Jetzt oder nie: Gold, Gold, Gold!

■ Alles wird gut: Wenn WIR 14 Medaillen holen, können WIR die Russen für immer und ewig überholen/ Und endlich wird die richtige deutsche Hymne gespielt

Für den Thoma Georg war's ein traumatisches Erlebnis, damals, 1960 in Squaw Valley. Da war der inzwischen zum ZDF-Dazwischenplapperer Avancierte noch ein kleiner Postbote im Schwarzwald und völlig überraschend Olympiasieger in der Nordischen Kombination geworden. Ein Grund zur Freude? Nur so lange, bis der Georg auf dem Siegerpodest stand und andächtig darauf wartete, zu Haydn ein paar Tränerl zerdrücken zu können. „Ich fühlte als Deutscher“, erinnert sich der Deutsche, „und war total irritiert, als die deutsche Hymne nicht gespielt wurde!“

Tja, der gute Thoma hatte in all der Aufregung mal wieder nicht mitbekommen, daß — wie zuvor in Cortina 1956 und später in Innsbruck 1964 — eine „gesamtdeutsche“ Mannschaft am Start war, deren eine Hälfte auf Haydn, die andere aber auf Becher stand, so daß man sich auf Beethovens Neunte als faden Kompromiß einigen mußte, was im Falle Thoma, wie man heute sieht, fatale Folgen hatte.

„Es war einfach nicht rechtens damals! Das waren politisch initiierte, unechte Gebilde“, macht auch der damalige „Mannschafts“(Gänsefüßchen, denn wegen selbigem Staat war's ja keine!)-Leiter Walther Tröger aus seinem Verdruß keinen Hehl. „Damals gab es kein Mannschaftsgefüge“, was sich sicher auch auf die Medaillenausbeute negativ auswirkte, denn damals, man muß es leider sagen, schnitten WIR bei den Spielen alles andere als großdeutsch ab! Ein mickriges Gold in Cortina (West!), viermal Gold in Squaw Valley (Ost), dreimal in Innsbruck (eins zu zwei für den Osten), das war alles in jenen Jahren.

Ab Grenoble (1968) trennten sich die Wege, die Erfolge Ost nahmen dramatisch zu, während die Westteams immer gleich bescheiden blieben, was der Goldmedaillenvergleich seit 1968 eindeutig beweist: 2:1, 3:4, 2:7, 0:9, 2:9 und 2:9 hieß es seitdem oder addiert: 11:39. Aber das lag eigentlich nicht daran, daß die aus dem Westen so schwächlich waren, sondern, wie die 'Deutsche Presseagentur‘ jetzt herausgefunden hat, daran, daß die aus dem Osten Olympia als „Kampffeld für Gesellschaftsordnungen und Ideologien“ mißbrauchten! Die gute Nachricht sei nun, findet selbiges Organ, daß dies „mit dem Zusammenbruch des kommunistischen Weltreichs“ erstmals nicht mehr so sei! Anders formuliert: Jetzt wird doch noch alles gut, jetzt können endlich WIR nach Herzenslust siegen, siegen, siegen.

Das ist auch bitter nötig, wenn die in der „ewigen Nationenwertung“ noch führende aber bereits in den „ewigen Schlaf“ entschwundene „UdSSR“ möglichst schon in Albertville überholt sein soll. 78 Goldmedaillen haben sie bisher, und mehr werden's nimmer, denn die der GUS zählen da natürlich nicht dazu, auch wenn die GUS-Sportler als ein Team antreten.

Wenn WIR also unsere 18 nehmen, die vier Großdeutschen (Christl Cranz und so) dazuzählen, und die 43 auf dem ideologischen Kampffeld Errungenen auch, dann sind's schon 65, und damit haben WIR die Norweger (54) und die USA (läppische 44) schon mal locker überrundet. Von solchen Katastrophen wie den Briten gar nicht zu reden, für die es seit 1908 ganze sieben Goldene zu bejubeln gab, und wo man nun entweder so tut, als gäbe es überhaupt keine Winterspiele, oder aber alle Hoffnungen auf einen obskuren Short-track-Eisschnelläufer sowie den 38sten der Weltrangliste im Speed-Skiing setzen muß!

Aber was soll's? Wir haben auch unsere Sorgen! Immerhin müssen nun genau 14 Goldmedaillen her, damit WIR dastehen, wo wir hingehören: Ganz oben! Doch das sollte eigentlich kein allzu großes Problem sein, wie unsere — vorsichtig vorgenommene — Hochrechnung der sicheren Goldjungs und -mädels ergab. Siegen werden nämlich Wasmeier (Abfahrt), Bittner (Slalom), Seizinger (Super G), Kirchner (Biathlon), Biathlonstaffel männlich und weiblich, Jens Weißflog (Skifliegen), Wo ist Behle (Langlauf), Zweierbob, Viererbob, Erdmanns Susi und Hacklschorsch (beide Rodeln), Krauße/Behrendt (Doppelrodel), Mey und Niemann (beide Eisschnellauf), so daß WIR auf die Buckelpistenrennen und das Eishockeyteam gar nicht angewiesen sind!

Und warum das alles so gut klappt? Weil WIR diesmal eine „richtige Mannschaft“ haben, wie auch Walther Tröger findet, der heuer als „Chef de mission“ dabei ist. Und weil nach jedem Sieg dann auch die Hymne gespielt wird, und zwar die richtige! Denn wie klagt noch heute Georg Thoma: „Von Freude schöner Götterfunken hatte ich noch nie was gehört.“ Peter Unfried