre es ökologisch sinnvoll und für die Veranstalter erheblich billiger, die Spiele auf mehrere Orte zu verteilen, an denen Sportanlagen bereits vorhanden sind. Doch wo bleibt dann die Idee der „Jugend der Welt, die sich zum friedlichen Kräftemessen zum Wohle der Völkerfreundschaft“ trifft? „Weg damit: Der Gedanke ist doch völlig verstaubt, die Gesetze der griechischen Ethik sind für heute unbrauchbar“, findet Horst Seifart, Spezialist für Fernsehsportübertragungen. „Wir stellen die Einheit des Festes medial her und schalten die Jugend per Satellit zusammen, und zwar weltweit.“ Ohnehin, so Seifart, sei der Sport alles andere als einheitlich. Leistungssport, Breitensport, Freizeitsport, Gesundheitssport haben nichts mehr miteinander zu tun. Das IOC ist nicht etwa der Bewahrer der großen Olympischen Idee, sondern ein handfestes Wirtschaftsunternehmen mit bestenfalls sportlichem Ethos. „Anders geht es auch nicht mehr angesichts der enormen Kosten“, sagt Seifart.

Eberhard Stanjek, Fernseh- Teamchef der ARD in Albertville, hält die dezentrale Olympialösung für das Ende des olympischen Fernsehspektakels — der Aufwand würde dann zu hoch werden. Horst Seifart, TV-Koordinator bei 24 Olympiaden, hält dagegen: „Im internationalen Geschäft wird schon lange von dezentralen Spielen gesprochen. Die Vorteile wären enorm: Die Kosten würden sich aufteilen. Es wäre auch möglich, kleine Landessender, wie zum Beispiel den SFB, zu Ereignissen zu schicken, die nur eines geringen technischen Aufwands bedürfen. Die Zeitunterschiede könnten beim Programm-Machen günstig genutzt werden. Zudem ließen sich die Kosten, sowohl für die TV-Anstalten als auch für die jeweiligen Veranstalter, in vernünftigem Maß verteilen. „So könnten selbst kleinere und ärmere Länder, die sonst keine Chance hätten, olympische Disziplinen ausrichten.“

„Das wären doch wirkliche Weltspiele, wenn sie auf allen Kontinenten stattfänden“, sagt Seifart. Der Zeit sowohl technisch als auch politisch angemessen: „Der Hochleistungssport ist als einer der größten Umweltzerstörer nach dem Straßenbau nicht mehr tragbar. Er soll wieder dorthin, wo er herkommt: Skilanglauf gehört nun mal an den Polarkreis.“

Die Eröffnungszeremonien könne man symbolisch als weltweite Kulturfeste an Orten inszenieren, die politische Befriedungen hinter sich haben, etwa Berlin oder irgendwann vielleicht einmal Jerusalem. Die Sportler müßten dabei nicht anwesend sein, die werden per Satellit dazugeschaltet. Von der Idee des Europäischen Parlaments, die Spiele immer am selben Ort, wo die Infrastruktur bereits geschaffen ist, zu veranstalten, hält Seifart nichts. „Dann ist immer eine Region völlig überlastet, das ist finanziell und sozial gar nicht zu machen.“ Zudem sei es zutiefst altmodisch: „Wir haben die technischen Mittel für die bessere Lösung, wir müssen sie auch nutzen.“ Michaela Schießl