Bloomige Metamorphosen

■ »Stoom and Blephen« bei den Freunden der italienischen Oper

Ulysses von James Joyce ist ein Roman, dem zu Recht die Bezeichnung des »komplexen Werkes« anhaftet: Das Buch ist voller Metaphern, Analogien, Parallelen und Symbolen. Hinter jedem Satz steckt eine Philosophie, alle literarischen Stilmittel finden Verwendung, und das Ganze bleibt trotz mannigfaltiger Versuche der Ausdeutung wohl immer ein rätselhaftes Kunststück.

Doch durch die breite und bunte Palette der Themenkreise und Personenbeschreibungen drängt sich auch ohne Forschungsdrang und Deutungswille eine dramatische Umsetzung des Stoffes mit wenigen Mitteln geradezu auf: der Mensch steht trotz der immensen Informationsfülle im Mittelpunkt der Schilderung, die Sprache ist der vermittelnde Faktor zwischen dem Gehirn oder dem Herzen und der Außenwelt, auch wenn diese als Spiegel fungiert.

Auf der Bühne stehen zwei Tische nebst Stühlen, eine mit bunten Tüchern verhangene Leiter lehnt an der Wand, und im Hintegrund steht neben dem ebenfalls verhangenen Klavier ein Garderobenständer mit Frauenkleidern. Paul Ó Hanrahan — im schwarzen Anzug mit weißem Hemd — verkörpert an diesem Abend nicht Leopold Bloom oder Stephen Daedalus, sondern ist der Erzähler der »Odyssee«, der gleichzeitig mühelos wie ein Chamäleon in die Charaktere seiner geschilderten Personen schlüpft. So zeigt er nicht nur ein Kapitel oder eine ausgewählte Episode aus dem tausendseitigen Werk, er erzählt alles, von Anfang an bis zum Ende, vom Frühstück Leopold Blooms bis zu den letzten Worten seiner Frau Molly: ein schneller Ritt durch ein Meisterwerk. Auch wenn aus Zeitgründen — die Aufführung dauert zwei Stunden — immer nur Andeutungen, Versatzstücke und Fragmente Raum und Zeit finden, so bleibt doch der Zusammenhang sichtbar.

Im Wechselbad zwischen virtuoser Komik, schriller Provokation, geheimnisvoller Spannung und nachdenklicher Melancholie gleitet Paul Ó Hanrahan nicht nur in Frauenkleider (wenn dies erforderlich ist), sondern auch von einem Protagonisten in den nächsten. Mit beachtlicher Glaubwürdigkeit und subtilem Humor zeigt er ein irisches Panoptikum. Und dabei bleibt nicht nur durch wechselnde Sprachen (irische Akzente, Englisch, Französisch, Deutsch) die von Joyce beabsichtigte »Polyphonie« gewahrt. Durch Verwendung der im Roman enthaltenen Oratorien, Lieder und Kinderreime scheint auch immer eine ironische Sicht auf die Welt hindurch.

Man merkt dieser von Ó Hanrahan im Alleingang bestrittenen Produktion die Liebe zum Werk von James Joyce an. Er zeigt in Stoom and Blephen nicht eine auf Interpretation auf intellektueller Ebene ausgerichtete Arbeit, sondern einen bodenständigen, reduzierten Umgang mit der Romanvorlage: Joyce pur.

Für Menschen, die Ulysses nicht gelesen haben, ist dieser Abend eine Entdeckung; für alle anderen aufgrund der englischen — pardon: irischen Sprache ein Genuß. York Reich

Weitere Aufführungen: 13., 14., 15., 16. Februar jeweils um 20.30 Uhr bei den Freunden der italienischen Oper, Fidicinstraße 40 in Berlin 61