»Jetzt geben die Ossis die Richtung vor«

■ Bürgermeisterin Christine Bergmann (SPD) begrüßt Kompromiß über PDS-Richterin/ »Ostdeutsche werden selbstbewußter«

taz: Ist der Kompromiß, den CDU und SPD im Streit um die sogenannte PDS-Richterin Cathrin Junge gefunden haben, in Ihrem Sinn?

Christine Bergmann: Ja, auf jeden Fall. Im Streit um Frau Junge ging es auch um die Bereitschaft, die Ostdeutschen zu integrieren und hinzunehmen, daß eine Ostrichterin über Bürger aus dem Westteil der Stadt richten wird. Die Lösung, die der Koalitionsausschuß gefunden hat, begrüße ich auch deshalb, weil man nun die Erfahrungen aus den neuen Bundesländern, vertreten durch ihre Justizminister, als Richtschnur anlegen will. Erstmals sind es die Ossis, die die Marschrichtung vorgeben.

Stimmt das denn? Die ostdeutschen Justizminister sind doch fast komplett Westimporte.

Das ist in der Tat ein Schönheitsfehler. Soviel ich weiß, gibt es nur in Sachsen einen einheimischen Justizminister. Aber entscheidend ist ja die Zusammensetzung der Richterwahlausschüsse in diesen Bundesländern. Sie sind zum größten Teil mit Ostdeutschen besetzt, und sie haben die Entscheidungen über die Übernahme von Richtern und Richterinnen getroffen.

Sollte dieses Verfahren — Ostdeutsche urteilen über Westdeutsche — auch auf andere Fragen übertragen werden?

Es geht nicht darum, daß die einen über die anderen urteilen. Vielmehr sollten wir in größerem Maß partnerschaftlich die Kriterien für das jeweilige Handeln finden. Ein positives Beispiel in diesem Sinn ist die Zusammenführung der beiden Akademien der Künste aus dem Ost- und dem Westteil. Das ist kein Anschluß der Ostseite, sondern eine echte Fusion.

Der Senat und das Abgeordnetenhaus sollten diese Fusion anerkennen?

Ja, auf jeden Fall.

Einige Beobachter diagnostizierten bei vielen Ostdeutschen lange Zeit eine Art »Waschzwang«, was die DDR-Vergangenheit anging. Gibt es jetzt eine Trendumkehr, einen wachsenden Widerstand, sich von den Wessis alles wegnehmen zu lassen?

Ich sehe das als Ausdruck eines gewachsenen Selbstbewußtseins. Und das begrüße ich sehr. Die Ostdeutschen, die anfangs ziemlich klein und bescheiden in diesem Vereinigungsprozeß da standen, erkennen wieder ihren eigenen Wert. Die Ostdeutschen haben gemerkt, daß ihre Bescheidenheit von den Wessis oft benutzt wurde, um sie künstlich klein zu halten.

Kann diese Haltung, »Wehret den Wessis«, nicht auch zu einer falschen Solidarisierung mit den falschen Leuten führen. Stichwort: Heinrich Fink?

Fink mußte man in der Tat den Vorwurf machen, daß er sein Einzelschicksal mit dem Schicksal der Universität verknüpfte und damit eine falsche Solidarisierung schaffte.

Ist das vergleichbar mit dem Fall Manfred Stolpe?

Der Fall Stolpe zeigt die Notwendigkeit zu differenzieren. Der Fall Stolpe ist ein ganz anderer. Er ist für viele Berliner und Brandenburger ein Mensch, der bewiesen hat, daß er in der Lage ist, dieses schwierige politische Geschäft zu bewältigen und dabei auch das Herz der Menschen zu treffen. Die wirklich unfairen Angriffe gegen ihn haben viele Ostdeutsche in ihrem eigenen Selbstgefühl getroffen. Sie wußten ja, wie wichtig diese Bastion Kirche war, an die man sich notfalls noch wenden konnte, wenn es hart auf hart ging. Interview: Hans-Martin Tillack