Europa soll SDI-Schirm mitaufspannen

■ US-Vizepräsident Dan Quayle macht Europäern und Russen SDI schmackhaft/ Manfred Wörner schlägt eine Stellenbörsen für arbeits- und herrenlose Atomexperten aus der Ex-Sowjetunion vor

München (dpa/taz) — Einst waren sie Gegner im Kalten Krieg, jetzt wollen sie sich gemeinsam verkriechen: unter ein Schutzschild gegen Raketen aus der Dritten Welt. Die Vereinigten Staaten, so verkündete deren Vizepräsident Dan Quayle gestern auf der Konferenz für Sicherheitspolitik in München, wollen im Rahmen der Strategischen Verteidigungsinitiative (SDI) ein neues Abwehrsystem aufbauen, mit dem auch ihre Verbündeten in Europa gegen Angriffe mit atomaren Sprengköpfen begrenzter Reichweite geschützt werden können. Unter dem Schirm sollen nach Angaben von Nato-Generalsekretär Wörner nicht nur die USA und Europa, sondern auch Rußland Platz finden. Dafür, so verlangt Quayle, müßten sich die Europäer aber auch an der Entwicklung des Projekts beteiligen. Die USA wollten einen neuen Vertrag aushandeln, der die berentzte Stationierung von Verteidigungsanlagen vorsieht.

Als Begründung für dieses sämtliche Preisvorstellungen sprengende Rüstungsprojekt muß nun die zunehmende Aufrüstung von Ländern des Südens herhalten. Schon allein aus geographischen Gründen, so Quayle, sei eine Bedrohung Europas durch einen Raketenangriff aus Ländern wie dem Irak „sehr viel wahrscheinlicher als eine Bedrohung Amerikas“.

Bei der Produktion des Abwehrsystems kann sich Quayle eine Mitwirkung der Russen allerdings nicht vorstellen. Ein entsprechendes Angebot des russischen Präsidenten Boris Jelzin bezeichnete er als „ziemlich problematisch“. Immerhin habe Jelzin aber das Thema wieder auf den Tisch gebracht. Die Aussicht auf ein gemeinsames Schutzschild mildert unter den Sicherheitsexperten der westlichen Länder jedoch nicht die Angst vor jenen Waffen, die sie einst selbst als unerläßlich gepriesen haben. Wie ein roter Faden zog sich durch die Vorträge die Warnung vor den Gefahren einer Weiterverbreitung von ABC-Waffen.

Nato-Generalsekretär Manfred Wörner forderte, daß die Weitergabe von nuklearen und chemischen Waffen durch sogenannte „Atomsöldner“ aus dem Osten an Länder der Dritten Welt sofort unterbunden werden müsse. Zu diesem Zweck propagierte Wörner ein exklusives ABM-Programm für nunmehr arbeitslose Atomexperten aus der ehemaligen Sowjetunion. Der Westen solle Stellenbörsen einrichten, um diesen Wissenschaftlern Jobs zu verschaffen. Ähnliche Pläne werden auch der US-Regierung nachgesagt.

Quayle verlangte vor den 180 Verteidigungspolitikern und Sicherheitsexerten aus zehn Nato-Ländern von den früheren Sowjetrepubliken, ihre Atomwaffen unter eine verläßliche zentrale Kontrolle „und außerhalb der Reichweite unsicherer oder aggressiver Regime“ zu bringen. Eine Menge Staaten seien bemüht, atomare, chemische oder biologische Waffen zu entwickeln und sie auch einzusetzen. Irak, Libyen und Iran stellten dabei die unmittelbarste Bedrohung dar.

Der ehemalige SPD-Vorsitzende Vogel will bei der Bekämpfung der Weitergabe von ABC-Waffen mehr auf die UNO bauen, während der ehemalige CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Alfred Dregger inzwischen die so manchen Slogan der Friedensbewegung verinnerlicht hat: Er will den totalen Verzicht auf Atomwaffen, weil die für die Welt eine „unvertretbare Gefahr“ darstellten. anb