Wer erklärt wem die Welt?

■ Das Münchner „Theater der Jugend“ ist eine der erfolgreichsten Kinder- und Jugendbühnen der Bundes- republik. Lilli Thurn und Taxis sprach mit dem Intendanten George Podt und der Dramaturgin Dagmar Schmidt darüber, warum die Erwachsenen das „kindgerechte“ Theater mehr lieben als die lieben Kinder. Denn die lieben richtiges Theater.

Seit zwei Jahren ist der Holländer George Podt Intendant des Münchner „Theater der Jugend“. Der Student der Architektur, Soziologie und Politologie übernahm 1977 die holländische Theatergruppe Wederzyds. 1985 gastierte sie erstmals in München. Beim Internationalen Jugendtheaterfestival in Rotterdam lernte Podt seine Frau Dagmar Schmidt kennen, die am Theater der Jugend als Dramaturgin arbeitete. Im Februar 1990 wurde er, nach dem überraschenden Weggang seiner Vorgängerin Barbara Fischer, dorthin als Intendant berufen. Ohne festes Haus — die am Schwabinger Elisabethenmarkt gelegene Schauburg, ein ehemaliges Kino, mußte wegen Asbestgefahr geschlossen werden und wird jetzt umgebaut — gelang es dem 42jährigen Podt, interessante Inszenierungen herauszubringen. Auch den Sparplänen des Münchner Oberbürgermeisters Kronawitter, der die Mittel für den Umbau der Schaubühne streichen wollte, ist sein Theater gerade noch entgangen.

taz: Was unterscheidet Ihrer Meinung nach Kinder- und Jugendtheater vom Erwachsenentheater?

George Podt: Beides ist Theater, und auch das Kindertheater folgt den theatralischen Gesetzmäßigkeiten. Wichtig ist, daß Kindertheater nicht erzieherisch wirken darf — weder im pädagogischen Sinn noch als Vorbereitung auf das Erwachsenentheater, auf den künftigen Kammerspielabonnenten. Unterschiede gibt es allein in der Themenwahl; ein Ibsensches Wenn wir Toten erwachen berührt die Welt eines Kindes oder Jugendlichen nicht. Mein Bestreben ist, daß das Theater für Kinder genauso interessant ist wie für Erwachsene, auch wenn sie aus einer anderen Perspektive auf die Welt sehen. Wenn es kindertümelnd ist, wird es für Erwachsene uninteressant.

Dem Theater der Jugend wird der Vorwurf gemacht, die Kinder mit „unkindlichen“ Stücken zu überfordern.

George Podt: Ich will Theater machen, das auch für Kinder geeignet ist. Wenn ich dagegen kindgerecht sein soll, langweile ich fast alle, schließlich gibt es kein „gemitteltes“ Kind. „Theatermachen“ darf nicht totgeschlagen werden von dem, was sich Wissenschaftler ausdenken, was Kindern zuzutrauen ist. Theater ist Geschichten erzählen, da kann auch der eine oder andere Bereich unverstanden bleiben. Die großen Themen wie Einsamkeit, Verstanden-sein-Wollen, Liebe, Haß und Tod sind für jeden Menschen jeden Alters interessant.

Dagmar Schmidt: Jeder Sechsjährige hätte seinen Höllenspaß an Robert Wilsons Black Rider. Grundsätzlich kann man Kinder nicht überfordern und sicherlich nicht schädigen, eher schon die Eltern. Es sei denn, man verlangt von Kindern, selbst zu spielen. Oder wenn der Lehrer den Kindern die Freude an der Schulvorstellung zunichte macht, weil er einen Aufsatz darüber schreiben läßt. Bei der Auswahl unserer Stücke verstehen wir uns in erster Linie als Sprachrohr der Kinder, aber wollen gleichzeitig unterhaltsam sein. Dennoch bevorzugen Eltern das „nette Kindertheater“, das diesen „Kinderkram“ produziert. Die Eltern gehen mit ihren Sprößlingen dorthin, um bei Peterchens Mondfahrt ihre eigene Kindheit wiederzufinden.

George Podt: Dabei wollen Kinder nicht wie Kinder behandelt weden.

Sie spielen häufig Stücke holländischer Autoren.

George Podt: In Holland gab es eine ganz andere Art von Autorenförderung, woraus eine ganz andere Gattung von Autoren hervorgegangen ist, die mit großer handwerklicher Qualität Stücke entwickeln und auch davon leben können. Der Autor arbeitet im Auftrag und muß nicht bangen, ob er sein Produkt an den Verleger bringen kann. Kein einziges Stück wird nachgespielt.

Ist das nicht sehr unbefriedigend für die Autoren?

George Podt: Ich denke nicht, sie machen es mit Freude und sehr gut. Und bekommen auch ein gutes Honorar. Erst jetzt werden gute Stücke auch ab und an im Ausland gespielt. Sie dürfen aber nicht vergessen, daß es in Holland keine Theatergruppen mit festem Haus gibt. Sie ziehen mit einem Stück im Land umher und spielen Stücke nicht nur zehn, sondern hundert Mal.

Die alte Schauburg am Elisabethenmarkt wird umgebaut. Wie sähe ein ideales Kindertheater aus?

George Podt: Der Entwurf für das neue Theater der Jugend ist noch vor meiner Zeit entstanden. Doch in dem Rahmen, den die Hülle des alten Gebäudes steckt, wird in der Hauptsache das erfüllt, was ich für ein Kinder- wie übrigens auch ein Erwachsenentheater wichtig halte: mobile, flexible Bestuhlung und damit die Möglichkeit, von der reinen Guckkastenbühne wegzukommen.

Dagmar Schmidt: Gerade bei Kindern ist es wichtig, sie atmosphärisch in das Geschehen miteinzubeziehen. Die Arenaform ermöglicht, die Sitzreihen um die Spielfläche zu gruppieren, sie macht den Blickkontakt zwischen Schauspielern und Zuschauern möglich, während die Guckkastenbühne die Kinder schnell in die Fernsehpassivität versinken läßt.

George Podt: Wie es aussieht, werden wir neben der herkömmlichen Guckkastenvariante eine Arena haben wie auch die Möglichkeit, den Theaterraum zweizuteilen, um simultan spielen zu können. Sicher könnte zusätzlicher Probenraum von größtem Nutzen sein, doch sollte man auch anerkennen, daß München 15 Millionen in ein Kindertheater zu investieren bereit ist.

In Ihrer kurzen Amtszeit hatten sie bereits ausreichend Gelegenheit, die Kulturpolitik des SPD-regierten München zu erleben.

George Podt: Es ist ein offenes Geheimnis unter Theaterleuten, daß es sich unter Konservativen einfacher arbeitet. Die streichen zuerst lieber alle Frauenstellen. Die Sozialdemokratie hat es schwerer mit ihrer Analyse. Kinderbetreuung fällt hier eher in den Bereich Sozialarbeit, als daß man sie über das Theater erfolgen ließe. Lieber investiert man sechs Millionen in eine Plakataktion gegen Drogen, als auf eine langfristige Motivation durch das Theater zu bauen. Kronawitters Idee vom Theater in der Turnhalle, ein sozialdemokratisches Relikt aus den Siebzigern, als Alternative zu einem festen Haus hätte bedeutet, am falschen Ende zu sparen.

Das Theater der Jugend kooperiert derzeit mit dem Ostberliner Theater der Freundschaft. Welche Bedeutung hat das Kindertheater in Ostdeutschland?

Dagmar Schmidt: Beide Theater haben das gleiche Stück vorbereitet, Helenee ver Burgs Winterschlaf. In der ersten Woche werden Kinder beide Vorstellungen sehen, die unterschiedlichen Erfahrungen werden in einer Publikation ausgewertet. Heute spielen die Ost-Kindertheater heftig die West-Stücke, wobei auffällt, daß der Umgang mit Sprache wesentlich genauer ist.

George Podt: Wichtig ist für die Ost- Theater, effizienter zu arbeiten. Ihr Personalaufwand ist einfach überdurchschnittlich. Doch soll das bitte nicht heißen, die Kindertheater aufzulösen und die Menschen dort noch tiefer in ein Loch fallen zu lassen. Das Phänomen des überdimensionierten Theaterwesens läßt sich übrigens auch im Westen beobachten: Jeder kleine Ort hat ein Drei-Sparten- Haus, denken Sie an Coburg oder Hof. Das Bühnenbild aus Pappmaché ist der Gigantomanie längst gewichen. Dabei wird immer vergessen, daß Kunst aus der Beschränkung entsteht.