Der patentierte Mensch als Arzneimittelfabrik

Heute soll das Europaparlament über einen Gesetzentwurf gegen die Patentierung von Menschen und ihrer Gene beschließen/ Doch der Entwurf läßt Hintertürchen für die Gen-Tech-Industrie offen/ Es geht um Milliardengewinne  ■ Aus Brüssel Michael Bullard

Was unterscheidet einen Mensch von einer Kuh? Nichts, beide sind potentiell patentierbare Arzneimittelfabriken. Ein schlechter Witz? In der Tat. Aber wenn es nach dem Willen der Wissenschaftler der medizinischen Abteilung des Baylor College in Houston und der Firma Granada Biosciences ginge, wäre diese absurde Gleichsetzung schon längst Realität. Denn 1988 stellten sie beim Europäischen Patentamt in München (EPA) einen Antrag auf Patentierung von „Säugern“, Menschen eingeschlossen. Ob Schafe, Kühe oder Frauen — sie können in ihren genmanipulierten Milchdrüsen besondere Proteine produzieren, die die Herstellung von Medikamenten erleichtern. Was sich wie ein apokalyptischer Science- fiction anhört, erscheint auch den EG-Politikern durchaus realistisch: Der von der EG-Kommission 1988 vorgelegte Gesetzentwurf für die Patentierung von gentechnischen Erfindungen schließt die Patentierung von Menschen nicht aus. Haben die Texaner also gute Chancen, in Zukunft per Patent über genmanipulierte Frauen, ihren Nachwuchs und ihre „Produkte“ zu verfügen?

„Nie und nimmer“ beteuert Willi Rothley. Der sozialdemokratische Europaabgeordnete hat die Stellungnahme des Europaparlaments (EP) zu dem Gesetzesvorschlag entworfen. Sie steht heute bei der Plenarsitzung des Hohen Hauses in Straßburg zur Diskussion. Weder Menschen noch Teile von Menschen, bekräftigt Rothley, sollen patentierbar sein. So stünde es in seinem Vorschlag, so werde es von der Mehrheit der 518 Europaparlamentarier unterstützt, und so werde es auch die EG-Kommission und letztendlich der in der Frage entscheidende EG-Ministerrat akzeptieren.

Denn die Kommission, so der stellvertretende Vorsitzende des Rechtsausschusses im EP, habe einen großen Lernprozeß hinter sich. Ist damit also die Gefahr gebannt, daß genmanipulierte Menschen in Zukunft mit einer Patentnummer auf Busen oder Gehirn herumlaufen müssen, oder daß sie Kinder nur noch gegen die Zahlung von Lizenzgebühren in die Welt setzen dürfen? „Weit gefehlt“, behauptet Hiltrud Breyer von den Eurogrünen. Rothleys Vorschlag sei nur deshalb konsensfähig, weil er grundsätzlich die Patentierung von Pflanzen und Tieren zulasse und selbst beim Menschen Hintertürchen offenhielte. So wird einerseits postuliert, daß „Verfahren zur genetischen Veränderung des Menschen nicht patentierbar sind“. Zwei Sätze weiter werden jedoch „Erfindungen, die genetische Veränderungen beim Menschen in Verbindung mit der Behandlung von Krankheiten zum Gegenstand haben“, von dem Verbot ausgenommen, „sofern sie nicht gegen die öffentliche Ordnung verstoßen oder die Menschenwürde beeinträchtigen“.

Was im Sinne dieses Paragraphen als Krankheit gilt, der genetisch bewirkte Heuschnupfen beispielsweise, oder wann die Menschenwürde konkret beeinträchtigt ist, dies bleibt in Rothleys Gesetzesentwurf offen. Ähnlich vage ist das Verbot von Patenten auf Erfindungen formuliert, die „unnötige Leiden“ bei den betroffenen Tieren hervorrufen. Klarer hingegen äußert sich Rothley, wenn es um Patente auf Produktionsverfahren geht, bei denen „menschliche Zellen losgelöst vom Körper“ gebraucht werden. Diese sollen patentierbar sein, solange sie zur Produktion von Heilmitteln eingesetzt werden. Die Aushöhlung des deutschen Embryonen-Schutzgesetzes will der SPD-Politiker hingegen nicht zulassen.

Gleiches gilt für den drohenden „Kannibalismus“. Das EPA habe bereits mehrere Verfahren patentiert, bei denen menschliche Wachstumsgene den Wuchs von Forellen oder Schweinen fördern. Auch wenn das Menschliche in den so gefertigten Steaks und Filets später nicht durchschmecke, sei ihm doch der Gedanke daran unerträglich.

Dennoch läßt Rothley den Münchner Hütern des gewerblichen Rechtschutzes in Europa bei ihrem Patentierungsdrang auch weiterhin freie Hand. „Nicht verbindlich“, so heißt es in seinem Gesetzentwurf, „ist diese Richtlinie für die Mitgliedsstaaten hinsichtlich der Auslegung und Anwendung des Übereinkommens über die Erteilung Europäischer Patente“ vom 5.10.1973. Über die Einhaltung dieses Abkommens wacht seit 1977 das EPA. Mitglieder sind aber nicht nur alle EG- Staaten außer Irland, sondern auch Österreich, die Schweiz samt Lichtenstein und Schweden. Aus diesem Grunde dürfe die EG-Richtlinie, die ja die nationalen Patentgesetze modifiziere, nicht gegen das Europäische Patentabkommen verstoßen.

Dort ist zwar festgeschrieben, daß „europäische Patente nicht für Pflanzensorten oder Tierarten erteilt werden sowie im wesentlichen für biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren“. Auf Drängen der Gen-Tech-Industrie hat man sich in dem gläsernen Patent-Palast an der Isar jedoch einen Auslegungstrick einfallen lassen: Pflanzensorten und Tierarten mögen nicht patentierbar sein, Pflanzen- und Tiergruppen oder aber Teile einzelner Pflanzen und Tiere sind es. Bei Pflanzen ist dies schon länger der Fall. Seit letztem Herbst gilt dies auch für Tiere. Im Oktober machte das EPA die bereits 1988 in den USA patentierte „Krebsmaus“ auch in Europa verwertbar.

Und selbst den Menschen haben die Patentwächter bereits im Visier. Vor zwei Jahren noch tönte EPA- Präsident Paul Braendli, der Mensch sei nicht patentierbar. Dies hielt seine Mitarbeiter jedoch nicht davon ab, einem australischen Forschungsinstitut letzten April ein Patent auf ein Gen zu erteilen, das das Hormon Relaxin in schwangeren Frauen kodiert. Dagegen legten die Euro-Grünen Anfang Januar Widerspruch ein. Zeitgleich forderten sie das EPA auf, in den Mitgliedsstaaten eine Untersuchung durchzuführen, ob die Erteilung solcher Patente nicht gegen die guten Sitten verstoße. Im EP stellten sie den Antrag, eine Enquete- Kommission einzurichten sowie ein einjähriges Moratorium zu beschließen — um den Abgeordneten und der Öffentlichkeit Gelegenheit zu geben, überhaupt erst einmal zu diskutieren, was da auf sie zukommt.

Doch der neugewählte EP-Präsident und Kohlsche Parteifreund Egon Klepsch hat solcherlei Ansinnen bereits in Abstimmung mit den Sozialdemokraten zurückgewiesen. Kein Wunder: Schließlich ist sein Sohn in der EG-Kommission für das Genom-Analyse-Projekt verantwortlich, mit dem alle menschlichen Gene kartographiert werden sollen. Außerdem winken ungeheure Gewinne: Von heute 10 Milliarden DM könnte sich nach Schätzungen der Gen-Lobby der Verkaufswert biotechnologischer Produkte weltweit auf über 160 Milliarden im Jahre 2.000 steigern. Wie groß der Anteil Europas an diesem gigantischen Geschäft ausfällt, zwei Millionen potentielle Arbeitsplätze inbegriffen, hinge von dem Verhalten der EG ab.