Die Traumfabrikler sind Realisten geblieben

■ Mit konsequenter betriebswirtschaftlicher Organisation und Idealismus hat sich die UFA-Fabrik als Kulturbetrieb gehalten Nicht in die Schublade des »Alternativ-Betriebs« stecken lassen/ Vertrauen in die kreative Persönlichkeit des einzelnen

Tempelhof. »Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser«, soll Lenin gesagt haben. Nur, damit läßt sich auf Dauer kein funktionstüchtiger Laden organisieren, geschweige denn ein ganzes Gesellschaftssystem. Die Lebensdevise der Leute von der UFA- Fabrik lautet glücklicherweise anders: »Kontrolle ist ganz gut, Vertrauen aber besser.« Das Geheimnis um das nunmehr dreizehnjährige Bestehen der Kommune liegt jedoch nicht in diesem Satz allein verborgen.

Begonnen hatte damals alles mit einem Tip. Die Musikgruppe »tangerin dream« war es, die ungefähr fünfzehn Kulturschaffenden, die die Welt verbessern wollten und dazu einen »Freiraum« suchten, den zukunftsbestimmenden Hinweis auf das UFA-Film-Gelände gab. Dieses stand kurz vor dem Abbruch.

»Klammheimlich, über Ostern 79, haben wir uns mit Fahrrädern ausgerüstet, sind in die Viktoriastraße nach Tempelhof gefahren, einfach über den Zaun geklettert und, Donnerwetter, es hat uns sofort gefallen«, begeistert sich Juppi, der bekannteste der Fabrikler, und strahlt verschmitzt. Sie hätten das Gelände dann während einer Demo »friedlich in Betrieb genommen« — besetzt, also.

Daraus wurde dann ein Kulturbetrieb mit Zirkus, Varieté- und Kinderprogramm, zu dem auch eine Vollkornbäckerei und ein Bio-Laden gehören sowie ein Café, ein Bauernhof, das Nachbarschaftszentrum »Nusz«, eine »freie Schule« bis zur 6. Klasse und viele Freizeitgruppen, in denen getanzt, gesteppt, jongliert, getrommelt wird. Jeder mache etwas Kreatives, denn »das stärkt die Persönlichkeit und bringt einen lässigeren Umgang miteinander«, erklärt Juppi.

Mit Selbstbehauptung und parteiübergreifende Freundlichkeit allen verantwortlichen Politikern gegenüber gelang es schließlich, das Bleibe- und Nutzungsrecht auf Jahrzehnte hinaus zu sichern. Das Motto: »Wir-gehören-keiner-Partei-sondern-nur-uns-selbst« hat sich immerhin in einem Erbpachtvertrag bis zum Jahre 2020 ausgezahlt.

Dem ehemaligen Film-Gemäuer scheint die neue Bestimmung zu gefallen. Etwas verfallen zwar, aber friedlich und bunt empfängt es den Besucher. Blaue Wegweiser zeugen weniger vom undurchdringbaren Wirrwar des Geländes als vielmehr vom Humor der hier Lebenden. Die vergangene Filmtradition pflegen die Kommunarden jedoch nur halb. Filme werden nämlich weder gedreht, noch synchronisiert, sondern allenfalls gezeigt. Diese Vorführungen im alten Kinosaal sind eine wichtige Einnahmequelle der UFA-Fabrik e.V., die mittlerweile rund sechs Millionen Mark im Jahr umsetzt.

»Umsetzt«, wohlgemerkt, nicht »aufs Sparkonto trägt«. Denn: Wo viele Veranstaltungen sind, sind auch viele Kosten, alldieweil die geladenen Künstler ja bezahlt sein wollen. Dringende Sanierungsarbeiten und die laufenden monatlichen Belastungen von 80.000 Mark schmälern ebenfalls die Kasse. Außerdem gibt es noch fünfzig Mitarbeiter, die von außen kommen und ein Gehalt beziehen. »Wir haben uns immer dagegen gewehrt, in die Schublade »Alternativ-Betrieb« gedrückt zu werden. Die kann man nämlich zumachen, und dann kommt man nicht mehr raus. UFA-Inzucht wollten wir nie betreiben«, sagt Juppi. Tatsächlich haben die UFA-Leute dank ihres Konzepts überlebt und sind nicht den basisdemokratischen Konsens-Tod gestorben. Nach endlosen Debatten, die die Arbeit am darauffolgenden Tag zu gefährden schienen, nach Verwerfung des Rotationsprinzips, hat die Individualität als Leitmotiv gesiegt. »Jeder will doch seine Spuren hinterlassen und sagen können, das war ich«, so Juppi. Zwar gibt es alle vier Wochen das richtungsweisende Plenum, aber die Entscheidungen werden in kleineren Einheiten, den verschiedenen Betrieben selbst, getroffen. Harte Konflikte und Autoritätsprobleme sind zwar vorgekommen, aber — die UFA lebt noch. Vertrauen in die kreative Persönlichkeit des einzelnen und konsequente betriebswirtschaftliche Organisation haben das Überleben sichern können. Die vermeintlichen »Traumfabrikler« sind realistisch geblieben und haben sich nicht von irgendeinem Dogmatismus lähmen lassen. Sie haben als einer der ersten alternativen Betriebe Computer eingeführt, waren immer offen für andersartige Organisationsformen. Von »Veränderung« sprechen sie nicht, sondern von »Weiterentwicklung«. Mit Cleverneß und Künstlercharme ist natürlich nicht jeder gesegnet. Vielleicht ist es deshalb still um die anderen alternativen Betriebe geworden, »weil sie einfach ruhig an ihrer Qualität arbeiten und lernen«, vermutet Juppi. Die UFA-Fabrikler geben jedenfalls gern von ihren Erfahrungen ab — etwa nach dem Mauerfall, wo viele ostdeutsche Betriebe um Hilfe und Know-how baten.

Erfahrungen an andere weitergeben

Und in noch einem Punkt unterscheiden sich die UFA-Leute von anderen alternativ organisierten Betrieben. Sie sehen sich als Teil der Gesellschaft, kritisch zwar, aber auf Kommunikation bedacht und nicht ständig auf Gegenkurs. Trotz Realitätssinn bleiben sie Idealisten. »Wenn wir unsere Kultur verbreiten und andere daran teilhaben lassen können, wenn immer mehr Menschen ihre künstlerischen Kräfte entfalten und erfahren haben, daß sie einmalig sind, dann gäbe es weniger soziale Probleme«, träumt Juppi. Sonja Striegl